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Jüdisch-Türkische Gemeinde in Wien - Ausstellungskatalog

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Felicitas Heimann-Jelinek, Gabriele Kohlbauer-Fritz, Gerhard Milchram: Die Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde.                                                                                     Wien: Eigenverlag des jüdischen Museums, 2010                                                  199 Seiten, Euro 29.90

Zweimal kamen die Türken bis nach Wien (1529 und 1683), wo ihr Drängen nach Westen ein Ende gefunden hatte. Nach der zweiten Niederlage vor den Toren Wiens wurden sie zusehends nach Osten zurückgedrängt. Diese Kriege sowie weitere Kriegsrunden zwischen Österreich und der Türkei, wurden jeweils durch Friedensverträge beendet. Das ist noch heute im Bewusstsein der Wiener lebhaft präsent. Weniger bekannt sind die Einzelheiten dieser Verträge, die unter anderem den jeweiligen Bürgern des anderen Staates es gestatteten, ohne Einschränkung in Wien bzw. Istanbul sich niederzulassen. Gestützt auf diese Bestimmung, kamen einige türkische Juden nach Wien und gründeten eine Gemeinde. In Wien entstand solcherart eine etwas bizarr anmutende Situation. Juden türkischer Staatsbürgerschaft durften unbehelligt in Wien wohnen und wirken, während Juden der Monarchie in Wien höchstens als „Tolerierte" und ohne eine Gemeinde bilden zu dürfen, zeitlich begrenzt geduldet wurden. Der türkisch-jüdischen Gemeinde, die in der Zeit Maria-Theresias nur aus wenigen Familien bestand, ist eine Ausstellung im Wiener Jüdischen Museum gewidmet.

Viele der türkischen Juden sind Nachkommen der im 15 Jh. aus Spanien vertriebenen Juden. So auch die türkischen Juden, die 1735 nach Wien kamen. Diesem Umstand - den spanischen Wurzeln dieser Juden - wurde auf originelle Weise Rechnung getragen. Die Präsentation lehnt sich an eines der bedeutendsten halachischen Werke an, das der aus Spanien vertriebene Joseph Karo verfasst hat: Shulchan Aruch - gedeckter Tisch. Die Ausstellung ist in Form eines gedeckten Tisches ausgelegt, wobei ringsherum die anderen türkisch-sephardischen Gemeinden Europas und der Türkei präsentiert werden.

Der Katalog muss natürlich einem anderen Konzept folgen. Es werden zuerst die Gemeinden in Europa und im Osmanischen Reich präsentiert und danach erst die Gemeinde in Wien. Allerdings werden den Exponaten aus Wien oder betreffend Wien mehr Raum gewidmet als allen anderen. Die Abbildungen sind von hoher Qualität, sodass man sogar Kleingeschriebenes leicht lesen kann - sofern man der jeweiligen Sprache und Schrift kundig ist. Schliesslich gibt es ausser Dokumenten in Deutsch auch etliches in Ladino, Hebräisch und Aramäisch und ein Dokument in Türkisch.

Einen nicht sehr verbreiteten, aber doch sehr interessanten Weg wählte man für den Textteil. Einleitend wird in einem kurzen Abriss die Geschichte der Juden in Spanien geschildert, ihre Vertreibung im Jahr 1492, die Länder in die sie gegangen sind, ihr Aufstieg und ihre nahezu vollkommene Vernichtung im Zweiten Weltkrieg. Auf ausführliche Artikel, auch über bedeutende Gemeinden sowie Personen, wurde verzichtet. Dennoch geht der Leser nicht leer aus. Abgesehen von der üblichen Information zu jeder Abbildung - Gegenstand, Ursprung, Zeit etc. - gibt es auch einen Begleittext. Manchmal einige Zeilen und mitunter fast eine ganze Seite. Der Text enthält Hintergrundinformation, gibt Aufschluss über Leben und Position abgebildeter Personen, Familienfeste und Bräuche, Kultgegenstände, ihre Herstellung und Verwendung, Titelblätter von Gebetsbüchern, Bibelkommentare, Halachot (Religionsgesetze). Unter den abgebildeten Dokumenten gibt es viele Ketubot - Heiratsverträge -, diese sind traditionell in Aramäisch verfasst. Anders als im Westen üblich, enthalten viele der Ketubot auch die Verpflichtungen, die die Eltern der Brautleute auf sich nehmen - Tena'im genannt - betreffend der Hochzeit und der Mitgift für das junge Paar.

Zusätzlich zu dem informativen Text, der von den KuratorInnen Felicitas Heimann-Jelinek, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Gerhard Milchram verfasst worden ist, werden auch unter Literatur jeweils einige Bücher zum Thema genannt. Es ist wohl keine Bibliographie-Liste, aber das ist auch gar nicht beabsichtigt, da es nur um eine erste Anregung für den Leser geht. Unter den Titeln gibt es Werke aus verschiedenen Zeiten: das älteste stammt aus dem 16. Jh., aber es finden sich auch solche, die in den letzten Jahren geschrieben worden sind. Wenn auch nicht viele, so gab es doch immer wieder Leute, Fachmänner oder Laien, die sich mit diesen Themen beschäftigten. Auch das vermittelt uns die Palette der Titel.

Eine Ausstellung ist nie ein Schlusspunkt, höchstens eine „Zwischenbilanz". Die jüdische Türkengemeinde ist als Gemeinde in Wien vernichtet worden. Die, die entkommen sind, sowie die wenigen Überlebenden, sind nicht nach Wien zurückgekehrt. Diese Ausstellung soll jedoch nicht als eine Elegie über eine verschwundene Welt verstanden werden. Vielmehr lässt sie die Geschichte einer Gemeinde, der man bislang nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte, aufleben. Sie will bekannt machen, und vielleicht, dem einen oder anderen, Anregung sein, die Geschichte dieser Gemeinde weiter zu erforschen.