Vorbemerkung
Am 15. Mai vor 60 Jahren wurde der österreichische Staatsvertrag im Belvedere unterzeichnet. Diesem für die Zweite Republik entscheidenden Dokument war vor allem anlässlich des 50. Jahrestags 2005 eine ganze Reihe von Publikationen gewidmet worden. Gerald Stourzh legte sein Standardwerk zur Geschichte des Vertrags in einer neu bearbeiteten Fassung vor, zahlreiche wissenschaftliche Beiträge befassten sich mit verschiedenen Aspekten des Staatsvertrags, die auf die Opfer des NS-Regimes bezogenen Bestimmungen erfuhren demgegenüber vergleichsweise wenig Beachtung. Im Folgenden soll auf Basis früherer Forschungen der Verfasserin sowie Arbeiten im Auftrag der Österreichischen Historikerkommission die zentrale Rolle des Staatsvertrags für Rückstellung und Entschädigung für in der NS-Zeit entzogenes Vermögen im Überblick beleuchtet werden.
Einfluss auf die Rückstellungsgesetzgebung
Dem Bestreben nach Abschluss des Staatsvertrages ordnete die österreichische Politik bis 1955 absolut prioritäre Bedeutung zu. Dies sowie die Marshallplanhilfe auf der einen und die als Bedrohung empfundene sowjetische Präsenz auf der anderen Seite räumten in der österreichischen Wahrnehmung den Westalliierten, insbesondere den USA, beträchtlichen Einfluss auf die österreichische Politik ein. Den Wünschen der USA widersetzte sich die österreichische Innenpolitik zwar durchaus, war aber gleichzeitig ständig bestrebt, die Besatzungsmacht wohlwollend zu stimmen, um den Staatsvertrag nicht zu gefährden. Dieser wurde von den Westalliierten ihrerseits erfolgreich als Druckmittel zur Durchsetzung der Restitutionsgesetzgebung sowie deren Aufrechterhaltung eingesetzt.
Obschon bereits die provisorische Staatsregierung 1945 einen Handlungsbedarf hinsichtlich der in der NS-Zeit entzogenen Vermögen sah, bestand hinsichtlich des „Wie" bis zum Frühjahr 1946 noch Unklarheit. Insbesondere Sozialdemokratie und Kommunistische Partei (bis Ende 1947 mit einem Minister in der Bundesregierung vertreten) befürworteten anstelle einer Indiviualrestitution die Einzahlung der entzogenen Vermögen in einen Fonds zugunsten überlebender Opfer des NS-Regimes. Zu einem Umdenken führte schliesslich neben dem Bemühen, den sowjetischen Beschlagnahmen Deutschen Eigentums entgegen zu treten, ein erstes US-Memorandum zu einem möglichen Österreich-Vertrag, das bereits Forderungen nach der Restitution entzogener Vermögen und Vermögensrechte enthielt.
Damit war der Weg zur Individualrückstellung vorgezeichnet, allerdings bezogen sich die nun vergleichsweise rasch verabschiedeten sieben Rückstellungsgesetze ausschliesslich auf noch vorhandenes und auffindbares bzw. identifizierbares entzogenes Eigentum. Darüber hinaus reichende Entschädigungen wurden - wiederum vor dem Hintergrund des Staatsvertrags - abgelehnt. Befürchteten Bundesregierung und Nationalrat doch, die Leistung von Entschädigungen könnten als ein Eingeständnis einer Mitverantwortung Österreichs an den NS-Verbrechen ausgelegt werden, das um jeden Preis verhindert werden sollte, um allfällige dadurch verursachte Verschlechterungen der wirtschaftlichen Konditionen des Staatsvertrags („Reparationen") zu vermeiden. Beinahe gleichzeitig mit dem Abschluss der Rückstellungsgesetzgebung konnte 1949 auch in den Staatsvertragsverhandlungen zu den auf entzogenes Eigentum bezogenen Bestimmungen - Artikel 25 und 26 des Staatsvertrags 1955 - Einigung hergestellt werden. Der österreichischen Seite war es im Vorfeld gelungen, Forderungen jüdischer Organisationen auf vertragliche Verankerung einer österreichischen Entschädigungsverpflichtung über die Rückstellung hinaus abzuwehren.
Aufrechterhaltung der Rückstellungen
In Österreich selbst wollte die österreichische Politik, insbesondere der Wirtschaftsflügel der ÖVP als auch die 1949 gegründete Vorgängerpartei der FPÖ, der Wahlverband der Unabhängigen (WdU), vorwiegend ein Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten, die Möglichkeit zur Erhebung von Ansprüchen nach der Rückstellungsgesetzgebung möglichst rasch beendet sehen. Sie argumentierten mit der angeblichen Unsicherheit, die diese Gesetzgebung in der Wirtschaft auslöse und stellten die Vorstellung in den Raum, nach einem Auslaufen der Rückstellungsgesetzgebung könne das entzogene Vermögen letztlich ungehindert in den Händen der „Ariseure" oder deren Nachfolger verbleiben. Doch die Vorschläge zu einem raschen Auslaufen der Rückstellungsgesetzgebung bzw. parlamentarische Anläufe zu einer Verschlechterung dieser Gesetzgebung zulasten der vom NS-Regime Geschädigten stiessen auf entschiedenen Widerstand insbesondere der US-amerikanischen und britischen Besatzungsmacht, die dabei auf die Entwürfe zum Staatsvertrag verwiesen. Letztlich blieben die Rückstellungsgesetze bis 1954 in Kraft. Aufgrund des Staatsvertrags wurden in der Folge im Ersten Staatsvertragsdurchführungsgesetz nochmals Rückstellungsmöglichkeiten für als Deutsches Eigentum geltendes entzogenes Vermögen vereinbart.
