Sie bauen Strassen und Häfen, legen neue Eisenbahngleise und errichten Krankenhäuser und Schulen in Lateinamerika, Afrika und Asien. Doch auch wenn die chinesischen Konzerne und ihre Bautrupps auf den ersten Blick wie altruistische Entwicklungshelfer wirken, so hat diese Unterstützung doch auch ihre Schattenseiten: Es sind in erster Linie chinesische Unternehmen, welche die Infrastrukturen errichten, und häufig folgen ihnen chinesische Händler nach, die mit ihren Billigprodukten rasch die lokalen Märkte beherrschen. Diese Form der Entwicklungshilfe und vergünstigte Kredite ohne politische Konditionen (z.B. Einhaltung der Menschenrechte) führen rasch zu wirtschaftlicher Abhängigkeit - und mit dieser wächst auch die politische.
Kritiker bezeichnen das chinesische Engagement in der Dritten Welt deshalb mitunter als eine Form des Neokolonialismus. Ein Beispiel ist der Sudan, aus dem sich westliche (Öl-)Konzerne, darunter die OMV, schon vor Jahren aus politischen Gründen zurückgezogen haben. Chinesische Firmen sind nun in der Ölförderung tätig und habe Hafenanlagen errichtet, von denen aus das Öl direkt nach China verschifft wird. Um die anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen im Sudan kümmert sich das autoritär-kommunistische Regime in Peking nicht.
Die chinesische Mauer - Symbol für Chinas (frühere) Macht. Foto: A. Gerstl.
Für China steht die langfristige Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen im Mittelpunkt, um die Wirtschaft mit Resourcen versorgen und so ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum zu garantieren. Besonders interessiert ist das Regime an Öl, Gas, Kohle, Eisenerz, Uran, aber auch Agrarprodukten. Regelmässig gehen Präsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao in Lateinamerika, Afrika, Asien oder Australien auf Einkaufstour. In ihrem Gefolge befinden sich stets die Manager grosser staatlicher Konzerne, z.B. der China National Offshore Oil Company (CNOOC) oder von Sinopec.
Chinas Öffnung erfolgte erst 1978
Noch vor 30 Jahren war Pekings globales Engagement undenkbar gewesen. Wenn damals das sprichwörtliche Rad in China umfiel, so tangierte dies ausserhalb des Milliardenreiches niemanden. Erst 1978, nach Maos Tod und der Absetzung der orthodox-kommunistischen Viererbande, gelang es Deng Xiaoping (1904-1997), China wirtschaftlich zu öffnen. Deng ging dabei pragmatisch und unideologisch vor: Es gehe nicht darum, ob eine Katze weiss oder schwarz sei - wichtig sei nur, dass sie Mäuse fange, meinte er.
Unter Dengs Führung begann das Reich der Mitte mit den sogenannten "Vier Modernisierungen" (Industrie, Militär, Landwirtschaft sowie Wissenschaft und Forschung). Anfang der 1980er Jahre wurden die ersten Wirtschaftssonderzonen eingeführt, die der Führung erlaubten, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu experimentieren. Was sich im kleinen, gesicherten Rahmen bewährte, wurde auf nationaler Ebene übernommen; Instrumente, die fehl schlugen, wurden adaptiert. Selbst gegenüber ausländischem Kapital öffnete sich China, anfänglich erlaubte es jedoch nur Minderheitsbeteiligungen (joint ventures). Aussenpolitisch blieb Deng Maos Motto treu, wonach Peking ein niedriges internationales Profil bewahren solle.
Das Tiananmen-Massaker von Juni 1989 - in China heute noch tabuisiert - bewirkte eine Isolation des Reichs der Mitte in der westlichen Welt. Die kommunistische Führung nutzte dies, um ihre historisch belasteten Beziehungen zu den ostasiatischen Nachbarn zu normalisieren. Anfang der 1990er Jahre einigte sich Peking beispielsweise mit Jakarta und Singapur auf diplomatische Beziehungen, und selbst mit dem traditionellen Gegner Vietnam erfolgte eine politische Aussöhnung.
Nach dem Tiananmen-Massaker war aus Furcht vor einem Auseinanderfallen Chinas - der ehemalige Ostblock und später die Sowjetunion waren hier Abschreckung genug - an eine weitere Demokratisierung nicht zu denken. Der Reform-freudige Parteichef Zhao Ziyang wurde abgesetzt. Selbst die Wirtschaftsreformen wurden von den orthodoxen Kommunisten um Ministerpräsident Li Peng kritisiert und teilweise blockiert. Den endgültigen Durchbruch schaffte Deng Xiaoping 1992 mit seiner legendären Reise in den Süden. Dort redete er einmal mehr einer pragmatischen Vorgehensweise bei der Implementierung einer Sozialistischen Marktwirtschaft das Wort.
