Ausgabe

Von der Befreiung zu neuer Flucht

Anna Maria GRÜNFELDER

Jüdische InsassInnen des italienischen Internierungslagers Kampor (Insel Rab) aus Österreich

 

Inhalt

Wie österreichische Jüdinnen und Juden auf den von Italien kontrollierten Territorien Jugoslawiens nach der Kapitulation Italiens der Verfolgung durch die Deutschen entgingen, wurde von wenigen Historikern ausserhalb Jugoslawiens erforscht. 

Überlebende der italienischen Internierungslager erinnerten sich des Wiener Musikers Fritz Lunzer, des Juristen Fritz Fischl („als begabten Autor von Sketches“), der drei Gymnasiasten Imre Rochlitz, Kurt Pollak, Franz Schulhaus, Nehemija Knoll (60 Jahre alt, aus Polen) und seines Sohnes Kurt Knoll (33 Jahre), sowie der Angestellten Liane Frey. Diese WienerInnen, Mitglieder der kommunistischen Parteizelle im Lager, wirkten am Tag der Kapitulation Italiens (8. September 1943) an der Selbstbefreiung der Internierten in Rab und an der Bildung der „Raber Jüdischen Partisanenbrigade“ mit.

Am 17. September 1943 marschierte die Brigade auf das von den Partisanen kontrollierte Festland und unterstellte sich der VII. Likaner Partisanendivision. Da ihnen die militärische Ausbildung zumeist fehlte, wurden sie zu 80 Prozent zivilen Diensten zugeteilt: dem Pflegedienst und der Krankenhausverwaltung (Liane Frey), der Partisanen-Theatergruppe (Fritz Lunzer) und „Agit-Prop“ (Fritz Fischl); Kurt Knoll arbeitete als Handwerker; sein Vater fiel 1944 im Kampf. Fritz Fischl starb 1944 an Typhus. Er (posthum) und Fritz Lunzer wurden 1945 mit dem höchsten militärischen Orden Jugoslawiens, dem „Partisanenabzeichen 1941“ ausgezeichnet. 

Imre Rochlitz, Kurt Pollak und Franz Schulhaus traten – Rochlitz’ Autobiographie zufolge – der Partisanenbrigade aus Dankbarkeit für die Rettung bei. Sie lernten jedoch die Partisanen bald als sture Stalinisten und brutale Exekutoren von „ideologischen Gegnern“ kennen. Imre Rochlitz schmuggelte sich 1944 mit einem Verwundetentransport aus Jugoslawien hinaus und gelangte nach Bari. Kurt Pollak erhielt legal einen Abrüstungsbescheid, wurde jedoch von seinem Kommandanten am Verlassen der Armee gehindert. Jahre später erfuhr Imre Rochlitz, dass Kurt Pollak „im Gefängnis gestorben“ sei. Rochlitz glaubt, dass ihn der Kommandant als „Deserteur“ erschossen habe. Franz Schulhaus gelangte wegen vielfacher Verwundung im Kampf mit einem Verwundetentransport im Februar 1945 nach Italien.

Frauen, Kinder und ältere Ex-Internierte aus Rab wurden von den Partisanen ab Oktober 1943 etappenweise in die Lika verbracht: In unmittelbarer Nähe dieses Gebietes tobten seit 1942 die deutsch-kroatischen Operationen gegen die Partisanen; die Einheimischen litten Not und mussten wegen häufiger feindlicher Überfälle von Ort zu Ort fliehen. Die knappen Ressourcen mit diesen Mittellosen teilen zu müssen, empfanden die Einheimischen als Zumutung, während die Evakuierten aufgrund ihrer Lagerhaft Befreiung von der Arbeitspflicht und von Solidarleistungen beanspruchten. Der Antifaschistische Rat warb zwar bei den Einheimischen um „Hilfsbereitschaft für die von den Faschisten verfolgten Juden“, und appellierte an sie, „den Partisanenkampf nicht durch Judenfeindschaft zu kompromittieren“. Dennoch sahen die Evakuierten auch weiterhin Grund zur Klage wegen der „unfreundlichen Aufnahme“, der Vorenthaltung von Lebensmittelrationen, der Delogierung von Juden aus ihren Quartieren, als „Requirierung“ getarntem „Mundraub“. Andere Gruppen hingegen dankten „allen Behörden, …. und (dem) jugoslawischen Volk, das uns in den Zeiten unserer grössten Not Entgegenkommen und Gastfreundschaft erwiesen hat.“.

Immerhin waren die Ex-Internierten in der Lika sicher vor dem Zugriff durch die Deutschen: diese holten zur gleichen Zeit in den dalmatinischen Städten Juden aus ihren Verstecken und deportierten sie nach Jasenovac und Auschwitz. Aus Furcht vor dem Übergreifen der deutschen Razzien auf die Lika forderten Vertreter der jüdischen Flüchtlinge von dem seit Herbst 1943 im Partisanen-Hauptquartier weilenden Sohn des britischen Premiers, Sir Randolf Churchill, die rasche Landung der Briten in Dalmatien zur Rettung der Juden. Die Hoffnung darauf hielt sich unter den jüdischen Flüchtlingen seit der deutschen Besetzung Jugoslawiens (1941); dass die Rettung der Juden in den britischen Plänen „keine Priorität genoss“ (Imre Rochlitz) mussten die Juden einsehen, als britische Offiziere im jugoslawischen Generalstab die Mitnahme von Juden in den Evakuierungstransporten der jugo-slawischen Bevölkerung vor der deutschen Besetzung Dalmatiens nach Italien verweigerten. So wurden mit britischen Transporten bis Ende 1944 insgesamt 773 jugoslawische Kinder evakuiert  –  darunter nur 39 jüdische. Die von den Partisanen geleiteten Transporte diskriminierten hingegen Juden nicht. Dank ihnen entkamen österreichische Flüchtlinge aus der Lika, aus Dalmatien und von den Inseln nach Bari  –  und mit ihnen auch Franz Theodor Csokor und Alexander Sacher-Masoch.

