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Der Ghettokönig.

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Joachim Jahns: Der Ghettokönig.

Dingsda-Verlag. 230 Seiten, Euro 24,90.-

Leipzig 2009.

ISBN 978-3-928-49899-9

Joachim Jahns Buch über den Warschauer "Ghettokönig" Franz Konrad war nicht geplant, sondern entsprang einer Form juristischer Notwehr: Von einem ehemaligen SS- und Polizeioffizier wegen übler Nachrede und Verleumdung wegen der Veröffentlichung von Passagen aus seinem Leben in der von ihm verlegten Autobiographie von Lisl Urban verklagt, begann Jahns zu recherchieren, um Gegenargumente im Gerichtsprozess präsentieren zu können. Den Prozess gewann der Verleger Jahns.

Die Argumente des Historikers Jahns in Bezug auf die Taten und Motive des Ghettokönigs sind jedoch nicht gänzlich überzeugend. Höchst verdienstvoll ist jedoch, dass es ihm gelungen ist, neue Quellen aufzustöbern und erstmals den sogenannten Konrad-Bericht komplett zu publizieren. Diese zeigen, dass unser bisheriges Wissen über Konrad teilweise auf Falschinformationen oder ungesicherten Behauptungen beruhte.

Jahns beschreibt kurz das harrsche Leben im Warschauer Ghetto, um dann ausführlicher die Biographien von wichtigen SS-Männern zu skizzieren, die eine zentrale Rolle bei der Verwaltung des Warschauer Ghettos und später der Niederschlagung des berühmten Aufstandes spielten. Eine zentrale Rolle fiel dabei dem Österreicher Franz Konrad zu. Ein gebürtiger Wiener und gläubiger Katholik, wuchs Konrad in der Steiermark auf, wo er eine Kaufmannslehre absolvierte. Nach einer persönlichen Enttäuschung mit der Sozialdemokratie trat der hochgewachsene Konrad bereits 1932 der NSDAP und österreichischen SS bei. Nach dem "Anschluss" kehrte Konrad mit seiner Familie aus dem deutschen Exil nach Bruck an der Mur zurück. Nach der Besetzung Polens wurde der Verwaltungsspezialist nach Warschau beordert, wo er eng mit Hermann Fegelein, einem der führenden SS-Männer in Polen, zusammenarbeitete.

Anders als viel zu viele andere, die entweder aktiv an der Vernichtung der Juden mitwirkten oder einfach wegsahen, versuchte Konrad, Warschauer Ghetto-Juden zu schützen. Beispielsweise stellte er seinen bis zu 4.000 jüdischen Fabriksarbeitern Ausweise aus, um sie vor dem Abtransport zu bewahren. Auch legte er mehr Wert auf die Reperatur von Uhren und anderen für die Soldaten wesentlichen Alltagsdingen als die Produktion von Rüstungsgütern, was ihm Kritik seiner Vorgesetzten eintrug. Für eine kurze Zeit jedoch machte dieser Einsatz den SS-Obersturmführer und Leiter der sogenannten Werterfassungsstelle für jüdisches Vermögen zum Warschauer "Ghettokönig". Doch waren seine Handlungen wirklich von humanitären Motive geleitet, wie Konrad selbst in seinem Bericht argumentiert, oder nicht viel eher von rein eigennützig-wirtschaftlichen? Auch seine Affären mit jungen Jüdinnen, denen er Unterstützung versprach, lassen nicht nur auf moralische Handlungsmotive schließen. Jahns bemüht jedoch Zeugenaussagen und Erlebnisberichte von Ghetto-Insassen, die ein durchaus positives Bild von Konrad zeichnen.

Wie auch immer: Letztlich waren Konrads Bemühungen, "seine" Juden zu retten, leider vergeblich. Auch seine Arbeiter wurden nach und nach in die Konzentrationslager abtransportiert oder noch in Warschau erschossen. Eine besonders unrühmliche Rolle spielte dabei der hohe SS-Funktionär Jürgen Stroop, der im Mai 1943 den Ghetto-Aufstand brutal niederschlagen sollte. Stroop hielt diese Ereignisse im sogenannten Stroop-Bericht fest; die Mehrzahl der darin abgedruckten Fotos wurden von Konrad gemacht, der viele Erschießungen und andere Grausamkeiten beobachtete. Stroop wurde 1952 in Warschau nach einem kurzen Prozess hingerichtet. Konrad war auch Angeklagter in diesem Prozess gegen die Verantwortlichen der Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstandes. Die Amerikaner hatten ihn nach der Niederschreibung seines Berichtes an Polen ausgeliefert. Konrad wurde die Ermordung von sieben Juden, der Abtransport Dutzender zum "Umschlagplatz", wo sie allerdings von jüdischen Untergrundkämpfern befreit werden konnten, und der Raub jüdischen Gutes vorgeworfen. Wie Stroop wurde Konrad gehängt.

Jahns konnte nicht alle Dokumente des Gerichtsprozesses einsehen. Er verficht jedoch die These, dass das polnische Gericht entlastende Beweise unterdrückt habe. Insgesamt präsentiert Jahns in seinem Buch viel neue Fakten über Franz Konrad. Er zeichnet ihn als einen facettenreichen Menschen, der Juden rettete, dabei aber auch viele Kompromisse eingehen musste und letztlich unmenschliche Verbrechen beging. Was die Frage angeht, ob Konrad zu diesen Taten gezwungen wurde, ob er versuchte, mit seinen Handlungen noch Schlimmeres zu verhindern, oder in seinem Bericht einfach nur eine gute Rechtfertigungsstrategie für nicht Rechtzufertigendes präsentierte, so bleibt diese zwangläufig unbeantwortet. Gewiss ist nur eines: Ein österreichischer Oskar Schindler war Franz Konrad nicht.