Ausgabe

Vor 70 Jahren: Die Gründung Israels

Erwin A. SCHMIDL

Inhalt

Neben den vielen „Achterjahren“, die heuer das Gedenken in Österreich prägen (Beginn des Dreissigjährigen Krieges 1618, Friede von Passarowitz 1718, Einführung der Wehrpflicht für Juden 1788, Okkupation Bosniens und der Herzegowina 1878, Annexionskrise 1908, Kriegsende und Zerfall der Donaumonarchie sowie Gründung Deutsch-Österreichs 1918, „Anschluss“ 1938 oder ČSSR-Krise 1968, um nur einige zu nennen), ist die Gründung Israels im Jahre 1948 ein wesentliches Ereignis, das in seinen Konsequenzen bis heute nachwirkt. 

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Die Verkündigung der israelischen Unabhängigkeit durch Ben Gurion im Tel Aviv-Museum am 14. Mai 1948. Zwischen den Flaggen des neuen Staates hängt das Porträt Theodor Herzls.

Frei verfügbar, weil Public Domain Israel. Aussenministerium.

 

Die Vorgeschichte 

Angesichts des wachsenden Antisemitismus in Europa entwickelte Dr. Theodor Herzl (1860–1904) die Idee eines „Judenstaates“. Ab 1880 wanderten verstärkt Juden – zunächst vor allem aus dem zaristischen Russland – in das damals noch zum Osmanischen Reich gehörende Palästina ein. 

Im Ersten Weltkrieg kündigte der britische Aussenminister Arthur Balfour (1848–1930) an, seine Regierung betrachte die „Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ mit Wohlwollen. Dies war freilich eher vage und stand im Widerspruch zur gleichzeitigen Zusage eines „arabischen Reiches“, das aus der Erbmasse des Osmanischen Reiches entstehen sollte. Schliesslich teilten Grossbritannien und Frankreich die bis dahin osmanischen Gebiete des Nahen Ostens entsprechend der schon im November 1915 zwischen dem britischen Obersten Sir Mark Sykes (1879–1919) und dem französischen Generalkonsul in Damaskus, François Georges-Picot (1870–1951), getroffenen Vereinbarung unter dem Titel von Völkerbundmandaten untereinander auf. In Palästina (Transjordanien wurde 1921 als Emirat abgetrennt und erhielt 1923 Autonomiestatus) etablierte der aus einer jüdischen Bankiersfamilie stammenden frühere britische Post- und Innenminister Herbert Louis Samuel (1870–1963) eine geordnete Verwaltung nach britischem Muster.

Die Zahl der Juden stieg massiv an – geht man um 1900 von einigen Tausend Juden aus, so waren es bei der ersten britischen Volkszählung 1922 schon 83.694. Durch die Einwanderung – sowohl von Juden als auch, wegen der wirtschaftlichen Entwicklung, von muslimischen Arabern – verdoppelte sich die Gesamtbevölkerung Palästinas nach dem Ersten Weltkrieg von 752.048 (1922) auf 1,764.520 (1945). Der Anteil der Juden an der Bevölkerung stieg in dieser Zeit von 11% auf 31%, während jener der Muslime von 78% auf 60% und der der Christen von 10% auf 8% sank. 1945 lebten 553,600 Juden und 1,061.270 Muslime in Palästina. 

 

Aufstände und Unruhen

Die stete jüdische Einwanderung führte zu kulturellen und politischen Spannungen. Im April 1920 begannen Ausschreitungen gegen Juden, die im „Massaker von Hebron“ von 1929 gipfelten. Nach einigen Jahren relativer Ruhe – um die arabische Bevölkerung zu beruhigen, beschränkten die Briten die Einwanderung – eskalierten die Spannungen erneut. Bei einem Zwischenfall in Jaffa wurden 16 jüdische Hafenarbeiter ermordet; am 15. Mai 1936 begann ein Generalstreik. Bis Oktober kamen 28 Briten, 80 Juden und rund 200 Araber ums Leben – die Aktionen der Aufständischen richteten sich nicht zuletzt gegen Araber, die mit den Behörden kooperierten. Die Auseinandersetzungen erreichten 1938 ihren Höhepunkt; erst 1939 gelang es, den Aufstand zu beenden. Die britische Verwaltung beorderte 25.000 Polizisten und Soldaten nach Palästina; 3.000 Juden wurden als Hilfspolizei rekrutiert. Jüdische paramilitärische Gruppen (Hagana und Irgun) verteidigten jüdische Siedlungen, unternahmen aber auch Überfälle auf arabische Dörfer und gegen britische Polizisten. Ausserdem unterstützten sie die illegale Einwanderung – gerade angesichts der immer brutaleren Judenpolitik im Dritten Reich wollten immer mehr Juden nach Palästina entkommen. 

