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Die Welt im Herzen

Claus STEPHANI

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Es war eine Rückschau in die Vergangenheit. Dann aber auch ein Blick in die Zukunft, denn „Jiddischer Welt" lebt weiter, wie man beim internationalen Kulturfestival mit dem gleichnamigen Titel in Bukarest,  September 2010, feststellen konnte. Und das nicht nur, weil es im Jiddischen „der Welt" heisst. Denn die Sprache der deutschen Juden, der Aschkanasim, die es seit dem Hochmittelalter gibt, ist ja auch die Mameloschen (Muttersprache), und dieser Begriff wiederum ist mit idiomatischem Klang und materner Zärtlichkeit verbunden.

Jiddisch, eine eigenständige westgermanische Sprache, entstand im 11. zum 13. Jh. und wurde später, als Ostjiddisch, mit slawischen, besonders polnischen, dann aber auch mit hebräischen, rumänischen und anderen Elementen angereichert. Von den einst 5 Millionen Sprechern, die vor dem Holocaust in ehemaligen historischen k.u.k.-Provinzen des einstigen Habsburger Reichs (Galizien, Wolhynien, Podolien, Bukowina) und in Bessarabien  (dem heutigen Moldawien) lebten, gibt es weltweit nur noch etwa 3 Millionen, die Jiddisch als Familiensprache und Umgangssprache pflegen. Dabei handelt es sich meist um orthodoxe Juden, um Chassidim, die zum Teil in Brooklyn, Amsterdam oder in Israel  (Bnei Brak und Mea Schearim/Jerusalem) leben.

„Doch Jiddisch ist weit mehr als nur eine Sprache", sagte  Festivaldirektor Edi Kupferberg bei der Eröffnung der Veranstaltung, „Jiddisch ist ein Teil unserer Jüdischkeit, es ist die klangvolle Stimme unseres geistigen Universums." So waren die Organisatoren  - unter ihnen Kulturreferent Dr. José Blum, Rabbiner Schlomo Sorin Rosen, Gemeindevorsitzender Erwin Simsensohn - auch diesmal bemüht, die „Stimme dieser Sprache", die noch nicht verstummt ist, wieder weithin hörbar zu machen.

Es gab insgesamt 28 Darbietungen - Vorträge, Theateraufführungen, Konzerte und Filmabende  -, die meist  im neuen Jüdischen Gemeindezentrum (Centrul Comunitar Evreiesc), in der prachtvollen und traditionsreichen Großen Synagoge (Sinagoga Mare), im Museum des rumänischen Bauern oder im Union-Kino stattfanden. Von den Referaten sei hier besonders auf die Beiträge von Dr. Emil Rennert, Österreich („Die jüdische Bukowina"), Dr. Simon Geissbühler, Schweiz („Die Wiederentdeckung von Jiddischland in Rumänien") und von Dr. Lya Benjamin („Die jiddische Sprache als moralische Stütze während des Holocaust") hingewiesen. Ghidu Bruckmaier hielt als einziger sein Referat  („Isaak Leib Peretz, a groißer jiddischer schrajber")  in jiddischer Sprache. Die übrigen Referenten hatten ihre Beiträge rumänisch oder englisch verfasst.

Zu den Gästen des Festivals gehörten international bekannte Schauspieler, wie Maia Morgenstern, Radu Captari, Yaakov Bodo und Mischa Blecharovitz (die beiden letzten kamen vom „Jiddisch-Schpil Teater" aus Israel, der Filmregisseur Radu Gabrea sowie Musiker aus Dänemark (die Gruppe Mames Babegenush), aus der Slovakei (die Pressburger Klezmer Band) und aus Rumänien (die Hakeshet Klezmer Band, Oradea-Grosswardein). Am vierten Tag, als das Kulturfestival zu Ende ging, trat auch die israelisch-rumänische Tanzformation „Hora" auf, die an die ersten Tanzformen der biblischen Israeliten anknüpfen will. Denn während des Exodus habe Mirjam, Moses Halbschwester, nach der gelungenen Flucht aus Ägypten, zum ersten Mal getanzt, wobei sie auf einem Tambourin den Takt dazu schlug. Das war am Ufer des Roten Meeres, und es heißt, dieses sei der erste Tanz einer Israelitin gewesen.

Einen Höhepunkt der Konzertfolge brachte dann der Auftritt der Vienna Klezmer Band, die vom Bukarester Publikum und von der Presse „wegen ihrer authentischen Spielweise als die beste Formation des Festivals" besonders gefeiert wurde. Diese multiethnische österreichische Musikergruppe, mit der Sängerin Ela Malkin (aus Rostow am Don), den Wiener Instrumentalisten Alfred Pfleger (Violine), Martin Breinschmid (Schlagzeug), Julius Darvas (Kontrabass) aus Budapest und Igor Pilyavskiy aus Kiew trat im Hof des beliebten Jazz-Cafés „Green Hours 22" vor einem vorwiegend jungen Publikum auf. Igor Pilyavskiy, das musikalische Multitalent des Abends, spielte abwechselnd Saxophon, Klarinette, Akkordeon, Panflöte und Sopilka, eine kleine Hirtenflöte aus den Ostkarpaten.

Vor fünfzehn Jahren, während seines Besuchs in Österreich und Deutschland, sagte der letzte jiddische Schriftsteller der Bukowina, Josef Burg aus Czernowitz (heute Cernivzy), dass Jiddisch eigentlich „eine Weltsprache" sei, denn diese „wunderbare Loschen ist ein Teil unserer jiddischen Welt, die wir immer noch im Herzen tragen". Da aber diese Welt unersetzbar vernichtet wurde und inzwischen auch das Herz von Josef Burg, sel. A., nicht mehr schlägt, muss heute alles getan werden, damit nicht auch die Sprache verstummt und verloren geht - eben wie jene Welt, in der sie einst zum lebendigen Alltag gehörte.