George Gershwin, Leonard Bernstein, Peggy Guggenheim, Serge Gainsbourg
Das Jahr 1898 war äusserst fruchtbar für die weitere jüdische Kulturgeschichte der USA, und darüber hinaus für Liebhaber der Musik und bildenden Künste auf der ganzen Welt. Vor genau einhundertzwanzig Jahren wurde der bedeutende Komponist und Pianist George Gershwin geboren, aber auch die berühmte Kunstmäzenin Peggy Guggenheim. Der hundertste Geburtstag des weltbekannten Musikerkollegen Leonard Bernstein wird heuer ebenso mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen gefeiert.
George Gershwin am 28.3.1937. Foto: Carl van Vechten. Library of Congress, digitale ID van.5a52009, rechtefrei. Quelle: commons.wikimedia.org .
George Gershwin (26.9.1898 Brooklyn, New York – 11.7.1937 Hollywood) hat sich dem musikalischen Gedächtnis der Welt mit seiner Rhapsody in Blue (1924) und den mitreissenden Melodien seiner „Folk-Oper“ Porgy and Bess (unter anderem mit dem Hit Summertime, 1935) unauslöschlich eingeschrieben. Geboren in Brooklyn als Jakob Gershovitz, war er der zweitälteste Sohn russisch-jüdischer Immigranten. Sein älterer Bruder Ira (1896 - 1983) wurde ebenso wie er ein berühmter Musiker, vor allem aber Librettist. Mit ihren gemeinsamen Werken schrieben sie die Geschichte der US-amerikanischen Musik neu, Fred Astaire und Ginger Rogers tanzten nach ihren Melodien, Ella Fitzgerald und Barbra Streisand sangen sich mit ihnen in die Herzen eines Millionenpublikums. Posthum erhielten die beiden 1986 den Grammy Trustees Award für ihr Lebenswerk. Iras erste musikalische Schritte waren es auch, die seinen jüngeren Bruder anspornten, auf dem Klavier der Familie daheim zu experimentieren. Bereits Kompositionen, die er mit 16 Jahren schrieb, wurden ein grosser Erfolg. George Gershwin zählte zu den vielseitigsten und begabtesten Musikern seiner Zeit - Broadway Musicals, klassische Konzerte, Filmmusik und Jazz stehen in seinem Werk gleichberechtigt nebeneinander. Einer seiner Bewunderer war zeitlebens der Komponist, Dirigent und Pianist Leonard Bernstein (25.8.1918 Lawrence, Massachusetts – 14.10.1990 New York City).
Leonard Bernstein, Dirigent des New York City Symphony Orchestra, 1945. Foto: Fred Palumbo. Library of Congress, digitale ID cph.3c27783, rechtefrei. Quelle: commons.wikimedia.org .
Erst 2016 zeigten die Salzburger Festspiele, über die europäische Flüchtlingskrise und ihre sozialen Auswirkungen räsonierend, Leonard Bernsteins Musical West Side Story (1957); die Rolle der Maria übernahm die weltbekannte Sopranistin Cecilia Bartoli. Die entlang des Inhalts von William Shakespeares Romeo und Julia dargestellten, handlungsleitenden Konflikte zwischen Zuwanderern aus Puerto Rico und Jugendlichen der New Yorker Unterschichten hatten auch die kindliche Erlebniswelt des als Sohn ukrainisch-jüdischer Einwanderer geborenen Komponisten massgeblich mitbestimmt; allerdings war es in seinem Fall vor allem die erlebte Diskriminierung jüdischer Zuwanderer, die er in seinem späteren Werk verarbeitete. Immerhin hatte er aber die Möglichkeit, an der Harvard University Musik und Komposition zu studieren. Er war gerade 25 Jahre alt, als er für den erkrankten Bruno Walter kurzfristig als Dirigent des New York Philharmonic Orchestra einsprang. Dies sollte der Beginn einer Weltkarriere sein. Im selben Jahr, 1943, komponierte er auch die Symphony No. 1 „Jeremiah“ und widmete sie seinem Vater. Weitere Werke mit unmittelbarem Bezug zu seiner jüdischen Herkunft folgten, wie die Symphony No. 3 „Kaddish“ (1963) zum Andenken an den ermordeten US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy sowie eine Bearbeitung hebräischer Psalmentexte in den Chichester Psalms (1965). Auch seine Orchestersuite Dybbuk gehört in diesem Kontext. Anders als viele seiner amerikanischen Musikerkollegen scheute Leonard Bernstein sich nicht, unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland aufzutreten. 1948 dirigierte er nicht nur das Bayerische Staatsorchester in München, sondern spielte am 10. Mai desselben Jahres auch mit KZ-Überlebenden in zwei ehemaligen Konzentrationslagern. 1959 kam sein erster Auftritt bei den Salzburger Festspielen. In weiterer Folge war er bis an sein Lebensende immer wieder als Dirigent sowohl in Berlin als auch in Wien zu Gast.