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Arabische Freischärler stoppten einen behelfsmässig gepanzerten LKW der Hagana beim Versuch, zum eingeschlossenen Jerusalem vorzudringen.

Frei verfügbar, weil Public Domain.

Eine Untersuchungskommission unter Sir William Peel (1867–1937) empfahl am 7. Juli 1937 die Teilung Palästinas in einen jüdischen Teil (im Norden und in der Küstenebene bis südlich von Tel Aviv) und einen arabischen Teil, weil der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht beizulegen wäre. Jerusalem sollte – mit einem Korridor zur Küste – unter britischer Kontrolle bleiben. Zur Beruhigung der Lage erklärten die Briten im „Weissbuch“ von 1939, dass die jüdische Einwanderung in den nächsten fünf Jahren auf 75.000 zu beschränken wäre und danach von der Zustimmung der Araber abhängen sollte. 

 

Vom Mandat zum Staat 

Im Zweiten Weltkrieg war Palästina für die Alliierten wichtiger Aufmarsch- und Etappenraum. Während viele Araber im Krieg mit dem Deutschen Reich sympathisierten, unterstützte die jüdische Bevölkerung grossteils die Alliierten; viele meldeten sich freiwillig. Noch vor Kriegsende allerdings intensivierten terroristische jüdische Gruppen wie die Irgun den Kampf gegen die britische Besatzungsmacht und verübten trotz der Aufrufe der jüdischen Führung zur Mässigung immer wieder brutale Morde und Überfälle. Bekannt wurde vor allem der Bombenanschlag auf das King David-Hotel in Jerusalem am 22. Juli 1946, den Sitz der britischen Verwaltung, der fast 100 – oder auch mehr – Tote forderte. Die Terrorgruppen der Irgun schlugen auch im Ausland zu – auch in Österreich, mit Anschlägen auf das Hotel Sacher und das Parkhotel Schönbrunn sowie auf die Tauernbahn bei Mallnitz 1947/48. 

Die Briten delegierten schliesslich 1947 das Problem an die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) als Nachfolger des Völkerbundes. Eine Sondersitzung der UN-Generalversammlung beschloss im Mai 1947 die Einsetzung einer Sonderkommission; deren Bericht bildete am 29. November 1947 die Grundlage für den Beschluss der UN-Generalversammlung, in Palästina einen jüdischen sowie einen arabischen Staat zu errichten. Beide Staaten sollten in einer Wirtschaftsunion verbunden sein. Jerusalem und die Umgebung sollten als „corpus separatum“ unter Verwaltung der UNO verbleiben. 

 

Der Unabhängigkeitskrieg

Das britische Mandat lief Mitte Mai 1948 aus. Inzwischen hatten die Auseinandersetzungen zwischen arabischen und jüdischen Gruppen zunehmend Ausmasse eines Bürgerkrieges angenommen. Zu lokalen arabischen bewaffneten Gruppen kamen Freischärler und ab dem 15. Mai 1948 reguläre Truppen aus den benachbarten Staaten sowie dem Irak. 

Am 14. Mai 1948 verlas David Ben-Gurion (1886–1973), als Vorsitzender der Jewish Agency de facto Führer der jüdischen Bevölkerung in Palästina, in Tel Aviv die Unabhängigkeitserklärung des neuen Staates, für den man sich kurz davor auf den Namen Israel geeinigt hatte. Gleichzeitig ernannte die UN-Generalversammlung den schwedischen Grafen Folke Bernadotte von Wisborg (1895–1948) zum UN-Mediator für Palästina. Zu seiner Unterstützung etablierte die UNO am 29. Mai die UN Truce Supervision Organization (UNTSO), eine militärische Beobachtermission, die bis heute besteht. 

Die Kräfteverhältnisse waren ähnlich: 21.500 regulären arabischen Truppen und rund 3.500 Freischärlern standen rund 25.000 bewaffnete Israelis gegenüber. Die regulären arabischen Truppen – vor allem die jordanische „Arabische Legion“ – waren teilweise gut ausgerüstet, doch mangelte es ihnen oft an Ausbildung und Logistik. Im Gegensatz dazu waren die aus der Hagana und anderen Gruppierungen entstehenden israelischen Truppen (Israel Defense Force, IDF) zwar anfangs auch nur unzureichend bewaffnet, aber gut ausgebildet; viele verfügten durch den Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg über militärische Erfahrung. 

