In früheren DAVID-Ausgaben wurden bereits wiederholt Arbeiten zur computergestützten Rekonstruktion von Synagogen präsentiert. Von diesen unterscheidet sich der nun vorliegende Standort in Wien-Hietzing in vielerlei Hinsicht 1.
Zu allererst wäre die freistehende Lage zu erwähnen: Zum einen deckt die Baulichkeit der Synagoge in der Straßenfront nicht die gesamte Parzellenbreite bis zur Grundstücksgrenze ab, zum anderen ist vor dem Gebäude auf Grund der Rückversetzung ein gewisses Maß an Freiraum gegeben. Das städtebauliche Merkmal des „Freistehens" stellte für eine Synagoge im Wiener Kontext ein Unikum dar, wurden doch Tempelbauten für gewöhnlich geschlossen in die Straßenfront eingeordnet. Im Extremfall (wie z.B. im Fall der Seitenstettengasse) sind straßenseitig so gut wie gar keine Hinweise darauf vorhanden, dass es sich um einen Sakralbau handelt. Mitunter versuchte man dem entgegen zu wirken, indem einem Baukörper Turmaufbauten aufgesetzt wurden, deren Höhe vermutlich Gegenstand einer nicht schriftlich dokumentierten „Verhandlung" gewesen sein muss.
Die „Neue-Welt-Synagoge" aus der Vogelperspektive.
(Zur besseren Vermittlung des Interieurs wurde in dieser Visualisierung das Dach entfernt).
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Interessant ist bei der Synagoge im Hietzinger Villenviertel auch die planerische Vorgangsweise. Anders als sonst üblich, entschied man sich nicht für eine Direktvergabe an einen einzigen Architekten, sondern für das Instrument des „Architekturwettbewerbs". Auf Grund der (zahlreichen) Beteiligung kann von einer Auswahlmöglichkeit ausgegangen werden. In den Ausschreibungsbedingungen werden die Modi zur Teilnahmeberechtigung dargelegt; der Adressatenkreis kann entweder erweitert oder eingeengt werden. Es würde zu weit führen, in diesem Zusammenhang die verschiedenen Durchführungsarten zu erläutern (Mehrstufigkeit, Anonymität, Geladenheit, etc.). Die Belohnung der Teilnehmer besteht darin, dass einzelne Projekte prämiert werden und das Siegerprojekt u.U. baulich errichtet wird. Die Arbeitsleistung wird vom Architekten auf Verdacht eingebracht und nährt sich von der Hoffnung auf Publizität, zumal die Mehrzahl der Projekteinreichungen im Endeffekt nicht finanziell honoriert wird. Der Vorteil für den Auftraggeber besteht darin, dass er über eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten verfügt. Durch diese Vorgangsweise findet letztlich auch ein fachlicher Diskurs statt.
Zentralperspektive in Richtung des Almemors (Erdgeschoß)
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Im Falle der Hietzinger Synagoge war dies zweifelsohne gegeben; den 1912 ausgeschriebenen Wettbewerb konnte Hugo Gorge für sich entscheiden (damaliger Standort: Onno-Kloppgasse). Zur Errichtung kam es letztlich nicht, weil die bauliche Verwirklichung durch den Ersten Weltkrieg verhindert wurde. 1924 erwarb der „Tempelverein Hietzing" eine Liegenschaft in der Eitelbergergasse 22, welche nunmehr als Bauplatz dienen sollte. Das Eckgrundstück grenzt an die Neue-Welt-Gasse, wodurch sich die nunmehrige Namensgebung des Tempels erklären lässt. Sowohl der Wechsel des Baugrundes als auch die inzwischen adjustierten Anforderungen ließen eine Neuausschreibung des Wettbewerbes – ebenfalls im Jahre 1924 - unerlässlich erscheinen 2.
