Sophie Lillie: Feindliche Gewalten. Das Ringen um Gustav Klimts Beethovenfries
Wien: Czernin Verlag 2017
192 Seiten, Hardcover, Euro 24,00
ISBN 978-3-7076-0588-4
Sie mutet befremdlich an: Die elegante Karte, mit der Wiens Reichsstatthalter Baldur von Schirach im Februar 1943 zur Eröffnung einer Klimt-Ausstellung in die Secession lädt. Es herrscht „Totaler Krieg“, das Deutsche Reich benutzt Klimts opulentes Werk als Ablenkung, 24.000 Besucher kommen in die einen Monat währende Schau. Jedes dritte Exponat ist enteigneten Privatsammlungen entnommen, auch aus der sichergestellten Kollektion-Lederer bediente man sich hemmungslos, sie war die wichtigste Klimt-Privatsammlung. Unter anderem lassen die NS-Machthaber daraus Wally, Leda sowie die Universitätsbilder Philosophie und Jurisprudenz (die beiden sind hier zum letzten Mal zu bewundern, da sie 1945 auf Schloss Immendorf verbrennen) und zwei Hauptteile des Beethovenfrieses zeigen.
Der Beethovenfries wird in seiner ganzen Dimension erst viele Jahre später – Ende 1985 als vielbestauntes Exponat der Ausstellung Traum und Wirklichkeit im Wiener Künstlerhaus – wieder öffentlich präsentiert werden. Doch Erich Lederer, Sohn und Erbe des Wiener Sammlerpaares Szerena und August Lederer, erlebt diesen Moment nicht mehr: Er verstirbt am 19. Jänner 1985, wenige Wochen vor Eröffnung der Ausstellung, 88jährig in Genf.
Es ist eine Vielzahl an historischen und individuell persönlichen Momenten wie die eingangs wiedergegebenen, mit denen die Wiener Kunst- und Zeithistorikerin Sophie Lillie die Bedeutung der Familie Lederer für den 1902 von Klimt geschaffenen Beethovenfries in ihrem jüngsten Buch dokumentiert. Ihre Perspektive legt die Autorin einleitend offen: es ist die Perspektive jener Familie „deren engagierter Einsatz für Klimts Werk den Beethovenfries für Wien erhalten hat“ und es ist der Blick auf ihr Schicksal der Entrechtung und Enteignung, Verfolgung und Flucht, Angst und Ohnmacht.
Grundlage des Buchs ist das Gutachten, das Lillie für Marianne Kirstein-Jacobs und Ottocar Jacobs, sie sind Erich Lederers Nichte und Neffe, in Zusammenhang mit deren im Jahr 2013 eingebrachten Antrag auf Restitution des Werks verfasst hat. Der Antrag ist im Frühjahr 2015 vom Kunstrestitutionsbeirat in seiner Empfehlung an den Kulturminister negativ beschieden worden. Lederers Angehörige wurden in dem Verfahren nicht angehört. Das neue Buch erzählt die Geschichte von Klimts monumentalem Werk nun eng verwoben mit und aus der Sicht der Sammlerfamilie: „Nicht etwa aus Gründen der Parteilichkeit, sondern um ein Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen und um den Betroffenen jenes Gehör zu schenken, das ihnen gebührt.“
Die Erzählung berührt und muss betroffen machen. Detail für Detail führt die Autorin aus, mit welch abgründigem Zynismus Politik und Beamtenschaft der Republik Österreich Erich Lederer in seinem Ringen um den Fries nach 1945 entgegen getreten sind. Während das unter Ausfuhrsperre gestellte Werk im Depot seinem Verfall preisgegeben wurde, liess Österreich keine Finte aus, Lederer zu einem für die Republik möglichst günstigen Verkaufspreis zu nötigen. Erich Lederer war 76 Jahre alt, als er im Juni 1970 notierte, ihm sei, „als stünden die Behörden mit der Uhr in der Hand und sagten sich, stirbt er endlich, stirbt er nicht endlich dieser LEDERER!“
Zwei Jahre später bot der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky Lederer schliesslich sechs Millionen Schilling (heute rund 1,9 Millionen Euro). Kreisky selbst nannte das ein „Schockangebot“, das man noch etwas erhöhen könne. Im Mai 1972 wurde der Ankauf schliesslich für 15 Millionen Schilling (heute rund 4,3 Millionen) abgewickelt. Als der restaurierte Fries (Restaurierungskosten zehn Millionen Schilling) dann 1985 in der Secession präsentiert wurde, bezifferte der Chefrestaurator seinen Marktwert auf einmal mit 500 Millionen Schilling.
Bruno Kreisky hatte in einem Interview erklärt, er sei „bereit, einen angemessenen (...) Preis zu zahlen und dafür den früheren Besitzer auf einer Tafel als Stifter zu verewigen!“ Wie wenig angemessen der Kaufpreis für das einzigartige Werk war, ist aus seinem später zugestandenen Marktwert zu erahnen. Und wird Erich Lederer am Präsentationsort des Beethovenfrieses wie von Kreisky versprochen als „Stifter“ gewürdigt? Nun. Der Text der Tafel in der Secession bedarf keines Kommentars. Er lautet: „Die Klimatisierung des Beethovenfrieses wurde von der Jungbunzlauer Gruppe im Andenken an den Firmengründer Ignaz Lederer (1820-1896) und an Erich Lederer (1896-1985), Eigentümer des Frieses bis zum Verkauf an die Republik Österreich im Jahr 1973, gestiftet.“1
Um die unglaubliche Geschichte kennen zu lernen, die sich also bis heute in den Beethovenfries einschreibt, muss man das Buch Feindliche Gewalten zur Hand nehmen.
1 Mail von Karin Jaschke, Secession, vom 12.2.2018 an M.E.
Marianne Enigl