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Grußwort von Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Das neue jüdische Jahr hat in Deutschland mit Wahlen begonnen. Alle vier Jahre entscheiden die Bürgerinnen und Bürger darüber, wer sie im Bundestag vertreten soll. Aber, ist das Demokratie? Kreuzchen auf buntem Papier und dann zurücklehnen und „denen da oben" beim Regieren und Opponieren zusehen?
Es ist doch vielmehr so, dass jeder Einzelne seinen Anteil leisten muss, um das Gesicht des Staates in dem er lebt, zu gestalten und zu prägen.
Deutschland wieder als Heimat zu empfinden, fiel mir nicht leicht. Aber ich habe gesehen und ich glaube daran, dass die Bundesrepublik Deutschland auf einem festen Fundament im Bekenntnis zur Unantastbarkeit der menschlichen Würde und zu den Werten der freiheitlichen Demokratie basiert. An dieser Überzeugung halte ich fest. Ich möchte aber auch spüren, dass gegenläufige Tendenzen sensibel registriert und ernsthaft bekämpft werden. Alarmsignale gab es in jüngerer Zeit genug. In der so genannten Beschneidungsdebatte waren jüdische Menschen in Deutschland mit einer ungeahnten neuen Dimension an offenem und zum Teil zügellosem Antisemitismus konfrontiert. Allein das verantwortungsvolle, zügige und besonnene Handeln der Politik hat verhindert, dass sich das mitunter perfide Spiel mit dem Feuer zum gesellschaftlichen Flächenbrand ausweitete.
Wer der Debatte etwas Positives abgewinnen wollte, verklärte sie zu einer wertvollen Diskussion über die Religionsfreiheit. Wenngleich ich diese Wahrnehmung nicht teile, halte ich es für dringend notwendig, den Schutz der freien Ausübung der Religion in Europa ernsthaft auf die politische Agenda zu setzen. Restriktionen, wie zuletzt das Schächtverbot in Polen, nehmen zunehmend existenzielle Ausmaße an. Wem an einem vitalen Judentum in Europa gelegen ist, der darf angesichts solcher Fehlentwicklungen nicht schweigen. Zumal hier wie da die juristische und politische Kontroverse von handfesten, antisemitischen Ressentiments flankiert wird, die der Mitte der Gesellschaft entspringen und rechts und links auf fruchtbaren Boden fallen.
Generell haben geistige Brandstifter anscheinend wieder mehr Konjunktur als in früheren Jahren. Besonders leidenschaftlich arbeiten sie sich am Staate Israel ab. Immer wieder wird die ermüdende Diskussion, wann Israelkritik die Grenze zu Antisemitismus überschreite, durch die Manege des Medienzirkus geschleift. Mir ist schleierhaft, wo die Genugtuung und die Leidenschaft entspringen, das immer gleiche, nicht existierende Tabu immer wieder zu brechen. Auf diese Weise wird produziert, wovon sich jeder distanziert und was doch immer mehr wird: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Traurig und tragisch. Schließlich braucht der jüdische Staat verlässliche Verbündete. Erstmals schlugen im vergangen Jahr wieder Raketen der islamistischen Hamas und anderer vom Iran unterstützter Terrorgruppen in der Nähe der Großstädte Jerusalem und Tel Aviv ein. Die existenzielle Bedrohung der einzigen funktionierenden Demokratie im Nahen Osten war so offenbar wie lange nicht mehr.
Auch der voreilig euphorisch begleitete „Arabische Frühling" hat endgültig seinen Illusionszauber verloren. Angesichts des blutigen Sommers steht der Westen achselzuckend vor den Trümmern seiner Träumereien. Die Zukunft der Region ist ungewiss. Mögen auch die Situationen in Syrien, Tunesien und Ägypten nicht vergleichbar sein, münden sie doch im selben Fazit: Niemand weiß, wie es weiter geht und schlimmer noch: niemand vermag das tausendfache Blutvergießen zu stoppen.
Kaum ist die eine Schwärmerei beerdigt, lässt sich der Westen vom nächsten Märchen aus Tausend und einer Nacht einlullen: Kurswechsel im Iran. Der neue Präsident Hassan Rohani gilt als gemäßigter „Reformkleriker". Nun ist es nicht schwer, sich „liberaler" als Mahmud Ahmadineschad zu artikulieren. Aber wer hierin einen Beleg für das glaubhafte Abwenden von der unübersehbaren atomaren Aufrüstung erkennen will, ist mehr als romantisch veranlagt.
Fest steht: Hierzulande wie im Ausland muss Europa zu seiner freiheitlich-demokratischen und humanitären Verantwortung stehen. Sie ist das Vermächtnis der dunklen Geschichte des 21. Jahrhunderts und unsere zivilisatorische Verpflichtung. Das gilt aber nicht nur für die Regierungsverantwortlichen. Auch die Zivilgesellschaft darf ihr demokratisches Handeln eben nicht auf Ankreuzen reduzieren. Unsere Demokratien leben von Zivilcourage. Sie leben davon, dass jeder Einzelne seine Heimat als seine Aufgabe begreift und bereit und gewillt ist, das Seine zu leisten, damit Europa liebens- und lebenswert bleibt. Nicht nur zu Wahlen, sondern jeden Tag entscheiden wir darüber, welches Gesicht unsere Heimatländer haben sollen. Hoffnung ist wichtig, doch nur Taten können sie realisieren.
An Chanukka - dem Fest des Lichtes - erinnern wir an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597. Die „Chanukkia", ein Leuchter im Tempel, sollte niemals erlöschen. Nach der Überlieferung war aufgrund der Eroberung der Syrer nur noch ein Krug geweihtes Öl vorzufinden - gerade genug für einen Tag. Durch ein Wunder brannte das Licht jedoch acht Tage. Daran erinnert Chanukka. Das Fest dient dazu, Helligkeit in unsere Welt zu bringen. Bewusst stellen wir unsere Leuchter hinter die Fenster, damit ihre Lichter von der Straße aus sichtbar sind. Die Botschaft von Chanukka ist keine Privatsache. Sie soll nicht nur nach innen wirken. Sie richtet sich an alle Menschen.
Mein Appell gilt allen demokratischen Kräften in ganz Europa: Lassen Sie uns Verantwortung dafür übernehmen, dass die Dämme der Inhumanität nie wieder brechen. - Wir haben erlebt, wie schnell und hemmungslos aus Stimmungen Hass und aus Hass Völkermord werden konnten. Es war möglich ... und es bleibt möglich. Es ist an uns, es zu verhindern!
Das Entzünden der Chanukkalichter erneuert für mich den festen Glauben und die Dankbarkeit für die Wunder, die G‘tt uns zuteil werden lässt. Lassen Sie uns alle auch weiterhin an Wunder glauben und an eine friedvolle und liebevolle Zukunft voller Hoffnung für alle Menschen, die an einem respektvollen Miteinander interessiert sind.
Ihre Charlotte Knobloch