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Der österreichische Vizekanzler und Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Reinhold Mitterlehner, im Interview mit DAVID

Monika KACZEK

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DAVID: Weltweit herrscht grosse Erschütterung über die Flüchtlingsdramen, die im Mittelmeer geschehen. Welche Massnahmen könnten diesbezüglich initiiert werden?

Vizekanzler BM Dr. Mitterlehner: Einerseits müssen die Rettungsmassnahmen im Mittelmeer weiter ausgebaut werden, wobei es mit finanziellen Mitteln allein nicht getan sein wird. Andererseits müssen wir auch eine Kultur der Solidarität unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union etablieren. In diesem Sinne setzen wir uns auf internationaler Ebene für fixe Quoten zur besseren und fairen Aufteilung von Flüchtlingen auf die einzelnen EU-Länder ein. Weiters muss den Schleppern in den Herkunftsländern die Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit entzogen werden. Wichtig ist dabei eine gute Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR. In Österreich wiederum ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Ängste zu nehmen, über Hintergründe und Tatsachen der aktuellen Herausforderungen aufzuklären und Probleme zu lösen, statt wie andere nur Angst zu schüren. Dabei müssen wir die Sorgen der Bürger auf allen Ebenen ernst nehmen, sie bestmöglich einbinden und Befürchtungen durch bessere Informationen entgegenwirken. Auch die Frage der notwendigen Unterbringung von Flüchtlingen in Österreich kann man nur mit einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten lösen. Das ist im Endeffekt eine gesamtstaatliche Aufgabe.

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DAVID: Um der österreichischen Bevölkerung Informationen über das umstrittene EU-USA Freihandelsabkommen TTIP zu vermitteln, finden auf Initiative des Wirtschaftsministeriums Veranstaltungen statt, in denen VertreterInnen von NGOs, Ministerien und anderen Gremien mit zuständigen Kommissions-Vertretern über TTIP diskutieren können. Wie stark ist die Resonanz auf diese Gespräche?

Vizekanzler BM Dr. Mitterlehner: Unsere Angebote und Veranstaltungen werden gut angenommen, weil sie die Informationslage der Zivilgesellschaft verbessern. Grundsätzlich gilt, dass eine Exportnation wie Österreich überproportional vom Abschluss eines gut gemachten Freihandelsabkommens profitieren kann. Die USA sind bereits der drittwichtigste Exportpartner Österreichs. Allein im Vorjahr haben heimische Unternehmen Waren im Gegenwert von 7,8 Milliarden Euro dorthin exportiert. Um aber mehr Vertrauen für das geplante Abkommen in der Öffentlichkeit zu gewinnen, müssen nicht nur die Vorteile besser dargestellt werden, sondern auch kritische Punkte geklärt und ausgeräumt werden. Dafür setzen wir uns ein, um die notwendige Qualität des Abkommens sicherzustellen Dafür braucht es insbesondere eine Absicherung der hohen nationalen Standards, zum Beispiel bei Lebensmitteln, Umwelt, Konsumentenschutz oder im Arbeitsrecht. Darüber hinaus geht Österreich nach wie vor davon aus, dass TTIP ein „gemischtes Abkommen" sein wird, das nach Abschluss der Verhandlungen sowohl vom EU-Parlament, als auch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss.

DAVID: Europaweit wird heuer dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren gedacht. Im Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Jänner 1945 äusserten Sie ein klares Nein zu jeder Form von Antisemitismus, Ausgrenzung und Diskriminierung. Teilen Sie die Meinung kritischer Stimmen, die ein Ansteigen des Antisemitismus in Europa bemerken?

Vizekanzler BM Dr. Mitterlehner: Dieser Trend ist leider erkennbar. Drastisch verdeutlicht durch die Anschläge auf das Jüdische Museum in Brüssel, den jüdischen Supermarkt in Paris und die zwei Attentate in Kopenhagen. Umso wichtiger ist es, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen und die Gräueltaten des Nazi-Regimes in Europa niemals zu vergessen. In diesem Sinne müssen wir uns gemeinsam für Frieden, Demokratie und Toleranz in Europa und Österreich einsetzen. Was kann der Einzelne tun? Er muss hinhören und hinsehen, wenn sich die Muster der Vergangenheit wiederholen und Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Oft beginnt es mit der Sprache, denn zuerst kommt das Wort, dann die Tat. Umso mehr gilt es, wachsam zu bleiben, Grenzüberschreitungen klar zu benennen und Zivilcourage zu zeigen.

DAVID: Am 17. April 1945, also auch vor 70 Jahren, wurde die Österreichische Volkspartei gegründet. Jubiläen sind ein Anlass, um nicht nur in die Vergangenheit sondern auch in die Zukunft zu blicken. Welche Perspektiven erscheinen Ihnen hier besonders wichtig?

