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One Woman Show

Gregor GATSCHER-RIEDL

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„A ‚one woman‘ show was a rare event in Vienna till Tina Blau-Lang" schrieb die österreichisch-britische Kritikerin Ameliah Sarah Levetus in der New Yorker Kunstzeitschrift The Studio 1910 über eine Ausstellung der Malerin in der Wiener Galerie Arnot. Tatsächlich gehört die Künstlerin, die auch ein breites Œvre mit Perchtoldsdorfer Motiven hinterlassen hat, nach Angelika Kauffmann und der ein Jahr älteren Olga Wisinger-Florian zu den ersten prägenden Frauengestalten der österreichischen Kunstgeschichte.

Geboren wurde Regina Leopoldine - aber bald nur noch Tina gerufen - 1845 als zweites Kind des jüdischen Militärarztes Simon Blau in der Dienstwohnung, wo der 36jährige, 1840 aus Prag zugezogene Mediziner mit seiner Frau und dem Sohn Theodor lebte, später gesellte sich noch die Nachzüglerin Flora dazu. „Ich bin eine Ärarische, Majestät, ich bin  in der Heumarktkaserne geboren", erzählte sie später Kaiser Franz Joseph anlässlich einer Ausstellungseröffnung. Das Geburtshaus lässt sich nicht mehr lokalisieren, die Kaserne wurde Februar 1909 von der Gemeinde Wien übernommen und 1910 abgerissen. Als Ersatz wurde für die kaiserliche Infanterie die die wesentlich kleinere „Marokkanerkaserne" (heute Polizeikaserne) errichtet, der Rest des Grundstücks mit Wohnblöcken verbaut. „Ihr Vater hatte selbst einmal künstlerische Neigungen gehegt", schrieb Hertha Kratzer, und der Regimentsarzt der beim Infanterieregiment Nr. 48 „Erzherzog Ernst"  diente, als er hinter der Zeichenleidenschaft seiner Tochter malerisches Talent hervorblitzen sah.

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Tina Blau. Porträtaufnahme, datiert 1869.

Schon mit dreizehn Jahren erhielt Tina daher professionellen Zeichenunterricht von Antal Hanély, „einem Privatschüler  Waldmüllers - der mich gleich nach der Natur malen liess" wie die Künstlerin in einem Brief vom Februar 1900 schrieb. Der zwanzig Jahre ältere Ungar blieb seiner pädagogischen Begabung auch im weiteren Berufsleben treu und wirkte als Zeichenprofessor an der städtischen Schule im westungarischen Güns (Köszeg). Die Bedeutung dieser Lehrstunden unterstrich sie mit ihren weiteren Worten: „Die Bildchen hängen  noch bei Bruder Theodor und gestehe ich, dass sie mir heute viel Freude machen."

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Wallfahrtsort der mitteleuropäischen Plein-air-Malerei und ein zentraler Ort im Schaffen Tina Blaus: „Platz in Szolnok“, Öl / Leinwand, datiert 1874. Dorotheum Wien.

Förderung der malerischen Begabung im jüdischen Elternhaus

Die Hinwendung zur Landschaftsmalerei und die weitere Vertiefung führten zu einem neuen Lehrer, der biedere Hanély hatte in diesem Bereich wenig aufzuwarten. Obwohl Simon Blau in seinem weiten Freundeskreis mit Joseph von Führich, Professor an der Wiener Kunstakademie, persönlichen Umgang pflegte , übernahm die Ausbildung ab 1860/61  August Schaeffer von Wienwald, ein Schüler Franz Steinfelds, der als „Entdecker der Alpen" und erster Stimmungsmaler in der österreichischen Kunst gilt. Was sich Schaeffer von Steinfeld laut der Wiener Kunsthistorikerin Elke Wagner-Doppler angeeignet hatte, war eine profunde technische Ausbildung,  die Liebe zur Natur und der Blick für ein Motiv, die er und seine Studienkollegen bei ihren regelmässigen  Ausflügen ins Salzkammergut und in die bayrische Ramsau erwerben konnten.

Unter Schaeffers Einfluss entstanden unter freiem Himmel - „en plein air" - die ersten diesbezüglichen Arbeiten mit Prateransichten - ein von Ferdinand Georg Waldmüller entdecktes Motiv und Konstante im weiteren Schaffen Blaus, die später als „die Pratermalerin" etikettiert wurde. 1867 kommt es zur ersten Ausstellung von Werken der Malerin und auch ein Jahr später bei der Eröffnungsausstellung des Wiener Künstlerhauses ist Tina Blau mit einem Bild vertreten. Trotz dieser Erfolge war an eine geregelte Ausbildung an der Akademie in Wien nicht zu denken - die Männerbastion erwies sich für Frauen (noch) als uneinnehmbar, sodass sich Tina Blau in  Privatstunden weiterbildete und -entwickelte. Die Tatsache, dass ihr der Hochschulbesuch verwehrt wurde, sollte sie aber weiterhin begleiten und mündete in späteren Jahren zu einer diesbezüglichen Initiative der Künstlerin.

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„Sommertag im Prater“, Öl / Leinwand, entstanden im Todesjahr der Künstlerin 1916. Charakteristisch sind dabei die aufgelöste Malstruktur, der teilweise pastose Farbauftrag sowie ein auf Grün-Blaugrau-Kontraste abgestimmtes Kolorit. Dorotheum Wien.

