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Der schwierige Anlauf zu den Verhandlungen im Israelisch-Palästinensischen Konflikt

Gustav C. GRESSEL

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Die gegenwärtigen Verhandlungsbemühungen zwischen der israelischen Regierung und der Fatah-Führung des Westjordanlandes gehen in erster Linie auf amerikanisches Betreiben - und amerikanischen Druck zurück. Das Ziel, einen Abschluss in Nahost zu erreichen, ist aus der Sicht der Obama-Administration verständlich: erstens würde es den Druck der arabischen Welt auf die USA mindern und die amerikanische Nahostpolitik erleichtern. Dies wiederum - so die Vorstellung in Washington - vermindere die politische Attraktivität jihadistischer Organisationen und unterstütze die Isolation des Iran. Zweitens steht die Administration hinsichtlich ihrer Mittelostpolitik erheblich unter Druck: Der Iran schreitet mit seinem Atomprogramm voran, der Irak wurde durch den amerikanischen Truppenabzug erneut destabilisiert und auch in Afghanistan kämpft man im Grunde ein Rückzugsgefecht gegen die erstarkenden Taliban. Ein Erfolgsmoment wird also dringend benötigt und der Nahostkonflikt soll dieses liefern. Schliesslich übernahm die Obama-Administration auch das Nahostpersonal der letzten Clinton-Regierung, die an den Verhandlungen von Camp-David und Taba 1999-2000 massgeblichen Anteil hatte.

Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten zehn Jahren massgeblich verändert. Ging es 2000 darum, den ins Stocken geratenen Oslo-Prozess wieder zu beleben und weiter zu führen, ist der Oslo-Prozess wie auch die diesen unterlegte Formel „Land gegen Frieden" heute keine tragbare Grundlage von Verhandlungen mehr. Zudem hat die Machtergreifung der Hamas im Gazastreifen 2006 die palästinensischen Gebiete geteilt. Ein „Friedensvertrag" zwischen Israel und der Fatah würde also nur die Westbank behandeln. Die Konfliktdynamik mit dem Gazastreifen wie auch dem Libanon wäre ungebrochen und es wäre für einen weiteren Eskalationsfall auch zu erwarten, dass diese selbst nach einem möglichen Friedensschluss mit der Fatah auf das Westjordanland überspringt.

Zudem hat die Hizb'Allah nach dem zweiten Libanonkrieg 2006 ihre Position im Libanon stärken können. Das Überleben einer libanesischen Regierung ohne die Beteiligung der Partei Gottes ist kaum denkbar - zu sehr ist sie vor allem im Süden des Landes in der Bevölkerung verwurzelt, zu gut ist ihre militärische Organisation, als dass der Libanon, ohne einen erneuten Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, gegen diese vorgehen könnte. Damit hängt eine jederzeit mögliche Eskalation der nördlichen Front wie ein Damoklesschwert über jeder erneuten Annäherung zwischen Palästinensern und Israelis.

So ist es nicht verwunderlich, dass beide Parteien nicht sonderlich an den Verhandlungen interessiert sind. Sowohl für Israelis als auch für die palästinensische Seite würde ein möglicher Abschluss ein innenpolitisch äusserst unpopuläres Zugehen auf den als „Erzfeind" empfundenen Gegner bedeuten. Und für beide Parteien scheint es sich zumindest kurzfristig kaum zu lohnen.

Israel muss sich aus oben genannten Gründen überlegen, welchen Frieden es eigentlich für eine Aufgabe der Westbank und mögliche weitere Zugeständnisse an die Palästinenser bekommt. Es ist nicht ersichtlich, wie die Probleme in Gaza und im Libanon mitbehandelt werden können. Zudem ist man durch die negativen Erfahrungen nach dem Gaza-Rückzug 2005 vorsichtiger geworden: was passiert, wenn auch im Westjordanland die Hamas ans Ruder kommt? Geht man von den Grenzen von 1948 aus, würde fast ganz Israel, vor allem auch der Ballungsraum Tel-Aviv, in Reichweite der Kassam-Raketen kommen. Die Siedlungen beherrschen gegenwärtig noch viele militärisch wichtige Punkte im Westjordanland. Die israelische Armee wäre gegenwärtig noch in der Lage, bewaffnete Gruppen zu isolieren und in begrenzten Aktionen zu zerschlagen. Im Gazastreifen kann sie hingegen nur mehr zwischen Nicht- und Vollintervention wählen.

Daher ist man in Jerusalem bezüglich zukünftiger territorialer Konzessionen sehr vorsichtig. Die Devise scheint zu lauten, einen Raum lieber selbst zu kontrollieren, als ihn in eine ungewisse und zweifelhafte Zukunft zu entlassen. Die Frage ist nur, wie lange man sich diese direkte Kontrolle leisten will und kann!