Peggy Guggenheim, Marseille 1937. Foto: Familienarchiv, rechtefrei, Quelle: commons.wikimedia.org
Das Solomon R. Guggenheim Museum in Manhattan, ein Bau des amerikanischen Stararchitekten Frank Lloyd Wright, zählt ebenso zu den Ikonen der Kunstwelt wie das Museum Peggy Guggenheim Collection im venezianischen Palazzo Venier di Leoni. Doch die Persönlichkeit Peggy Guggenheims selbst stellt beide umstandslos in den Schatten. Zeit ihres Lebens war die Mäzenin und Kunstsammlerin (26.8.1898 New York, – 23.12.1979 Camposampiero, Italien) dank ihrer Herkunft aus einer wohlhabenden amerikanischen Industriellenfamilie nicht nur finanziell unabhängig, sondern auch experimentierfreudig und kunstinteressiert. Angezogen von amerikanischen Künstlerkreisen im Paris der 1920er Jahre, zog sie gleich nach Frankreich und schloss dort mit dem Maler Laurence Vail ihre erste Ehe, der zwei Kinder entsprangen. Auf Ratschlag des Schriftstellers Samuel Beckett begann sie sich 1937 eingehend mit zeitgenössischer Kunst auseinanderzusetzen und in grossem Stil Werke von Wassily Kandinsky, Marc Chagall, Pablo Picasso, Piet Mondrian und vielen anderen heute berühmten Künstlern zu kaufen. Ihre Erwerbungen wurden zum Grundstock ihrer phänomenalen Sammlung. In London eröffnete sie 1938 ihre erste Kunstgalerie mit einer Ausstellung zu Jean Cocteau. 1939 kehrte sie nach Paris zurück und kaufte sehr viele Werke von Künstlern, die am Beginn des Zweiten Weltkriegs fliehen mussten, zu sehr geringen Preisen. Nachdem sie 1940 noch ein Hilfskomitee für Flüchtlinge finanziell unterstützt hatte, brachte sie sich selbst vor den Nazis 1941 in die USA in Sicherheit. Zurück in New York und mit einer neuen Kunstgalerie namens Art of This Century, brachte sie vor allem Flüchtlinge aus Europa und junge amerikanische Künstler heraus. Ab 1948 zeigte sie ihre Sammlung bevorzugt in Venedig, wo sie auch ein Palazzo am Canal Grande erwarb. In dem Gebäude ist heute ihre Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich, weiters im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum sowie im Guggenheim Museum Bilbao (Frank O. Gehry, 1997).
Plattenhülle Gainsbourg/Birkin
Dreissig Jahre jünger als Guggenheim und immer noch zehn Jahre jünger als Bernstein war der französische Komponist, Filmschauspieler und Schriftsteller Serge Gainsbourg (2.4.1928 Paris – 2.3.1991 Paris), Sohn jüdischer Einwanderer aus Charkiw (Ukraine), die 1919 via Türkei vor der Russischen Revolution nach Frankreich geflohen waren. Dennoch scheint er bereits einer anderen Welt anzugehören – ein Vertreter der Popkultur, der seinen Hang zum Provokanten lustvoll stilisierte. Das Stöhn-Duett mit (seiner Ehefrau) Jane Birkin „Je t’aime – moi non plus“ aus dem Jahr 1969 wurde zum Sex-Skandal der 1960er Jahre hochstilisiert und in den folgenden Jahrzehnten tausendfach kopiert. 1975 setzte sich Gainsbourg in seinem Album „Rock around the Bunker“ mit der deutschen Besatzung Frankreichs, der SS und seiner eigen jüdischen Familienvergangenheit auseinander. Als er sich für den Reggae zu interessieren begann, nahm er die französische Nationalhymne La Marseillaise in diesem Musikstil auf – den französischen Patrioten gefiel es nicht. Neben den bewusst inszenierten Skandalen war Gainsbourg aber vor allem ein erfolgreicher Komponist, der Strukturen der klassischen Musik mit Elementen des Jazz und afrikanischer Musik auf eine innovative Weise verband, die zugleich ein Massenpublikum ansprach und von seiner künstlerischen Vielseitigkeit zeugt.