Savyon Liebrecht: Die Frauen meines Vaters 1990 ist Meir dreißig, lebt in New York und sein erster Roman, den er mühelos in kürzester Zeit geschrieben hatte, war überraschend erfolgreich. Aber nun sucht er bereits seit drei Jahren den Stoff für ein neues Buch, und der ist nicht in seinem eigenen Leben zu finden, dazu erscheint ihm dieses doch zu belanglos. Zwischen sich und anderen Menschen hat Meir gewissermaßen eine Wand errichtet, zu seiner Mutter hat er ein äußerst distanziertes Verhältnis und die vielen Beziehungen zu Frauen waren ihm mit einer Ausnahme alle gleichgültig. Da teilt ihm seine Mutter plötzlich mit, dass sein Vater, den er für tot hielt, am Leben ist. Für Meir kommen Ereignisse und Gefühle aus seiner Kindheit in sein Gedächtnis zurück. Es sind wehmütige und bittere Erinnerungen und es ist sehr bald klar, warum Meir diese so sehr verdrängt hat, doch hindert ihn das nicht, darin auch die Möglichkeiten zur literarischen Verarbeitung zu sehen. Meir weiß nicht allzu viel über seinen Vater, der aus Polen stammt und dem Holocaust entkam, aber er erinnert sich voll Sehnsucht an einen jungen gutaussehenden Dichter, der sich so sehr um literarische Anerkennung bemühte und der es verstand, die Frauen zu faszinieren. Bei einem Wiedersehen mit seinem sterbenden Vater bleibt nur wenig Zeit, um über die Vergangenheit und damit auch über jene fünf Monate, die sie einst nach der Rückkehr der Mutter allein in Israel zurückblieben, zu sprechen. Meir, gefangen in seinen widerstrebenden Gefühlen, will dabei nicht zugeben, dass er sich nur zu genau erinnert, wie sie ohne Geld und bald auch ohne Wohnung waren und sein Vater daraufhin seine Anziehungskraft auf Frauen nützte, um sich und seinem siebenjährigen Sohn Unterkunft und Essen bei zahlreichen Geliebten zu verschaffen. Diese chaotische und für Meir oft sehr schwierige Periode endete mit einem Unglück, das den Vater ins Gefängnis und den total verstörten Sohn in ein Flugzeug Richtung New York brachte. Erst jetzt wird Meir erfahren, was damals wirklich geschehen ist. Wenn es ihm auch nicht gelingen wird, die Persönlichkeit seines Vaters ganz zu ergründen, so wird er doch zumindest verstehen, was ihn selbst zu dem Menschen gemacht hat, der er ist. Savyon Liebrecht gilt heute als eine der wichtigsten Autorinnen Israels; sie hat nach Meinung vieler mit diesem eben so traurigen wie wunderbaren Roman, der dazu noch überaus spannend ist, ihr bisher bestes Werk geschaffen.
Aus dem Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling.
München: dtv 2008
299 Seiten, Euro 15,50.-
ISBN 978-3-423-24626-2