Aus palästinensischer Sicht rechnet man sich vor allem langfristig höhere Gewinne aus, wenn man das Zustandekommen einer Zweistaatenlösung vereitelt. Zählt man Israel, den Gazastreifen und die Westbank zusammen, kämen die Palästinenser bereits auf einen Bevölkerungsanteil von 50%. Durch das schnellere Bevölkerungswachstum im Westjordanland kann man - je nach Bevölkerungsprognose - davon ausgehen, dass etwa ab 2030 bis 2050 die Palästinenser, so man die Westbank und Israel gemeinsam betrachtet, die Bevölkerungsmehrheit stellen werden. In einem solchen Fall hätte Israel nur die Wahl, zum Apartheid-Staat zu mutieren - und diese haben, wie die Geschichte lehrt, nur kurz Bestand - oder seinen „jüdischen Charakter" aufzugeben. Langfristig kann also die palästinensische Seite durch eine Zweistaatenlösung nur verlieren - wenn auch die Zeit zur vollen Machtergreifung für sie beschwerdevoll sein wird. Es sei hier aber daran erinnert, dass man im Orient in anderen Zeitdimensionen rechnet als im Westen!

Langfristig ist es also vor allem im israelischen Interesse, zu einer Zweistaatenlösung zu kommen - egal wie schmerzvoll dieser Prozess sein wird. Demografische Überlegungen gaben ja auch den Ausschlag für Sharon, die Räumung des Gazastreifens anzuordnen! (Was den strategischen Weitblick angeht, hatte der alte General jedoch der gegenwärtigen Politikergeneration Israels einiges voraus.) Derzeit aber können weichenstellende Entscheidungen nicht getroffen werden, solange jede Regierungskonstellation in der Knesset auf die Benevolenz der Siedlerparteien angewiesen ist. Im Interesse Israels ist jedoch einzumahnen, dass die Sicherheitslage im Nahen Osten sich in den letzten 10 Jahren stets zum Schlechten veränderte und ein in naher Zukunft nuklear armierter Iran diese nicht verbessern werde. So unbequem die Lage ist, Israel wird später kaum bessere Ausgangslagen für Verhandlungen vorfinden.

Aus dem vorhin Gesagten kann man unschwer schliessen, dass man gegenwärtig in erster Linie Scheingefechte führt, um die Verhandlungen hinauszuzögern. Von israelischer Seite möchte man jedes territoriale Zugeständnis an ein Referendum knüpfen - bis dato wären lediglich die Rückgabe der Golanhöhen oder die Räumung Ostjerusalems durch ein Referendum zu bestätigen. Dies würde die Sinnhaftigkeit der Verhandlungen von Anbeginn in Zweifel ziehen. Von Seiten der Palästinenser möchte man den „jüdischen Charakter" Israels nicht anerkennen - was angesichts der „demografischen Dimension" der palästinensischen Politik zu erwarten war - und konditioniert den Verhandlungseintritt an eine unbefristete Verlängerung des Baustopps von Siedlungen. Die wirklich heissen Kartoffeln möglicher Verhandlungen: die Grenzfrage, Ostjerusalem oder die Flüchtlingsfrage wurden noch nicht angerührt.

Leider ist nur wieder festzustellen, dass Israel in diesem Duell den „Pressekrieg" zu verlieren scheint. Das undiplomatische Auftreten Liebermans, ein Anschlag auf eine Moschee, die Siedlungs-, Eid- und Abschiebungsdiskussionen beherrschen im Westen die Berichterstattung über Israel und zeichnen nicht unbedingt jenes Bild vom Pionier- und Einwandererland, das man jahrzehntelang unterstützte. Es sei darauf hingewiesen, dass Israel als Industrie- und Technologienation auf eine weltwirtschaftliche Vernetzung nicht verzichten kann, gerade diese aber aufgrund des ungeschickten politischen Agierens gefährdet wird.

Über eine Veränderung der internen Machtverhältnisse in Israel wurde oft spekuliert - bzw. diese im Zuge der Verhandlungsvorbereitungen von der liberalen Presse herbeigesehnt. Sie haben sich nur nicht bewahrheitet. Angesichts der schlechten Erfahrungen der Israelis mit den vergangenen Friedensprozessen und der Entwicklung in Gaza scheint sich aber aus der Sicht des Autors in Israel zusehends eine Stimmung der Belagerung und des Fatalismus breitzumachen. Dies wird die Kräfte des Zentrums nicht gerade stärken. In diesem Sinne birgt der Blick in die Zukunft mehr Sorgen denn Hoffnungen.