Auf der Insel Rab blieben im Herbst 1943 ca. 200 ältere Jüdinnen und Juden zurück. Wegen politischer Spannungen zwischen den Partisanen und den britischen Offizieren wurden diese Juden nicht mehr rechtzeitig vor der deutschen Besetzung Rabs (19. März 1944) evakuiert, sondern von der SS über die Risiera di San Sabba nach Auschwitz deportiert. 

Der Kriegsberichterstatter im Stab von Sir Randolph Churchill, der britische Schriftsteller Evelyn Waugh, fahndete im Auftrag britischer Angehöriger von Vermissten in Jugoslawien. Er entdeckte die Wiener Familie von Ing. Gerhard Zeilinger in Topusko, wo Gerhard Zeilinger als Techniker im Elektrizitätswerk der Partisanen arbeitete. Aber erst 1946 konnten dank britischen Drucks die Zeilingers, Kurt Reckendorfer (Wien), dessen Eltern in einem Lager ums Leben gekommen waren, und weitere ausländische Juden ausreisen.

Fritz Lunzer setzte 1945 seine 1938 in Wien unterbrochene Musikerkarriere in Zagreb fort (er starb dort 1971). Liane Frey feierte im Zentralen Partisanenlazarett das Ende des Faschismus und liess sich repatriieren. 1946 meldeten sich weitere österreichische Juden, die von den Partisanen versteckt den deutschen Razzien in Split und Dubrovnik entgangen waren, zur Repatriierung. 

Die Befreiung von Juden aus dem italienischen Internierungslager auf der Insel Rab und die Evakuierung von jugoslawischen und ausländischen Juden durch Titos Partisanen vor dem Zugriff der Deutschen kann als „Lichtblick“ in der an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit „reichen“ Geschichte des jugoslawischen Partisanenkrieges bezeichnet werden. Österreichische Juden wurden zwar für ihre Teilnahme am jugoslawischen Partisanenkampf von Staatschef Tito ausgezeichnet; in der jugoslawischen Historiographie wurden sie nicht gewürdigt.  

 

Zur Autorin: 

Anna Maria Grünfelder ist Historikerin und Übersetzerin, geb. in Kärnten, lebt in Zagreb.

Quellen:

Kroatisches Staatsarchiv Zagreb: Zemaljsko antifašističko vijeće Hrvatske (ZAVNOH), Best.-Nr. 206 und 207; Narodnooslobodilačka vojska, Best.-Nr.1194; Memoarski zapisi, Best.-Nr.1372.-Komunistička partija, Best.-Nr.1663-3;

Ed. Quellen: Hrvoje SIROTKOVIĆ (Hg.), Zemaljsko antifašističko vijeće narodnog oslobođenja Hrvatske, zbornik dokumenata 1943; zbornik dokumenata 1944; Zagreb 1964, 

Namensliste der nach Italien evakuierten Juden aus Jugoslawien: Anna PIZZUTI, Ebrei stranieri internati in Italia durante il periodo bellico. Elenco degli internati provenienti da Lubiana: www.annapizzuti.it/database/ricerca.php

 

Autobiographien: 

MACLEAN Fitzroy, Rat na Balkanu. Zagreb 1964.- SMODLAKA Josip, Partizanski dnevnik. Beograd 1972.- ROMANO Jaša, Jevreji u Rapskom logoru i njihovo uključivanje u NOR. Zbornik Jevrejskog istorijskog muzeja br. 2/1973, Beograd 1973.- The Diaries of Evelyn Waugh.Edited by MIchael Davie. Harmondsworth 1982.-  MILO Zeev, Im Satellitenstaat Kroatien. Eine Odyssee des Überlebens 1941–1945. 2Klagenfurt 2002.- POLIĆ Branko, Imao sam sreću. Autobiografski zapisi (1.11 1942–22.12.1945.), Zagreb, 2006.- ROCHLITZ, Imre, Accident of Fate. A personal account 1938-1945. Waterloo 2011.

 

Sekundärliteratur:

BARKER Elisabeth, British Policy in South East Europe in the Second World War. London 1976. - BIBER Dušan, The Yugoslav Partisans and the British in 1944. In Sir Llewellyn woodward; British Foreign Policy in the Second World War. Volume 3, London 1971. Str. 111-129.-PALAVRŠIĆ Ante, Jugoslavenski zbjeg u Italiji. In:Građa i prilozi za povijest Dalmacije.-Zbornik Instituta za historiju radničkog pokreta Dalmacije. Bd.III, Zagreb 1975.