Wer jedoch heute die chinesische Ostküste und speziell die grossen Metropolen Shanghai und Peking bereist, wird von einer Sozialistischen Marktwirtschaft wenig spüren - vielmehr ähnelt das Land einem turbo-kapitalistischen System. Namentlich die laut offiziellen Statistiken 240 Millionen Wanderarbeiter - interne Migranten und Migrantinnen, die aus den armen und unterentwickelten ländlichen Gemeinden auf Arbeitssuche in die grossen Zentren strömen - sind wirtschaftlich und sozial marginalisert. Da sie über keine legale Aufenthaltsgenehmigung (hukou) in den Städten verfügen, können sie keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen; auch sind ihre Kinder vom Schulunterricht ausgeschlossen. Es sei denn, sie zahlen Bestechungsgelder - ein in Chinas wirtschaftlichem und politischem System generell gebräuchliches Schmiermittel.
Chinas Einfluss wächst auch im Nahen Osten
Nach 30 Jahren anhaltenden Wirtschaftswachstums mangelt es dem Reich der Mitte nicht an finanziellen Mitteln: Mit über 2,4 Billionen US-Dollar Devisenreserven rangiert es weit vor Japan und Russland an erster Stelle. Ein Grossteil dieses Geldes ist in amerikanischen Schatzwechseln angelegt. Dadurch helfen die sparfreudigen Chinesen ganz entscheidend mit, Washingtons chronisches Haushaltsdefizit zu finanzieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese ökonomische Abhängigkeit auch in eine politische verwandelt.
Für den Westen müssen die beschriebenen Anstrengungen Pekings, in sämtlichen Weltregionen wirtschaftlich und politisch Fuss zu fassen, beunruhigend sein. In Zentralasien wie in Ostasien fordert China die etablierten Hegemonialmächte heraus: Russland, Japan und allen voran die Vereinigten Staaten. Auch im Mittleren Osten zeigt sich, dass Pekings Interessen nicht rein ökonomischer Natur sind, sondern es auch politisch mitgestalten will. Dieses neue Selbstvertrauen stellt auch hier eine Gefahr für Washingtons Führungsanspruch dar. Im Nuklear-Streit mit dem Iran beispielsweise hat sich China immer negativ gegenüber verschärften Sanktionen geäussert.
Laut dem amerikanischen Politologen Prof. John Mearsheimer ist Chinas wirtschaftlicher und militärischer Aufstieg zur dominanten Macht Ostasiens aus globaler Sicht deshalb so gefährlich, weil er unweigerlich dazu führe, dass Peking Washington die weltweite Führung streitig machen werde. Mearsheimer befürchtet, dass dieser Konflikt militärisch ausgetragen wird. Bereits hat China in Süd- und Ostasien eine "Perlenkette" angelegt: eine Serie von Tiefseehäfen, etwa in Pakistan und Sri Lanka, die sowohl kommerziellen als auch militärischen Zwecken dienen. Durch Myanmar, das von ruchlosen Generälen totalitär regiert wird, ist der Bau einer Pipeline geplant. Dadurch wird die lange und potenziell gefährliche Verschiffung durch die Strasse von Malakka vermieden. Ein weiterer Schritt zur Energiesicherheit.
Mearsheimer empfiehlt dem Westen, das chinesische Wirtschaftswachstum - das Fundament der militärischen Macht - zu bremsen. Dass diese Idee unrealistisch ist - er selbst bleibt Vorschläge, wie genau dies funktionieren soll, schuldig -, hat sich zuletzt während der globalen Finanzkrise gezeigt: Der Westen war froh, dass das Reich der Mitte (wie auch Indien) partiell die Rolle einer Wachstumslokomotive spielte. Trotz Krise wuchs China erneut um mehr als 8%.
Dennoch stellen sich wichtige strategische Fragen, verfolgt Peking doch legitimerweise eindeutig seine eigenen nationalen Interessen, die mit den westlichen nicht immer harmonieren. Doch China einzudämmen, wie es während des Kalten Krieges Washingtons Politik gegenüber Moskau war, ist in unserer globalisierten Welt wirklichkeitsfremd. Vielmehr scheint eine Politik angebracht, die China in die bestehenden regionalen und globalen Strukturen einbindet und generell auf Zusammenarbeit und Dialog setzt. Die Assoziation südostasiatischer Nationen (ASEAN) war mit dieser Strategie in Ostasien höchst erfolgreich. Segelte Peking bis Mitte der 1990er Jahre wirtschaftlich und politisch einen klar bilateralen Kurs, so ist das Regime heute multilateral ausgerichtet. Im Freihandelsabkommen mit ASEAN machte es den kleineren südostasiatischen Ländern beispielsweise grosse Zugeständnisse.
Generell berichten südostasiatische Diplomaten von einer Zunahme des Vertrauens in China. Dennoch bestehen potenzielle Konfliktherde, namentlich die ungelösten Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer und mit Japan fort. Auch die australische Regierung hat in ihrem Verteidigungsweissbuch festgehalten, dass China noch grossen Erklärungsbedarf hat, um den massiven Ausbau seines Militärs, vor allem der Marine, zu rechtfertigen. Was auch immer heute in China wirtschaftlich, politisch und sozial passiert - kalt lässt es den Westen längst nicht mehr.
Dr. Alfred Gerstl, MIR ist Politikwissenschafter mit Schwerpunkt Ostasien. Er hat zuletzt drei Jahre in Sydney Internationale Politik unterrichtet.