Ausgabe

Der Vater des modernen Schachspiels Wilhelm Steinitz

Michael Bittner

„Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee verschlossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt, denn je mehr sich einer begrenzt, um so mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe; gerade solche scheinbar Weltabseitigen bauen in ihrer besonderen Materie sich termitenhaft eine merkwürdige und durchaus einmalige Welt.“1

Inhalt

Als Stefan Zweig kurz vor seinem Selbstmord die Schachnovelle schrieb, hatte er da Wilhelm Steinitz im Kopf? Es sieht fast so aus, als ob der Kampf des genialen, impulsiven Dr. B. gegen den berechnenden Weltmeister Czentovic sein Vorbild in den letzten Lebensjahren des Schachgrossmeisters Steinitz gehabt hätte. Wilhelm Steinitz wurde als Wolf Steinitz in Prag 1836 geboren und starb als William Steinitz 1900 in New York. Er wurde in eine arme Familie mit dreizehn Kindern geboren und starb verarmt nach einer Weltkarriere, ein Leben, das zu Spekulationen und Legendenbildung Anlass bot. Die Epoche Kaiser Franz Josephs ermöglichte es auch Kindern aus der jüdischen Unterschicht, trotz körperlicher Missbildung, Karriere zu machen und aus der tristen Lebenswelt ihrer Familie herauszutreten. Um „etwas“ zu werden, musste man Böhmen verlassen und nach Wien gehen. Steinitz begann 1858 in der Reichshaupt- und Residenzstadt Mathematik zu studieren, brachte sich mit Zeitungsartikeln durch, entdeckte aber bald, dass man mit seiner Leidenschaft, dem Schachspiel, in Kaffeehäusern wie dem Café de l’Europe oder dem Café Rebhuhn mehr verdienen konnte. Die Wiener Schachgesellschaft wurde auf ihn aufmerksam, als hilfreich erwiesen sich sein unangepasstes Verhalten und seine unschöne körperliche Erscheinung. Bereits zu Beginn seiner Karriere erreichte er Spitzenplätze bei Turnieren, ab 1862 spielte er im Ausland, sein erstes Turnier war in London. Für die Reisekosten musste er selbst aufkommen, die Wiener Schachgesellschaft wollte sich mit seinem Aussehen nicht blamieren und weigerte sich, ihn als offiziellen Vertreter zu entsenden. Die Erfolge in England führten 1866 zu einem Kampf gegen den preussischen Schachmeister Adolf Anderssen, den Steinitz für sich entscheiden konnte – gleichzeitig erlitt die k.u.k. Armee bei Königgrätz eine vernichtende Niederlage gegen Preussen. Danach errang Steinitz bis 1872 keine Turniererfolge mehr, doch kehrte er dann mit Siegen in London und ein Jahr später, 1873 in Wien in die Bestenliste zurück. Daraufhin rankten sich erste Legenden um seine Person, etwa über eine Partie mit dem Bankier Gustav von Epstein. Von London aus spielte Steinitz damals Fernpartien gegen die ganze Wiener Schachgesellschaft, die er alle für sich entscheiden konnte.

 

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Von Autor/-in unbekannt – copied from dutch wikipedia (see: nl:Image:Wilhelmsteinitz.jpg with different name because the origininal one is allready used on Commons. Originally uploaded to dutch wikipedia by nl:User:Jaapvanderkooij at 7 apr 2004 13:23.http://chesskids.com.au/wp-content/uploads/2009/09/Wilhelm_Steinitz22-243x300.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=505671

 

Steinitz gilt heute als Begründer des modernen Schachspiels, der das strategische Denken an die Stelle der romantischen Impulsivität setzte. Er unterbrach seine Karriere mehrmals für einige Jahre, beschäftigte sich mit Schachtheorie und gab Fachzeitschriften heraus, etwa International Chess Magazine. Sein Standardwerk The Modern Chess Instructor erschien 1889. Wilhelm Steinitz war Jude ebenso wie sein Nachfolger als Weltmeister, Emanuel Lasker. Die Liste der jüdischen Schachgrossmeister ist lang, Garry Kasparow und Bobby Fischer etwa waren jüdischer Herkunft, wenngleich letzterer als Antisemit auftrat. Die höchste Dichte an Schachgenies gibt es übrigens in der Negev-Wüste, in Beer Schewa. Vielleicht hat das komplexe Denkmuster eines guten Schachspielers ja mit dem labyrinthischen Geistesfluss des Talmud zu tun?2

 

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Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?
curid=505644

 

Langfassung dieses Beitrags in der Online-Ausgabe von Heft 147, www.davidkultur.at

 

Anmerkungen

1 Quelle: Zitate und Textstellen • Schachnovelle • Lektürehilfe
https://www.inhaltsangabe.de/zweig/schachnovelle/zitate-und-textstellen/

2 https://www.juedische-allgemeine.de/religion/spiel-der-koenige-2/ abgerufen 14.11.2025.