Folgen des Staatsvertrags
1. Das erblos gebliebene Vermögen
Als Folge der Shoah, der mindestens 66.000 Menschen aus Österreich zum Opfer fielen, blieb vieles an entzogenem Vermögen ohne unmittelbare Erben zurück. Seit 1946 bemühten sich internationale jüdische Organisationen um eine Regelung für diese Vermögenswerte. Nach zähen Verhandlungen erklärte sich schliesslich die österreichische Bundesregierung bereit, der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) 1950 eine Anleihe von fünf Millionen Schilling als Vorschuss auf dieses Vermögen zur Verfügung zu stellen. Artikel 26 Absatz 2 des Staatsvertrags verpflichtete schliesslich die Republik zur Erfassung und Sammlung dieses erblosen Vermögens. Dazu wurden zwei Sammelstellen eingerichtet: Sammelstelle A für die Erfassung jener Vermögen, deren Eigentümer am 31. Dezember 1937 der jüdischen Religion angehört hatten, und der Sammelstelle B für das nicht beanspruchte Vermögen der übrigen Verfolgten. Letztlich erzielten die Sammelstellen Einnahmen in der Höhe von 326.157.203,40 Schilling. Ende der 1940er Jahre hatte die österreichische Bundesregierung in völlig falscher Einschätzung der Verfolgung und Beraubung der Jüdinnen und Juden das gesamte erblos gebliebene Vermögen mit 25 Millionen Schilling angenommen gehabt. Einer Vereinbarung mit dem Committee for Jewish Claims on Austria folgend wurden die Mittel der Sammelstellen für in Österreich lebende Verfolgte verwendet: 80 % für jüdische, 20 % für politische Verfolgte. Diesem aus heutiger Sicht inadäquatem Verteilungsschlüssel waren heftige Debatten zwischen den beiden Sammelstellen vorangegangen.
2. Verhandlungen mit den Westmächten - Abgeltungsfonds und andere Entschädigungen
Während die österreichische Bundesregierung und Bürokratie meinten, Absatz 1 von Artikel 26, der Österreich zur Rückstellung entzogener Vermögen verpflichtete, sei mit den sieben Rückstellungsgesetzen erledigt, nahmen die Westmächte unter Führung der USA diese Bestimmung zum Anlass, neuerlich jene Entschädigungsforderungen zu erheben, die das Claims Committee schon 1953 formuliert hatte. Da nunmehr keine nachteiligen Folgen aus einer Entschädigung über die Naturalrestitution hinaus mehr zu befürchten waren, beugte sich die österreichische Bundesregierung diesem Druck durch die westlichen Signatarstaaten. Neben einer - allerdings äusserst unzureichenden - Entschädigung für vom NS-Staat eingezogene Lebensversicherungen wurden - gleichfalls nicht ausreichende - Massnahmen für verlorenen Hausrat und Geschäftseinrichtungen sowie Ergänzungen im Pensionsversicherungsrecht für ehemalige Österreicher und die Errichtung eines Fonds zur Abgeltung entzogenen Bargeld, Bankkonti, Wertpapiere und Verluste infolge diskriminierender Abgaben (Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer) beschlossen. Aufgrund innenpolitischer Diskussionen wurde die Verabschiedung des dazu gehörenden Gesetzes mit dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der BRD zum Abkommen von Bad Kreuznach verknüpft, sodass die Errichtung des Abgeltungsfonds erst 1961 erfolgen konnte.
Schlussbemerkung
Letztlich hatte der Staatsvertrag schon in seinen Entwürfen ab 1946 wesentlich dazu beigetragen, zumindest einen Teil der vermögensrechtlichen Folgen der nationalsozialistischen Verfolgung zu mildern. Wie viele Probleme trotzdem offen geblieben waren, zeigten die Verhandlungen zum Washingtoner Abkommen 2001. Die unzureichende Dotierung des daraus resultierenden Allgemeinen Entschädigungsfonds verweist nachdrücklich, dass das Ausmass der nationalsozialistischen Beraubungen trotz Bemühens aller Verhandlungspartner auch 2001 noch immer massiv unterschätzt worden war.
Brigitte Bailer(-Galanda), geb. 1952 in Wien, Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und der Geschichte an der Universität Wien (Mag. rer. soc. oec., Dr. phil.). Seit 1979 wissenschaftliche Mitarbeiterin, 2004-2014 wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, 1998-2003 Stellvertretende Vorsitzende der Historikerkommission der Republik Österreich, 2003 Universitätsdozentin für Zeitgeschichte.
Forschungsarbeiten zu Widerstand und Verfolgung, in der NS-Zeit, Rechtsextremismus nach 1945 mit dem Schwerpunkt NS-Apologetik und Holocaust-Leugnung, Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus bzw. Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Österreich.