Blick in Richtung der Frauengalerie (Modell geöffnet)
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Hugo Gorge konnte sich mit den geänderten, weil weitaus enger gefassten Ausschreibungsbedingungen nur teilweise anfreunden. Er plante dennoch seinen Entwurf um – allerdings erfolglos. Als Sieger aus dem zweiten Wettbewerb ging Arthur Grünberger hervor. Die erarbeitete Lösung sah eine räumliche Trennung der geforderten Funktionen vor und zwar in Form von Räumlichkeiten, welche einerseits liturgischen Zwecken und andererseits dem Gemeindeleben dienen sollten. Das Grundstück sollte zu einem späteren Zeitpunkt sogar aufgeteilt werden: Der genehmigte Teilungsplan vom 12.6.1928 sah die Verbauung des Eckgrundstücks vor, jedoch nicht die der daneben befindlichen Liegenschaft. Im Übrigen war nicht nur die Wettbewerbsjury mit Josef Hofmann, sondern auch der Kreis der Beteiligten mit Richard Neutra durchwegs namhaft besetzt 3.
Die Frage, weshalb der Tempel in freistehender Form errichtet werden „durfte", kann nur spekulativ beantwortet werden. Das bauliche Ergebnis ist zwar keinesfalls als ein „aufgemascherlter Wohnbau" mit Zusatzelementen bzw. –dekorationen zu betrachten, bleibt jedoch in seinen Dimensionen recht bescheiden. Von einer monumentalen Äußerung mit erheblicher Fernwirkung - vergleichbar mit Otto Wagners „Kirche am Steinhof" - kann nicht die Rede sein. Vielleicht ist darüber hinaus auch die fehlende Konkurrenz zu Kirchenbauten ins Treffen zu führen, sowie der Umstand, dass Hietzing wohl zu den meist begrünten Bezirken Wiens gehört. Dadurch „verschwindet" die Synagoge förmlich in der städtischen Landschaft.
Verdeutlichung der Interieurs im geöffneten Modellzustand
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Die virtuelle Rekonstruktion wurde von Roland Müller im Rahmen seiner Diplomarbeit [4] konzipiert. Abgesehen von vollständigen Einreichungsunterlagen, welche seinerzeit als Grundlage für die Baubewilligung dienten, konnte er sich auf (professionelle) Fotografien – sowohl im Außenbereich, als auch im Interieur – stützen. In der Tat ist die Art und Weise, wie das Licht in die Synagoge eindringt, wie auch die damit einher gehende gestalterische Ausprägung – die sich nicht bloß auf Formalismen stützt – bemerkenswert. Dabei werden konkrete Absichten verfolgt:
„Die Fenster, welche gewisse Ähnlichkeit zu Davidsternen aufweisen, segmentieren die Fassade in gleich große Teile. Jedes Segment besteht aus fünf übereinander angeordneten Fenstern, einem geringfügigen Vorsprung der Fassade und dem abschließenden, kreisförmig – eckigen Zinnenkranz. Mit der Aneinanderreihung verfolgte Grünberger wohl neben der Belebung der Fassade eine konstante Ausleuchtung des Innenraums." 4
Erschlossen wird die „Neue-Welt-Synagoge" über das Hauptportal in der Mittelachse, welche zu den Männersitzen führt. Die Frauengalerie wird über seitlich gelegene Treppen unter flankierenden Baldachinen erreicht. Dadurch werden die restlichen Baukörper visuell in den Hintergrund gedrängt. Das Zimmer des Rabbiners und weitere Nebenräumlichkeiten wurden in einem kompakten (eingeschossigen) Zubau hinter der Ostwand der Synagoge angeordnet.
Die Hietzinger Synagoge ist nicht zuletzt auch deshalb besonders interessant für synagogale Architektur, da in der Zwischenkriegszeit nahezu keine Tempelbauten mehr errichtet wurden. Im Wiener Kontext könnte allenfalls noch die Vereinssynagoge in der Brigittenauer Kaschlgasse angeführt werden (1931; Architekt: Franz Katlein). Außerhalb der österreichischen Landesgrenzen wäre diesbezüglich die sog. „Bauhaus-Synagoge" in Plauen erwähnenswert (1930; Architekt: Fritz Landauer).
Referenzen
[1] Genée, Pierre: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien: Löcker Verlag, 1987.
[2] Eisler, Max: Der Wettbewerb um eine Wiener Synagoge. Österreichische Bau- und Werkkunst, Band II., Wien 1925/1926.
[3] Wilhelm, Kurt: Computergestützte Entwurfsrekonstruktion am Beispiel Richard Neutras „Der Neue Welt Tempel" in Wien [Diplomarbeit TU-Wien]. Wien, 2002.
[4] Müller, Roland: Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Wien Hietzing [Diplomarbeit TU-Wien]. Wien, 2008.