Wenn in den dunklen Winterwochen jüdische Familien überall auf der Welt die kleinen Flammen der Chanukkija entzünden, leuchtet weit mehr als nur Kerzenlicht. Chanukka, das achttägige Lichterfest, erinnert an den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, des Glaubens über die Unterdrückung – und an die unerschütterliche Kraft kultureller Identität.
Jedes Licht der Chanukkija erzählt eine Geschichte, ein Stück Erinnerung, ein Stück Zuversicht.
In unseren Häusern stehen heute moderne Leuchter, aus Silber oder Messing, manchmal auch bunt aus Glas. Aber ihr Licht ist dasselbe wie damals im Tempel zu Jerusalem, zur Zeit der Makkabäer.
Der Ursprung des Festes liegt über 2.000 Jahre zurück: Im 2. Jahrhundert v. d. Z. besiegten die Makkabäer, eine jüdische Widerstandsgruppe, das seleukidische Heer des Königs Antiochus IV. Epiphanes. Dieser hatte den Tempel in Jerusalem entweiht und das Ausüben der jüdischen Religion verboten. Nach dem militärischen Sieg der Makkabäer wurde der Tempel gereinigt und neu geweiht – „Chanukka“ bedeutet wörtlich „Einweihung“.
Der Legende nach fand man beim Wiederaufbau nur ein einziges Krüglein reinen Öls, versiegelt mit dem Siegel des Hohepriesters. Genug, um den siebenarmigen Tempel-Leuchter, die Menora, für einen Tag zu entzünden. Doch das Öl brannte acht Tage lang – Zeit genug, um neues, reines Öl herzustellen. Dieses „Ölwunder“ steht bis heute im Mittelpunkt unseres Festes.
War es ein physikalisches Wunder? Vielleicht. Oder vielleicht ein anderes: Dass Menschen in einer Zeit der Verzweiflung überhaupt den Mut fanden, dieses eine kleine Krüglein Öl anzuzünden – das war das eigentliche Wunder.
Der Frankfurter Rabbi Samson Raphael Hirsch, der im 19. Jahrhundert lebte, schrieb einst, das Licht der Chanukkija sei „kein Licht der Macht, sondern der Treue“. Es erinnert uns daran, dass jüdisches Leben nie selbstverständlich war – und doch immer fortbesteht.
Der neunarmige Chanukka-Leuchter heisst auf Hebräisch Chanukkija. Acht Lichter stehen für die acht Festtage, das neunte – der Schamasch („Diener“) – dient zum Entzünden der anderen Kerzen. An jedem Abend kommt eine weitere Kerze hinzu, bis alle Lichter strahlen.
Wir stellen unsere Chanukkija nicht in den hinteren Winkel des Zimmers, sondern an das Fenster, zur Strasse hin und tragen damit unser Licht in die Welt hinaus. Das war schon im alten Diasporaland Babylon so, und es ist so überall, wo Juden leben – trotz allem.
Traditionell werden Segenssprüche gesprochen und Lieder gesungen. Die Küche duftet nach Öl – nach Latkes, den goldbraunen Kartoffelpuffern, und nach Sufganiot, den süssen Krapfen. Diese Speisen erinnern uns an das Ölwunder im Tempel. Auch das ist Chanukka: das gemeinsame Essen, das Lachen der Kinder, die Wärme der Familie.
Auch der Dreidel, ein kleiner Kreisel mit hebräischen Buchstaben, die den Satz ergeben – Nes gadol haja scham, „Ein grosses Wunder geschah dort“, gehört zu Chanukka. Das Kreiselspiel, einst ein Mittel, heimlich Tora zu lernen, ist heute ein fröhlicher Bestandteil des Familienfestes.
Chanukka ist nicht nur Erinnerung an ein Wunder, sondern eine Aufgabe: das eigene Licht zu finden und weiterzugeben. In einer Welt, die manchmal kalt und zynisch scheint, sind acht kleine Flammen ein leises, aber beharrliches Bekenntnis zum Glauben, zur Hoffnung und zur Menschlichkeit.
In der Diaspora ist Chanukka zu einem sichtbaren Zeichen jüdischen Lebens geworden. Das Entzünden der Lichter ist dabei nicht nur religiöses Ritual, sondern auch ein Akt des Stolzes und der Zugehörigkeit.
Gerade heute, in einer Zeit wachsender Unsicherheiten und Spannungen, gewinnt Chanukka neue Aktualität. Die Flamme in der Chanukkija erinnert daran, dass Hoffnung und Glaube selbst in der tiefsten Dunkelheit Bestand haben können.
Chanukka ist somit weit mehr als ein Erinnerungsfest – es ist ein Bekenntnis zum Leben, zur Freiheit und zur Würde des Menschen.
Wenn die letzte Kerze brennt, und die Flammen still im Fenster flackern, dann wird man still. Man sieht, wie das Wachs zergeht, wie das Licht kleiner wird – und weiss doch: Nächstes Jahr wird es wieder brennen.
Denn das ist das Geheimnis von Chanukka: Nicht das grosse Wunder der Vergangenheit trägt uns, sondern das kleine Wunder der Treue – dass wir nie aufhören, Licht zu entzünden.
Chanukka sameach! – Möge das Licht des Festes unsere Herzen wärmen und die Dunkelheit der Welt erhellen.