Ausgabe

Die Wiener Architekturschaffenden in Eretz Israel Teil III

Matthias Dorfstetter

In Haifa waren besonders viele Architektur­schaffende mit Wiener Hintergrund tätig, die ins Mandatsgebiet Palästina emigriert waren. 

Inhalt

Wie im Teil Eins der Serie berichtet, emigrierten, beziehungsweise flüchteten an die vierzig architekturschaffend tätige Personen, die ihre Ausbildung an einer Wiener Architekturschule erhalten hatten, ins britische Mandatsgebiet Palästina. Der dritte Teil dieser Serie beleuchtet den bedeutenden Beitrag dieser Architektinnen und Architekten zur Moderne in Haifa. 

 

Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Felix Salten (1869–1945), der das Land 1924 bereist hatte, hielt in seinem Buch Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästina­fahrt unter anderem folgende Erinnerungen über seine Eindrücke von Haifa fest: 

„Da stehen Einfamilienhäuser und sind schon bewohnt, obwohl der Dünensand, in den man versinkt, noch nicht zur Strasse geebnet ist. Da werden andere Villen gebaut, fast so viele, fast so schnell, wie in Tel Awiw. Und sie alle warten der nahen Zeit, in der Haifas monumental angelegter Hafen der grosse Handelsplatz, das umdrängte Eingangs- und Ausgangstor für Palästina sein wird.“1

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Abb. 1: Leopold Krakauer, Hotel Teltsch, Haifa,1940 (stark verändert).

Während der Zeit des britischen Mandats wurde die Küstenstadt Haifa zu einem bedeutenden Knotenpunkt, der dank des strategisch wichtigen Hafens sowie der Ölindustrie florierte.2 Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt am Karmelgebirge mag ein Grund dafür gewesen sein, dass ein bemerkenswert hoher Anteil jener Architekturschaffenden, die während ihrer Ausbildung an einer der Wiener Architekturschulen eingeschrieben und während der 1920er- und 1930er Jahre ins Mandatsgebiet Palästina emigriert waren, sich hier etablierten und die Architektur der Stadt beachtlich mitgestalteten. Moshe Gerstel (1886–1961), Alfred Goldberger (1908–1979), Otto Hoffmann (1898–1974), Gideon (Guido) Kaminka (1904–1985), Anna Klapholtz (1909–?), Israel Komet (1912–1985), Theodor Menkes (1906–1973) und Yohanan Hans Sobelsohn (1890–1961), die allesamt die Technische Hochschule Wien absolviert hatten, liessen sich längerfristig in Haifa nieder, wo sie an der lokalen Architekturproduktion massgeblich beteiligt waren. 

 

Josef Berger (1898–1989), der unter anderem grossvolumige Wohnbauten im Roten Wien errichtet hatte, emigrierte mit seiner Frau, der Künstlerin Margarete Hamerschlag (1902–1958) 1934 nach Haifa, wo sie für ungefähr zwei Jahre lebten, bevor das Ehepaar nach London weiterzog.3 Ebenso blieben die Architekten Leopold Krakauer (1890–1954) und Carl Rubin (1899–1955), die bereits in den 1920er Jahren nach Eretz Israel auswanderten, nur vorübergehend in Haifa, wo sie zunächst im Büro von Alexander Baerwald (1877–1930) arbeiteten. Rubin war später hauptsächlich in Tel Aviv tätig,4 Krakauer zog nach Jerusalem weiter, war aber mit der Villa Sonnenberg (1937) und dem Hotel Teltsch (1940) und noch später mit Projekten in Haifa befasst.5 [Abb.1]

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Abb. 2: Moshe Gerstel, Villa Asfour, Haifa, 1937.

Auch Josef Neufeld (1899–1980), der bei Clemens Holzmeister (1886–1983) studiert hatte und Paul Engelmann (1891–1965), ein Schüler und Mitarbeiter von Adolf Loos (1870–1933), wurden nach ihrer Auswanderung ins britische Mandatsgebiet Palästina zwar nicht in Haifa ansässig, trugen jedoch zum Baugeschehen der Stadt bei. Das 1937 in Haifa entstandene Haus Yedlin von Paul Engelmann zählt zu den wenigen Gebäuden in Israel, die nach dem Raumplan – der Architekturauffassung von Adolf Loos – konzipiert wurden.6 Loos selbst entwarf um 1930 eine Villa für den Prager Arzt Dr. Josef Fleischner, die auf dem Karmelgebirge in Haifa errichtet werden sollte; das Projekt bliebt jedoch unverwirklicht.7 Anders als dieses Haus, das nie über das Planungsstadium hinauskam, gelangten zahlreiche andere Bauwerke, die sich in räumlicher und zeitlicher Nähe befanden und auch von Architekten mit Wiener Hintergrund entworfen wurden, tatsächlich zur Ausführung. 

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Abb. 3: Moshe Gerstel, Markthalle Shuk Talpiot, Haifa 1937–1940.

