Vor 50 Jahren verstarb der ehemalige Bundeskanzler und Aussenminister Leopold Figl, der vor 60 Jahren den Staatsvertrag unterzeichnet und vor 70 Jahren die Zweite Republik mitbegründet hat.
Mit freundlicher Genehmigung Bundespressedienst.
„A Chancellor from Dachau" („Ein Kanzler aus Dachau"), so lautete die Überschrift eines Artikels in der Daily Mail vom 10. Dezember 1945, in dem über den Wahlausgang in Österreich und den neuen Bundeskanzler Leopold Figl berichtet wurde. Eine Überschrift mit Aussagekraft. Mit Leopold Figl kam eine Persönlichkeit an die Regierungsspitze, die in mehrfacher Weise einen klaren Neuanfang für dieses Land bedeutete.
Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich hatte er, der am 2. Oktober 1902 geborene katholische Bauernsohn aus dem niederösterreichischen Tullnerfeld, klar Position bezogen. So warnte Figl noch wenige Tage vor dem sogenannten Anschluss, Anfang März 1938, die Bauern bei einer Versammlung in Loosdorf eindringlich:
„Den Nationalsozialisten geht es nicht um Eure blauen Augen und Eure blonden Haare. Es geht ihnen um unsere Wälder, denn sie brauchen Holz. Es geht Ihnen um unseren Erzberg, denn sie brauchen Eisen. Es geht ihnen um unser Gold und unsere Devisenschätze. Wenn Ihr dem Nationalsozialismus huldigt, dann seid Ihr nächstes Jahr im Krieg. Und wer von Euch noch heimkommt, das weiss ich nicht."
Im Unterschied zu vielen Zeitgenossen glaubte er schon damals an ein freies und eigenständiges Österreich.
Die Folgen für seine offenen Worte bekam er schon bald zu spüren. Er wurde nach dem Anschluss umgehend von den Nationalsozialisten verhaftet und verbrachte rund 5 Jahre im Konzentrationslager Dachau und Nebenlagern. Todesnähe, Krankheit und Folter konnten Figl aber nicht brechen. Heimgekehrt nach Hause kannte ihn seine Tochter kaum. „Ist das mein Vater?", fragte sie schüchtern, denn bei seiner Verhaftung war sie gerade einmal 2 Jahre alt gewesen. In den kommenden Monaten knüpfte Figl wieder an seine alten Kontakte an und besprach Aufbaupläne für nach dem Krieg. 1944 neuerlich verhaftet kam er ins KZ Mauthausen und schliesslich zurück nach Wien, in den Todestrakt des Volksgerichtshofes.
Wie durch ein Wunder kam Figl in den letzten Tagen des Krieges frei. Und ging unmittelbar an die Arbeit. So war er gleich nach dem Krieg für die Lebensmittelversorgung Wiens zuständig, provisorischer Landeshauptmann von Niederösterreich und sozusagen Vizekanzler in der vorläufigen Bundesregierung. Er ging als Spitzenkandidat der ÖVP in die Nationalratswahl 1945, welche er fulminant gewann. Trotz absoluter Mehrheit bildete Leopold Figl als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik eine Konzentrationsregierung. Seine sogenannte Weihnachtsansprache drückt die Not der Menschen eindrucksvoll aus: „Ich kann euch für Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Kein Stück Brot, keine Kohle zum Einheizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!"
Es folgten schwierige Jahre. Österreich musste nicht nur politisch, sondern auch moralisch neu aufgebaut werden. Bei der Gedächtnisfeier der Israelitischen Kultusgemeinde anlässlich des Novemberpogroms 1938 im November 1948 sagte Figl:
„Ihre heutige Feier ist aber für mich auch ein neuerlicher Beweis dafür, dass die Judenschaft Wiens und Österreichs sich mit der österreichischen Heimat innig verbunden fühlt und dass sie, allen bitteren Erfahrungen zum Trotz, an dieser Heimat festzuhalten und sich als Teil des österreichischen Volkes zu betrachten, entschlossen ist." Und weiter: „Seien Sie überzeugt, dass die österreichische Regierung es sich von allem Anfang an zur Aufgabe gesetzt hat, alles daran zu setzen, um den Geist der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Moral in unserem Staate wieder zum Durchbruch zu verhelfen."
Neben der Beseitigung der unmittelbaren Not der Menschen war es der Kampf um die Einheit und Freiheit Österreichs, die im Mittelpunkt der Politik von Leopold Figl stand. Denn es waren die vier alliierten Mächte USA, Grossbritannien, Frankreich und Sowjetunion, die Österreich unter sich aufgeteilt und bei allen politischen Fragen das letzte Wort hatten. Erst zehn Jahre später wurde Österreich wieder zu einem eigenständigen Land. Leopold Figl, inzwischen Aussenminister, konnte den Staatsvertrag am 15. Mai 1955 unterschreiben und glücklich feststellen: „Österreich ist frei!" Das zehnjährige Jubiläum der Staatsvertragsunterzeichnung erlebte er nicht mehr. Er starb am 9. Mai 1965, wahrscheinlich an den Spätfolgen seiner Zeit im Konzentrationslager.