Ausgabe

Der vielseitige Jonas Kreppel

Thomas SOXBERGER

Bericht über eine Buchpräsentation des Mandelbaum Verlags im Aussenministerium

 

Inhalt

„Er war einer der aussergewöhnlichsten Journalisten, die Galizien jemals hervorgebracht hat [...] Als hoher Beamter mit dem Titel ‚Regierungsrat‘ ging er am Schabbat nicht ins Amt, und am Jom Kippur ging er in weissen Schuhen und Socken durch die Wiener Gassen zur Synagoge. Als hundertprozentiger Opportunist kämpfte er im republikanischen Österreich offen und energisch für den monarchistischen Gedanken und wurde als Monarchist und Jude (in den Augen der österreichischen Nazis die beiden grössten Verbrechen) nach der Annexion Österreichs von Hitler im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, wo er knapp vor Beginn des Zweiten Weltkriegs umkam.“

 

Diese – etwas ambivalente – Würdigung des Schriftstellers, Redakteurs und österreichischen Staatsangestellten Jonas Kreppel (1874 –1940) schrieb der Wiener Anwalt, jiddische Dichter und Literaturkritiker Max Neugröschel in den 1950ern im New Yorker Exil. Das „Amt“ war das Aussenministerium bzw. „Amt für auswärtige Angelegenheiten“ der Ersten Republik.

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Von l.n.r. : Leiter der Presseabteilung des BMEIA Thomas Schnöll, Buchautor Klaus Kreppel, die israelische Botschafterin Talya Lador-Fresher sowie der deutsche Botschafter Johannes Haindl. Foto: Leon Dotan, mit freundlicher Genehmigung.

 

Jonas Kreppel, der seit 1914 in Wien lebte, wurde 1915 zuerst externer Mitarbeiter des Pressedepartements im k. u. k Aussenministerium und bald fest angestellter Vertragsbediensteter.  Wenn Neugröschel ihn als „hundertprozentigen Opportunisten“ bezeichnete, dann wohl deshalb, weil er seinen faktischen Beamtenstatus während der Zeit der Ersten Republik und sogar im so genannten Ständestaat behalten konnte – eine bemerkenswerte Karriere für einen weitgehend autodidaktisch gebildeten Nichtakademiker. Die Details seiner Karriere sind nun in einer Biographie nachzulesen, die der deutsche Historiker Klaus Kreppel verfasst hat.

Durchaus symbolträchtig konnte die Präsentation des Buches am 27. März 2018 auf Einladung einer Nachfolgeinstitution jenes Amts stattfinden, in dem Jonas Kreppel einst tätig war. Die Presseabteilung des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äusseres (BMEIA) lud in den historischen Festsaal (Alois-Mock-Saal) am Wiener Minoritenplatz 8 ein. Vor einem Auditorium interessierter Gäste umriss Evelyn Adunka, die massgeblich für das Gelingen des Buches verantwortlich zeichnet, zuerst die Entstehungsgeschichte des Buchprojekts: 

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Am Tisch sitzend von l. n. r. Thomas Soxberger, Evelyn Adunka, Klaus Kreppel. Foto: Leon Dotan, mit freundlicher Genehmigung.

 

Die Biographie wäre nicht entstanden, hätte sich nicht ein weitläufiger Verwandter, der Rechtsanwalt Dr. David Kreppel 1941 in Moza bei Jerusalem in das Gästebuch des aus Wien geflüchteten Juristen, Historikers und Genealogen Paul J. Diamant (1887 – 1966) eingetragen. 

 

Gemeinsam mit Peter Ebner arbeitet Adunka derzeit an einer kommentierten Transkription dieses Gästebuchs. Ebner wollte mehr über David Kreppel wissen und wandte sich daher an Klaus Kreppel in Bielefeld, da er ihm durch seine Bücher über die deutschen Juden in Israel aufgefallen war. Dabei stellte sich heraus, dass sich Klaus Kreppel anlässlich eines Familientreffens in einem Vortrag und in einem umfangreichen Manuskript bereits ausführlich mit Jonas Kreppel befasst hatte. Mit Unterstützung des Zukunftsfonds konnte Klaus Kreppel im Februar 2015 nach Wien reisen und in österreichischen Archiven weiteres Material sammeln, und Michael Baiculescu, der Gründer des Mandelbaum Verlags, als Verleger gewonnen werden. 

