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Das Wiener Schweden-Kino Ein Schnittpunkt jüdischer Schicksale

Ursula Prokop

Als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die neue Technologie des Kinos einen schnellen und äusserst erfolgreichen Aufstieg erfuhr, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass sich jetzt auch breite ärmere Bevölkerungsschichten diese Art der Unterhaltung leisten konnten, engagierten sich auch zahlreiche Juden und Jüdinnen in dieser Branche. 

Inhalt

Dies erklärt sich durch den Umstand, dass zahlreiche alteingesessene Gewerbe für Juden noch immer nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich waren. Bemerkenswerterweise betrieben auch relativ viele Frauen, die von jeher im so genannten „Schaustellerbereich“ tätig waren, die „Filmtheater“ – wie man damals die Kinos nannte. Eine dieser Frauen war Ella Barth, die, aus einer jüdischen Familie in Baden bei Wien stammend, in der Zwischenkriegszeit das „Schwedenkino“ leitete. Das Kino befand sich in einem imposanten Eckgebäude an der Taborstrasse am Ufer des Donaukanals. Der ursprüngliche Name der bereits 1917 gegründeten Vergnügungsstätte war eigentlich „Ferdinand-Kino“, so benannt nach der gleichnamigen, zu Fusse des Gebäudes liegenden Brücke. Von Anbeginn an war es als „Grosskino“ mit rund siebenhundert Sitzplätzen äusserst grosszügig angelegt.1 Der Architekt des beeindruckenden Eckgebäudes – wie auch des Kinos – war Emil Reitmann (1870–1943), der das Lichtspiel­theater auch die ersten Jahre betrieb. Aus Galizien kommend war es ihm geglückt, in Wien eines der führenden Baubüros zu betreiben. Die von ihm errichteten Miethäuser, wie auch das Eckgebäude an der Taborstrasse, zeichneten sich durch einen grossstädtischen, eleganten Gestus aus. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er 1938 als Jude seines Besitzes beraubt und kam 1943 im KZ Theresienstadt um.2

Als nach Ende des Ersten Weltkrieges die Ferdinand-Brücke aus Dankbarkeit für die grosszügigen Spenden der Schweden in „Schwedenbrücke“ umbenannt wurde, erhielt auch das Kino seinen neuen Namen. Aufgrund seiner Grösse und infolge des Umstandes, dass es ein „Erstaufführungskino“ war, gehörte das „Schwedenkino“ zu den bedeutendsten Lichtspieltheatern in Wien. 1927 übernahm die KIBA (Kino Betriebsgesellschaft Ges. m. B.) die Spielstätte. Das Kino wurde von Hubert Gessner, einem der führenden Architekten der Zwischenkriegszeit, modernisiert und an das das Ehepaar Ella und Leopold Barth verpachtet, wobei Ella diejenige war, die sich weitgehend um den Kinobetrieb kümmerte, während ihr Mann den Filmverleih American Film Company, die insbesondere MGM- und Paramount-Filme vertrieb, und eine Radiogesellschaft führte.3 Leopold Barth (1886 Olmütz–1936 Wien), der aus einer jüdischen Familie aus Mähren stammte, kam ursprünglich vom Theater, hatte sich aber schon vor dem Ersten Weltkrieg im Kinobetrieb engagiert.4 Durch seine Beteiligung an Filmverleihfirmen und seinen zahlreichen Fachpublikationen war er generell eine wichtige Persönlichkeit im österreichischen Filmbetrieb der Zwischenkriegszeit. Ella Barth (1878 Baden bei Wien–1960 Wien) war einige Jahre älter als ihr Mann und bereits in zweiter Ehe verheiratet. 

 

Infolge der Beteiligung Leopold Barths an der American Film Company wurden im „Schwedenkino“ grossteils amerikanische Filme aufgeführt, daneben aber auch immer wieder politisch engagierte Streifen. Anfang der Dreissigerjahre gehörte das Kino nach einem neuerlichen Umbau zu den ersten Tonkinos in Wien. Eine bedeutende Episode in der Geschichte des „Schwedenkino“ war zu Beginn des Jahres 1931 die Aufführung des Streifens Im Westen nichts Neues, die amerikanische Verfilmung des berühmten pazifistischen Romans von Erich Maria Remarque. Bereits vor der Aufführung gab es heftige Diskussionen, insbesondere seitens rechtskonservativer Kreise, die in dem Film eine Diffamierung des Militärs sahen und ein Aufführungsverbot verlangten. In der Folge kam es zu Bombendrohungen und versuchter Brandstiftung der „Hakenkreuzler“, wie man die österreichischen Nazis damals nannte. Als ungeachtet dessen der Film am 8. Jänner im „Schwedenkino“ uraufgeführt wurde, glich das Areal rund um das Kino, das weiträumig mit einem riesigen Polizeiaufgebot abgesperrt war, einem Heerlager. Es kam zu schweren, von stark antisemitischen Untertönen geprägten Krawallen mit zahlreichen Verletzten und Festnahmen. Das Medienecho war dementsprechend gross, nach wenigen völlig ausverkauften Vorführungen, wurde der Film – angeblich, um weitere Demonstrationen zu verhindern – bereits am nächsten Tag verboten.5

 