In diesem Zusammenhang ist vor allem Moshe Gerstel zu nennen, der an der Technischen Hochschule Lemberg und der TH Wien studierte. Aufgrund des zunehmenden Antisemitismus emigrierte er aber – als bereits erfahrener Architekt mit Praxis in Österreich und Rumänien – 1935 nach Eretz Israel. In Haifa zählte Gerstel zu den meistbeschäftigten Architekten seiner Zeit. Gerstel, ein jüdischer Architekt, wurde auch von mehreren arabischen Auftraggebern und Auftraggeberinnen mit dem Bau von Villen beauftragt. [Abb.2] Das prominenteste Bauwerk Moshe Gerstels dürfte die 1937–1940 entstandene Markthalle des Shuk Talpiot in Haifas Stadtviertel Hadar HaCarmel sein.8 [Abb.3]

 

Der gebürtige Wiener Guido Kaminka nahm nicht nur als Architekt, sondern auch als Kommunalpolitker Einfluss auf die städtebauliche Entwicklung Haifas. Teil seines Schaffens war etwa das Beth Ha­Shaon (1934–1936),9 ein in der Formensprache modernistisches Gebäude, das seinen Namen einer grossen Uhr an der Fassade verdankt. [Abb.4] Der ebenfalls aus Wien gebürtige Architekt Alfred Goldberger, zu dessen Oeuvre unter anderem eine grosszügig angelegte Siedlung für Bedienstete von Haifas Ölraffinerie zählte, wurde vor allem für das sogenannte Casino Bat Galim bekannt – einen gesellschaftlichen Treffpunkt, der sowohl bei der Bevölkerung Haifas als auch bei den Angehörigen der britischen Verwaltung beliebt war.10 Bedauerlicherweise wurde das Gebäude abgerissen. Es sollte rekonstruiert werden, dies blieb aber ein unfertiger Rohbau. [Abb.5] Theodor Menkes, der wie Goldberger seine Ausbildung an der Technischen Hochschule Wien erhalten hatte, profilierte sich in Haifa durch eine Reihe von Wohnbauten. Ein 1938–1941 von ihm entworfenes Wohngebäude, das aufgrund des grossflächigen Einsatzes von Glasbausteinen als „Glashaus“ bezeichnet wurde, erregte besonderes Aufsehen.11 [Abb.6]

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Abb. 4: Gideon (Guido) Kaminka, Bet HaShaon, Haifa, 1934–1936.

Dieser kurze Überblick wirft nur einige Schlaglichter auf Leben und Werk von in Wien ausgebildeten Architektinnen und Architekten in Haifa. Während die Bauten der Moderne in Tel Aviv internationale Aufmerksamkeit und besonderen Schutz erhalten haben, blieb das zur selben Zeit entstandene baukulturelle Erbe Haifas im Schatten der geschickt vermarkteten „White City“. Wie bereits die hier nur exemplarisch angeführten Beispiele verdeutlichen, ist die Moderne Haifas jedoch keineswegs weniger beachtenswert – insbesondere im Hinblick auf den Beitrag jener Architekturschaffenden, die aus Österreich emigrierten, beziehungsweise flüchten mussten. 

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Abb. 5: Alfred Goldberger, „Casino“ Bat Galim, Haifa 1934 (abgerissen), unfertige Rekonstruktion 

 

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Abb. 6: Theodor Menkes, „Glashaus“, Haifa 1938–1941.

 

Alle Abbildungen: Fotos Matthias Dorfstetter (2018), mit freundlicher Genehmigung.

 

 

 

Anmerkungen

1    Felix Salten, Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt, Berlin/ Wien/Leipzig (Paul Zsolnay) 1925, 263–264.

2    Vgl. Tzafrir Fainholtz, A Mediterranean Vienna: The Work of Viennese Architects and the Presence of Central European Culture in the Haifa of the 1930s and 1940s, Leo Baeck Institute Year Book Vol. 62,197–223, hier: 201.

3    Vgl. Warhaftig, Myra: Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918–1948, Tübingen/ Berlin (Wasmuth) 1996, 376.

4    Biographie Carl Rubin: vgl. Warhaftig 1996, 108–115.

5    Biographie Leopold Krakauer: vgl. Warhaftig 1996, 60–67. Zu seinen Bauten in Israel vgl. auch Werner Winterstein: Gekommen, um zu bleiben. Der Wiener Architekt Leopold Krakauer in Palästina. In: DAVID 139, Chanukka 2023, link: https://davidkultur.at/artikel/gekommen-um-zu-bleiben-der-wiener-architekt-leopold-krakauer-in-palaestina, Anm. d. Red.

6    Vgl. Judith Bakacsy, (Hg.), Paul Engelmann und das mitteleuropäische Erbe. Der Weg von Olmütz nach Israel. Paul Engelmann and the Central European Heritage. The Path from Olomouc to Israel, Wien/ Bozen (Folio) 1999, 79.

7    Vgl. Ines Weizman, Adolf Loos in Palestine, in Jörg Stabenow/ Ronny Schüler (Hg.): Vermittlungswege der Moderne – Neues Bauen in Palästina (1923–1948) The Transfer of Modernity – Architectural Modernism in Palestine (1923–1948), Berlin 2019 (Gebr. Mann), 83–98, hier 85–96.

8    Biographie Moshe Gerstel: Vgl. Warhaftig 1996, 210–215.

9    Biographie Gideon Kaminka: Vgl. Warhaftig 1996, 348–353.

10    Vgl. Gilbert Herbert/ Silvina Sosnovsky, Bauhaus on the Carmel and the Crossroads of Empire: Architecture and Planning in Haifa during the British Mandate, Jerusalem (Yad Izhak Ben-Zvi) 1993, 150–151.

11    Vgl. Ines Sonder, Carmel: The International Style in Haifa, Tel Aviv (Bauhaus Center), 119.