Vizekanzler BM Dr. Mitterlehner: Gerade in einer Zeit, die von geopolitischen Unsicherheiten sowie Wirtschafts- und Finanzkrisen geprägt ist, steht die Politik vor grossen Aufgaben, die es anzupacken gilt. Daher wollen wir einen leistungsfähigen und schlanken Staat, der wieder mehr Spielraum für Investitionen in Wissenschaft, Forschung und Bildung hat. Voraussetzung dafür sind Reformen: Im Rahmen einer öko-sozialen Marktwirtschaft wollen wir den Unternehmer- und Gründergeist stärker unterstützen. Auch am Arbeitsmarkt braucht es ein Umdenken, damit die Arbeitslosigkeit nicht mehr nur verwaltet wird. Im Bildungssystem muss das Kind stärker im Fokus stehen. Und im Pensionssystem geht es darum, die Weichen so zu stellen, dass auch die Jungen finanzierbare Pensionen erhalten können und langfristig mehr Spielraum für Zukunftsinvestitionen vorhanden ist. Reformpolitik heisst aber nicht, das Populistische zu tun, sondern das Richtige. Während andere auf Bevormundung und mehr Staat setzten, steht die ÖVP für Eigenverantwortung und Freiheit. Während andere nur ihre Ideologie durchsetzen wollen, sagen wir: Politik ist eine Dienstleistung für die Menschen. Während andere ausgrenzen, stehen wir für eine Gesellschaft, in der jeder Platz hat, der sich darum bemüht. Solidarität ist unsere Pflicht, aber keine Einbahnstrasse. Darum setzten wir uns für gerechte Chancen und den Wert Leistung ein, während andere im Gegensatz dazu auf Gleichmacherei setzen.

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DAVID: Im Zuge der Beschliessung des Bundesfinanzrahmens betonten Sie, dass Ausgaben in Zukunftsbereichen, wie Forschung und Wissenschaften, nicht gekürzt werden sollten. Werden bereits etablierte Förderstellen verstärkt unterstützt oder sind neue Anlaufstellen geplant?

Vizekanzler BM Dr. Mitterlehner: Der Forschungsstandort Österreich ist grundsätzlich gut aufgestellt. 2015 werden Unternehmen und öffentliche Hand erstmals mehr als zehn Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren, bei der Forschungsquote liegen wir unter 28 EU-Ländern auf dem vierten Platz. Trotz schwieriger budgetärer Rahmenbedingungen ist es uns zuletzt gelungen, zusätzliche 300 Millionen Euro für die Spitzenforschung im Budgetrahmen zu verankern. Nachholbedarf haben wir vor allem bei der privaten Finanzierung, wo wir mit den geplanten Erleichterungen bei gemeinnützigen Stiftungen konkrete Änderungen angehen. Das Erreichen des FTI-Zieles1 ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch ob das System optimal aufgestellt ist. Daher müssen wir auch die Strukturen verbessern. Viel abschauen können wir uns auch von Israel, das nach dem Silicon Valley die weltweit höchste Konzentration an High-Tech Firmen hat und gerade beim Transfer von der Wissenschaft zur Wirtschaft erfolgreich ist, zum Beispiel über das Weizmann Institut. Auch in Österreich müssen wir vorhandene Schnittmengen und Ressourcen besser nützen, um mehr Forschungsergebnisse in die Marktreife zu bringen und zu Spitzenländern vorzustossen. Daher starten wir zum Beispiel neue Wissenstransferzentren an unseren Universitäten.

 

DAVID: Da unsere Zeitschrift ein Kulturmagazin ist, würden wir Sie gern auch nach Ihren musikalischen, literarischen und sonstigen kulturellen Vorlieben fragen.

Vizekanzler BM Dr. Reinhold Mitterlehner: Kulturell lebe ich die Vielfalt. Als Ausgleich zum täglichen, beruflich bedingten Medienkonsum lese ich zum Beispiel die Bücher von Paul Watzlawick oder aktuell von Jürgen Mittelstrass die „Schöne neue Leonardo-Welt". Was die musikalischen Vorlieben anbelangt, liebe ich Klassik, gehe ganz gerne in die Oper, mag aber auch Musik von Rod Stewart, AC/DC oder Queen genauso wie die Die Seer oder Hubert von Goisern. Ab und zu gehe ich auch ins Kino.

 

DAVID: Vielen Dank, Herr Vizekanzler und Bundesminister, für das interessante Gespräch.

 

Fotos mit freundlicher Genehmigung der Wiener Bezirkszeitung/Laubner

1  Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik in Österreich, siehe: www.bmvit.gv.at/bmvit/innovation/forschungspolitik/index.html