Eine weitere denkwürdige Veranstaltung im „Schwedenkino“ war die Aufführung des Films Karl Kraus – aus eigenen Schriften im April 1934 aus Anlass des sechzigsten Geburtstages des Schriftstellers. Der Streifen, in dem Karl Kraus vier seiner Aufsätze rezitierte, war kurz zuvor in Prag unter der Leitung des Regisseurs Albrecht Viktor Blum angefertigt und von dem mit Kraus befreundeten Architekten Karl Jaray finanziert worden. Auch Jaray, der einer bekannten Familie von Künstlern und Architekten angehörte, wurde als Jude 1938 zur Emigration gezwungen.6 Im selben Jahr liess sich die Pächterin des Kinos Ella Barth neuerlich auf Schwierigkeiten ein, in dem sie den verbotenen Propagandafilm Lasset die Juden nach Palästina aufführte, was ihr zahlreiche Beschwerden einbrachte.7 In der vom Landesverband der Zionisten organisierten Aufführung forderte der Zionisten-Führer Vladimir Jabotinsky zur Masseneinwanderung nach Palästina auf. 

 

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Neben den politischen Angriffen musste Ella Barth, die in Zusammenarbeit mit ihrem Mann einen erstaunlichen Nonkonformismus an den Tag gelegt hatte, auch mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Dreissigerjahre kämpfen. Die Krise in der Filmindustrie hatte bereits 1933 zum Konkurs von Leopold Barths Filmverleihfirma geführt, der in der Folge einen Selbstmordversuch mit Veronal unternahm, der allerdings scheiterte.8 Seine Bemühungen, nach seiner Genesung in andere Verleihfirmen einzusteigen, blieben letztlich erfolglos. Als er schliesslich im Jänner 1936 erst fünfzigjährig verstarb, blieben die Umstände seines Todes ungeklärt. Die verwitwete Ella Barth versuchte das „Schwedenkino“ alleine weiterzuführen, konnte aber offenbar ohne Unterstützung der Unternehmen ihres Mannes den Betrieb nicht aufrechterhalten, so dass sie anfangs 1937 Konkurs anmelden und den Kinobetrieb zurücklegen musste.9 Tragischerweise haftete sie als Pächterin mit ihrem Privatvermögen für die ausstehenden Schulden, so dass sie ihren Schmuck und sogar ihre Möbel verkaufen musste.10 Das Schicksal Ella Barths in der NS-Zeit ist ungeklärt. In den Deportationslisten scheint sie nicht auf. 1960 verstarb sie in Wien und wurde auf dem Grinzinger Friedhof im Grab ihres Mannes beigesetzt. Wie es ihr gelang, diese Zeit zu überleben, sei es im Ausland oder gar als U-Boot in Wien, lässt sich nicht rekonstruieren.11

Das „Schwedenkino“ war 1938 von der Ostmärkischen Film GesmbH übernommen worden und diente weitgehend der Aufführung von Nazi-Propagandafilmen. Während des Zweiten Weltkrieges stark zerstört, wurde das Kino, das in der Zwischenkriegszeit eine kulturpolitisch so wichtige Rolle gespielt hatte, nach Kriegende nicht mehr in Betrieb genommen.12

 

Das hier angeführte Beispiel steht stellvertretend für viele andere und zeigt, wie neue Technologien wie das Kino neue Aufgabenbereiche erschlossen und die Gesellschaft verändert haben. Bemerkenswert viele Juden und Jüdinnen waren in diesen Entwicklungsprozess involviert und haben Mut an den Tag gelegt, indem sie es wagten, auch Unpopuläres und Kontroversielles zu zeigen. Dies führte dazu, dass sie häufig zur Zielscheibe des bereits in der Zwischenkriegszeit von grosser Aggressivität geprägten Antisemitismus wurden. Diese Aggressivität sollte sich dann 1938 – nach dem sogenannten Anschluss – entladen. 

 

Anmerkungen

1 WStLa M.Abt.104, A-11, Ferdinandkino.

2 Architektenlexikon Wien 1770-1945 (http://past.azw.at )

3 WStLA M.Abt.104, A-11, Ferdinandkino und Wiener Zeitung 14.7.1926 (https://anno.onb.ac.at)

4 Leopold Barth, der aus Olmütz stammte, begann als Komiker und Direktionssekretär an kleinen Provinztheatern. Bereits 1914 war er Direktor des „Kosmos Kinos“ (Reichspost 30.1.1914) in Wien.

5 U. a. Arbeiterzeitung 8.1.1931 und Der Tag 10.1.1931 (https://anno.onb.ac.at)

6 Brigitte Stocker, Rhetorik eines Protagonisten gegen die Zeit. Karl Kraus als Redner in den Vorlesungen 1919.32, Wien 2013 u. und Karl Jaray (1887 -1947), Wiener Architekt, der als Jude nach Argentinien emigrieren musste, In: Architektenlexikon Wien (https://www.architektenlexikon.at)

7 WStLA, siehe Anm. 3.

8 Der Abend 16.1.1933 (https://anno.onb.ac.at)

9 Der Wiener Film 23.2.1937.

10 Der Tag 21.4.1937.

11 Meldezettel vom 8. 1.1960/WStLa.

12 Florian Pauer/Thomas Jelinek, Die Wiener. Kinos: Dokumentation 1896-2022, 2022, Bd.1, S.262ff.