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Israelische Soldaten nach der Besetzung von Beit Natif (bei Hebron) im Oktober 1948. Einige der Soldaten tragen die charakteristischen flachen britischen Stahlhelme.

Frei verfügbar, weil Public Domain.

Anfangs waren die arabischen Truppen erfolgreich. Kritisch war für Israel vor allem die Lage im mittleren Abschnitt, wo ein Vorstoss der „Arabischen Legion“ zur Küste die Spaltung des jüdischen Gebiets bedeutet hätte, doch konnten die israelischen Kräfte diesen Vormarsch stoppen. Die UNO vermittelte am 11. Juni einen Waffenstillstand; beide Seiten reorganisierten ihre Verbände und beschafften neue Waffen. Die Israelis konnten im Sommer 1948 zwei mechanisierte Brigaden aufstellen. Aus der Tschechoslowakei kamen 25 Jagdflugzeuge Avia 199 (ein Nachbau der deutschen Messerschmitt Bf 109) sowie 24.500 Gewehre 98k und 5.021 Maschinengewehre 34 – womit sich die paradoxe Situation ergab, dass die entstehende israelische Armee grossteils mit deutschen Waffen kämpfte. Die Israelis beschafften auch drei alte amerikanische viermotorige Boeing B-17 Bomber („Flying Fortress“), von denen einer – im Zuge des Überstellungsfluges aus Frankreich – sogar Bomben auf Kairo abwarf. 

Am 9. Juli begannen die Kämpfe erneut; israelische Truppen eroberten Lydda (Lod) und Ramla und konnten einen ägyptischen Vorstoss im Negev stoppen. Ein neuer Waffenstillstand hielt – obwohl durch Scharmützel unterbrochen – vom 18. Juli bis September. Am 17. September 1948 allerdings fiel Graf Bernadotte einem Anschlag der jüdischen Terrorgruppe „Lehi“ zum Opfer; sein Nachfolger als UN-Vermittler wurde Ralph Bunche (1904–1961) aus den USA. 

Als die Kämpfe im Oktober wieder aufflammten, gelang es den Israelis, bei Be’er Scheva starke ägyptische Verbände einzukreisen und zur Kapitulation zu zwingen; die Ägypter mussten sich aus dem Negev zurückziehen. In der Ortschaft al-Faluja (südöstlich von Gaza, nahe der späteren Stadt Kirjat Gat) wurden rund 4.000 ägyptische Truppen von Israelis eingeschlossen. Am 22. Oktober trat ein neuer – der dritte – Waffenstillstand in Kraft, doch kam es weiter zu Kämpfen. 

 

Fazit

1949 mussten die arabischen Staaten zugeben, dass ihr Plan, die Etablierung eines jüdischen Staates in Palästina zu verhindern, gescheitert war. Mit Ägypten unterzeichnete Israel am 24. Februar einen Waffenstillstand, dem ähnliche Abkommen mit dem Libanon (23. März), mit Jordanien (3. April) und mit Syrien (20. Juli) folgten; die irakischen Truppen zogen ohne eigenes Abkommen ab. Das Ziel, diese Waffenstillstandsregelungen bald durch dauerhafte Friedensabkommen zu ersetzen, wurde allerdings nicht erreicht – erst mehrere Kriege später gelang es, am 17. September 1978 einen Frieden mit Ägypten sowie am 25. Juli 1994 einen mit Jordanien zu vermitteln. 

Die Regelungen von 1949 beliessen rund 78% des Gebiets von Palästina unter israelischer Kontrolle. Damit war es Israel gelungen, nicht nur das jüdische Siedlungsgebiet – bzw. das im UN-Teilungsplan vorgesehene Territorium – zu halten, sondern sogar, es massiv zu vergrössern. Allerdings blieb die Lage auch in den folgenden Jahren volatil; es kam immer wieder zu Überfällen und Grenzzwischenfällen, 1956 zum nächsten Krieg. 

Für die arabische Bevölkerung Palästinas freilich war die Schaffung Israels 1948 schlicht „Nakba“, die Katastrophe. Ein grosser Teil der muslimischen Bevölkerung – rund 700.000 von 900.000 Einwohnern – floh vor den Israelis oder wurde vertrieben. Mehrere arabische Siedlungen – darunter Faluja – wurden zerstört. Auch 10.000 Juden verloren ihre Heimstätten in Palästina. In den folgenden Jahren stieg die jüdische Bevölkerung Israels massiv an; rund 700.000 Juden flüchteten aus arabischen Staaten oder wanderten aus Europa und Übersee ein. Damit hatte sich die Demographie der Region binnen eines halben Jahrhunderts total verändert.