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Gastkommentar

Wilhelm MOLTERER

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Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Österreich ist untrennbar mit der österreichischen Geschichte verbunden. Kulturell, künstlerisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich baut Österreichs Identität auf der innewohnenden Partnerschaft mit seinen jüdischen Mitbürgern auf. Welch wesentlichen Beitrag das Judentum zur Entwicklung unserer gemeinsamen Heimat geleistet hat, wird in vielfältiger Hinsicht deutlich.

Jedoch nicht immer wurde das Werk der vielen großartigen Künstler und der Beitrag der jüdischen Gemeinde so geschätzt, wie wir dies heute tun. In einer der dunkelsten Stunden der österreichischen Geschichte haben Gewalt, Verfolgung und Unrecht Platz gegriffen und unsere humanistischen Werte, die wir heute hochhalten, schlicht vernichtet. Für uns ist es immens wichtig, die Vergangenheit zu kennen und aufzuarbeiten, um die Zukunft gestalten zu können. Für mich sind die Europäische Idee und der gemeinsame Einigungsprozess ein Garant, diese furchtbaren Ereignisse nie wieder geschehen zu lassen. Europa ist nicht nur ein geographischer Ort, sondern vielmehr ein gemeinsamer innerer Auftrag.

Die Vorläuferorganisation der Europäischen Union wurde zwar anfangs mit einem wirtschaftlichen Gedanken gegründet, es zeigte sich jedoch sehr bald, dass die Europäische Idee mehr ist, als eine rein wirtschaftliche Basis. Natürlich ist für Österreich der Faktor Mitgliedschaft in der Europäische Union wesentlich für seinen wirtschaftlichen Erfolg in den vergangenen Jahren. Das Zusammenrücken des Kontinents und die EU-Erweiterung auf mittlerweile 27 Staaten haben Österreich in eine besondere Situation gebracht: Durch die europäische Einigung, liegt Österreich wieder im Herzen Europas. Sowohl die geographische, als auch die wirtschaftliche Basis sind ausgezeichnet und wurden aktiv genutzt. Dadurch wurde Österreich innerhalb weniger Jahre zu einem echten Wirtschaftszentrum und einer Drehscheibe in Zentral- und Mitteleuropa. Unsere heimischen Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Veränderungen nicht als Gefahr, sondern als große Chance gesehen. Sie haben die Notwendigkeiten der Zeit erkannt, aktiv zu gestalten und den Mut gehabt, die sich bietenden Gelegenheiten aktiv zu nutzen. Durch dieses Engagement und das proaktive Aufgreifen der europäischen Perspektive ist Österreich zu einem der größten Nutznießer der historischen „Europäisierung" geworden.

Unser Land hat in einer anderen Hinsicht aber noch viel mehr von der EU profitiert, als im wirtschaftlichen Bereich. Die Europäische Union hat sich in den vergangenen Jahren als Stabilitäts- und Friedensinstitution etabliert und uns Österreichern ein Gefühl der Sicherheit gegeben, das für viele heute schon selbstverständlich ist. Durch diesen gemeinsamen Europäischen Gedanken sind wir heute in ganz Europa vor Krieg und Gewalt geschützt. Wir dürfen dennoch nicht die Augen vor künftigen Herausforderungen verschließen. Um die EU als einmaliges Friedens-, Wohlstands- und Wirtschaftsprojekt voran zu bringen, müssen wir im Sinne einer starken EU eine neue Wertediskussion führen. Wir müssen neben dem „Denken in Staaten" auch zu einem „Denken in Kontinenten" übergehen. Wir müssen das Gemeinsame - auch in den Konfessionen - in den Vordergrund stellen, die Einzelinteressen einordnen und auch die Voraussetzungen für ein gemeinsames partnerschaftliches Vorgehen schaffen.

Daher gilt für mich heute mehr denn je, Europa als großes Ganzes zu sehen und die geeinte österreichische Linie außer Streit zu stellen. Lassen wir nicht zu, dass Umfragen und kurzfristige Ziele die europäische Perspektive und Österreichs Position in Europa diktieren. Skepsis und Intoleranz können wir nur mit offenen Armen und einem deutlichen Bekenntnis zu europäischen Werten begegnen. Nur durch diese gemeinsame Diskussion über Ziele und Werte können wir gemeinsam die Europäische Union langfristig und nachhaltig zu einer Union der Menschen machen. Die wesentliche Herausforderung für die österreichische Politik sehe ich in einem klaren Bekenntnis der politischen Verantwortungsträger zur gemeinsamen Europäischen Zukunft und deren engagierter Vermittlung sowie Kommunikation.

Ich bin daher überzeugt, dass nur ein starkes, von allen Staaten vereint getragenes Europa die Basis für Frieden, Sicherheit und Wohlstand sein kann.