Golda Meir, Israels vierte Premierministerin, geboren 1898, gestorben 1978
Golda Meir (1898 – 1978) war eine singuläre, herausragende Persönlichkeit. Sie hat ein für aktuelle Verhältnisse unglaubliches politisches Leben geführt und fasziniert bis heute: als bislang einzige weibliche Regierungschefin Israels und im gesamten männerbeherrschten Nahen Osten stellt sie auch vierzig Jahre nach ihrem Tod Ende 1978 in Jerusalem immer weiter Fragen an Öffentlichkeit und Wissenschaft.
Geforscht wird etwa, wie ist Golda Meir zu der Politikerin geworden, deren zögernde Entscheidung in den schwersten Stunden ihres Politikerlebens in Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 kritisiert wird? Oder auch, wie ist der berühmte Konflikt zwischen den beiden sozialistischen Regierungschefs Golda Meir und Bruno Kreisky in eben diesem Schicksalsjahr 1973 zu erklären?
In den achtzig Lebensjahren Golda Meirs spiegeln sich dramatische Stationen jüdischen Lebens. Das früheste bekannte Foto zeigt Golda, die vor nunmehr 120 Jahren in Kiew im damaligen russischen Zarenreich geboren wurde, als etwa Zehnjährige: mit grossen Augen, das Gesicht von dichten Locken umrahmt, sehen wir sie hier kurze Zeit nachdem die Familie dem von Hunger und Pogromen gezeichneten Leben 1906 durch Auswanderung in die USA entkommen war.
Golda Meir, 1973. Foto: Marion S. Trikosko, U.S. Library of Congress, Rechte gemeinfrei.
Auf einer der nächsten Fotographien ist die junge Frau Anfang der 1920er-Jahre als Feldarbeiterin im Kibbuz Merhavia abgebildet. Zionismus, Frauenrechte, Literatur und Gewerkschaft hatte sie schon als Schülerin in den intellektuellen Kreisen ihrer in Denver verheirateten Schwester Sheyna Korngold kennen gelernt. Die Kibbuzim wählten sie dann zu ihrer Vertreterin in der Gewerkschaft Histadrut. In der Histadrut begann die politische Karriere Golda Meirs, eine wichtige Erfahrung sollte sie im Juli 1938 machen: als offizielle jüdische Beobachterin aus Palästina erlebte sie bei der Evian-Konferenz, dass von mehr als dreissig Ländern nur die Dominikanische Republik bereit war, die von den Nazis verfolgten Juden Europas aufzunehmen. Über die Evian-Konferenz sagte sie später, hier sei ihr sehnlicher Wunsch danach erwacht, dass ihr Volk nie mehr auf Sympathiekundgebungen angewiesen sein solle.
Im Jahr 1962 datiert eine Abbildung, die Golda Meir in weissem Kostüm mit dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy zeigt: ihre politischen Ämter – ab 1949 war sie Israels Arbeitsministerin, ab 1956 Aussenministerin – haben in ihrem Gesicht bereits Spuren hinterlassen. Das in Österreich bekannteste Foto wurde 1973 anlässlich ihres eminent wichtigen Besuchs bei Bundeskanzler Bruno Kreisky aufgenommen. Ein Terrorkommando der PLO hatte damals mit einer Geiselnahme die grosse Auswanderungswelle russischer Juden über Österreich nach Israel zu stoppen versucht. Kreisky war auf die Forderung der Geiselnehmer, das österreichische Transitlager zu schliessen, eingegangen. Dass Kreisky nachgab, empörte Israel und seine Ministerpräsidentin Meir, die umgehend nach Wien flog. Das frostige Gesprächsklima illustrierte Meir mit der Aussage, Kreisky habe ihr nicht einmal ein Glas Wasser angeboten. Das soll nicht der Realität entsprochen haben – und Österreich liess den Transit im Geheimen weiter zu: bis 1986 konnten so 270.000 Juden aus der UdSSR über Österreich nach Israel emigrieren. Im Nachrichtenmagazin profil hat Christa Zöchling dazu vor kurzem den früheren israelischen Aussenminister Yossi Beilin mit den Worten zitiert: „Kreisky war ein echter Freund Israels, der sich um Israels Sicherheit sorgte.“
Mit dem Verhältnis der beiden jüdischen sozialistischen Spitzenpolitiker Meir und Kreisky beschäftigt sich auch die grosse Retrospektive, welche die renommierten „Israel Studies“, herausgegeben von Indiana University Press in den USA, der ehemaligen Premierministerin Israels in ihrer Frühjahrsausgabe widmen. Golda Meir and Bruno Kreisky – A Political and Personal Duel: das ist der Titel der Analyse, den die an der Universität Oxford forschende österreichische Politologin Kathrin Bachleit-
ner verfasst hat. Die Wissenschaftlerin untersucht die so unterschiedlichen Biographien und Einstellungen von Golda Meir und Bruno Kreisky und kommt zum Schluss, es war die innerjüdische Trennlinie zwischen Zionistischen Juden und jenen in der Diaspora, die den bitteren persönlichen und politischen Konflikt zwischen Meir und Kreisky bestimmt hat.
Die Meir-Retrospektive in den „Israel Studies“ eröffnet auch neue Perspektiven auf die Frau, die Israels Staatsgründer und langjähriger Ministerpräsident David Ben-Gurion als „den besten Mann in der Regierung“ beschrieben hat. Ein umfangreicher Beitrag mit dem Titel „Ein grosses Kapitel in der Geschichte Jüdischer Frauen“ bettet Golda Meir nun in die Emanzipationsbewegung jüdischer Frauen ein. Hier wird deutlich, dass sie die politische Notwendigkeit weiblicher Unabhängigkeit ganz klar gesehen hat, ihren eigenen Weg in der männerdominierten Politik aber doch oft pragmatisch abwägend gegangen ist. Das und wie Golda Meir gleichzeitig Liebesbeziehungen zu politischen Wegbegleitern leben konnte, ist gesellschaftspolitische Lektüre, die man nur empfehlen kann
Die robusten orthopädischen Schuhe Golda Meirs sind Teil der Ausrüstung israelischer Soldatinnen geworden. Viele Schritte in Richtung Frieden, die sie hatte gehen wollen, sind versandet. Viele ihrer Aussagen berühren ob ihrer tiefen Einsicht immer noch. Einmal sagte sie: „Wenn es Frieden gibt, werden wir den Arabern vielleicht noch rechtzeitig verzeihen können, dass sie unsere Söhne getötet haben. Aber es wird schwieriger für uns sein, ihnen zu verzeihen, dass sie uns gezwungen haben, ihre Söhne zu töten.“ Das war 1969 bei einer Pressekonferenz in London. Als Premierministerin ist Golda Meir Mitte 1974, wenige Monate nach dem Jom-Kippur-Krieg, zurückgetreten. Zum Abschied sagte sie: „Fünf Jahre sind genug. Es geht über meine Kräfte, diese Last weiter zu tragen.“ Im Dezember 1978 ist Meir einem Krebsleiden erlegen.
Lektüreempfehlung:
(http://www.goldameir.org.il/files//Documents/Golda_Israel_Studies_Pioneer_Women.pdf).