Ein glaubenstreuer Verfassungspatriot

Als Beispiel für Kreppels patriotische Grundhaltung zitierte Adunka auch aus seinem Nachruf auf Kaiser Franz Josef 1916, den die Besucher auch auf einem der Deckengemälde bewundern konnten: „Nicht bloss die Judenschaft der Monarchie, auch die Judenschaft der ganzen Welt verehrte in dem Kaiser einen besonders huldvollen und gnädigen Herrscher, unter dessen Fittichen über zwei Millionen Juden sich aller Rechte und Freiheiten erfreuten.“ Diese Rechte und Freiheiten erwartete er sich auch von der Republik.

Klaus Kreppel ging in seinem biographischen Überblick besonders auf eine politische Episode ein, wonach Jonas Kreppel als Konsul oder Vizekonsul für Palästina im Gespräch war – was zu schweren Konflikten mit Wiener Zionisten führte.

 

Die familiäre Überlieferung weiss auch zu berichten, dass Jonas Kreppel der Erste gewesen sei, der dem beim nationalsozialistischen Putsch im Juli 1934 schwer verletzten Kanzler Engelbert Dollfuss erste Hilfe leistete. Die Episode ist quellenmässig nicht belegt, doch ist nicht auszuschliessen, dass sie einen wahren Kern hat.

 

Ein Grund dafür, warum Kreppel sich mit dem autoritären Regime Dollfuss arrangierte, war wohl, neben seiner Loyalität als Beamter, dass er den Kanzler als Gegner des Nationalsozialismus schätzte, vor dem er in seinen politischen Analysen frühzeitig und konsequent warnte.

 

Ein Gegenmittel zum immer aggressiveren Nationalismus in Europa sah Kreppel in der Idee einer übernationalen „Donauföderation“ der Nachfolgestaaten der Monarchie, deren Untergang er stets bedauert hatte. Hierin scheint der Grund zu liegen, warum Neugröschel ihn als „Kämpfer für den monarchistischen Gedanken“ in Erinnerung behielt. Kreppel ging es aber offenbar weniger um eine Restauration der Habsburger, als um eine pragmatische Wirtschaftsunion.

 

Am 5. Mai 1938 wurde Regierungsrat Kreppel in „Schutzhaft“ genommen. Bemühungen der Familie, ihn freizubekommen und eine Ausreise nach Palästina zu ermöglichen scheiterten. Sein Vater habe wohl zu viel gewusst, als dass das NS-Regime ihn hätte gehen lassen, schrieb sein Sohn Leo dem Biographen Klaus Kreppel im Jahr 1983.

Am 21. Juli 1940 starb Jonas Kreppel im KZ Buchenwald – angeblich an „Altersschwäche“. Er stand in der Mitte seines 66. Lebensjahres.

 

Wiener Detektivgeschichten auf Jiddisch

Thomas Soxberger ergänzte das Bild Jonas Kreppels mit einem eher überraschenden Aspekt seines Schaffens und las Auszüge aus einer seiner Detektivgeschichten im jiddischen Original und in deutscher Übersetzung. Kreppel schrieb – oder bearbeitete –  zahlreiche jiddische Geschichten und chassidische Legenden. Unter diesen mehr als hundert jiddischen „Groschenromanen“ findet sich auch eine Serie, deren Held der „Wiener Sherlock Holmes Max Spitzkopf“ ist. Die Geschichten des jüdischen Detektivs aus Wien waren einst weit verbreitet und regten auch die Fantasie eines kleinen Jungen in Warschau an, des späteren jiddischen Nobelpreisträgers Isaak Bashevis Singer. 

 

Die Veranstaltung, an der auch die israelische Botschafterin Talya Lador-Fresher und der deutsche Botschafter Johannes Haindl teilnahmen, wurde umrahmt durch die Worte des Leiters der Presseabteilung des BMEIA, Thomas Schnöll, der Jonas Kreppel als seinen in Vergessenheit geratenen jüdischen „Kollegen“ würdigte.