1869 konfrontierte sich die junge Malerin im Zuge der „Ersten Internationalen Kunstausstellung" im Münchner Glaspalast mit den aktuellen Strömungen der Malerei Frankreichs, der „paysage intime" und dem „Réalisme der Schule von Barbizon. Für die nächsten fünf Jahre setzte sie ihre Studien in München bei Wilhelm Lindenschmidt an der „Kunstschule für Mädchen" - später „Damen-Akademie" - fort, wobei sie sich hier auf eine Empfehlung des Wiener Porträtmalers Joseph Matthäus Aigner verlassen konnte. Im Haus Lindenschmidts hatte sie sogar ein Atelier für Aktzeichnungen gemietet.

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„Studie aus Perchtoldsdorf“, Lithographie nach farbiger Kreidezeichnung, entstanden 1895 / 96.

Unterbrochen und zugleich vertieft wurde die Ausbildung durch zahlreiche arbeitsintensive Reisen inner- und ausserhalb der Monarchie. Auf diesen Studienaufenthalten lernte sie Zeitgenossen wie Eduard Charlemont kennen, Franz Rumpler, Eugen Jettel und vor allem den drei Jahre älteren Emil Jakob Schindler, mit dem sie seit 1866 eine lose Bekanntschaft verband.

Privater und künstlerischer „Lebensmensch" Emil Jakob Schindler

1872 kam es zwischen den beiden zu einer Liaison. Im Folgejahr beteiligte sich  Blau an der Wiener Weltausstellung (Donauregulierung), und es kam zu einem ersten, formenden  Aufenthalt in Szolnok, einem Schaffensort und Zentrum der „plein air"-Malerei  in der ungarischen Tiefebene an der Theiss. 1875 ging das Malerpaar Blau und Schindler eine Ateliergemeinschaft ein, kurze Zeit später wurde zusätzlich zum Stadtatelier in der Mayerhofgasse auf der Wieden ein weiteres im Prater im ehemaligen „Pavillon des Amateurs" der Weltausstellung von 1873 angemietet. Immer wieder unternahm sie Studienreisen unter anderem nach Holland, Ungarn oder Italien,  die sich  belebend auf ihre Farbpalette und Verständnis des Lichts  auswirkten. Sie besuchte auch die „Wallfahrtsstätten" der Pleinairisten in Barbizon und Fontainebleau in der Île-de-France. Parallel dazu begann sich  finanzieller Erfolg einzustellen, nicht zuletzt auf Grund der Förderung durch den im Wiener Kunstbetrieb einflussreichen Hans Makart. Die Atelier- und Lebensgemeinschaft mit Emil Jakob Schindler dauerte bis 1879.

Tina Blau war mittlerweile wirtschaftlich vollkommen unabhängig. Sie hatte nach dem Tod ihrer Eltern geerbt und konnte ihre Arbeiten auch recht gut im Kunstmarkt platzieren. 1883 erhielt Tina Blau die „mention honorable" für ihr monumentales Gemälde „Frühling im Prater" im Pariser Salon. Im selben Jahr heiratete sie nach Übertritt von der „mosaischen Konfession" in die evangelische Kirche ihren Kollegen Heinrich Lang.

Der Tier- und Schlachtenmaler hatte die Münchner Akademie absolviert und  sich in der Veterinärschule und den Gestüten der Fürsten von Thurn und Taxis auf Pferdemalerei spezialisiert, was ihm breite Anerkennung,  den Professorentitel und eine durchaus belastbare Freundschaft zum Prinzregenten Luitpold von Bayern eingebracht hatte. Die bayrische Landeshauptstadt wurde somit wieder Tinas Hauptwohnsitz, wo sie an der Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins die Fächer Landschaft und Stillleben unterrichtete. Die Sommermonate arbeitete sie aber nach wie vor in ihrem Prateratelier sowie auf Reisen und in der freien Natur. 1890 veranstaltete sie eine Ausstellung im Münchner Kunstverein, bei der sie 60 Werke zeigen konnte. Die anhaltenden Erfolge ermöglichten es ihr, auch an den prestigeträchtigen Weltausstellungen 1889 (Paris) und 1892 (Chicago) teilzunehmen. Nach dem Tod ihres Gatten unternahm sie Reisen nach Holland und Italien und kehrte dann, nach zehnjähriger Abwesenheit, 1891 dauerhaft nach Wien zurück.

Der Gedanke einer Ausbildungsstätte für Künstlerinnen hatte sie seit Jugend an begleitet und  beschäftigte sie auch nach den Münchner Jahren weiter. 1897 gründete Blau zusammen mit Adalbert Franz Seligmann die Wiener Kunstschule für Frauen und Mädchen, an der sie Landschaft und Stillleben unterrichtete. Am Ende des Schuljahres 1914/15 musste Tina Blau-Lang (sie war nun fast 70) nach 18 Jahren  ihre Lehrtätigkeit auf Grund fortschreitender Taubheit aufgeben. Sie wurde zum Ehrenmitglied der mittlerweile über 200 Schülerinnen zählenden Anstalt ernannt und ein „Tina Blau-Fonds" eingerichtet.

Die am 31. Oktober 1916 in Wien verstorbene Stimmungsimpressionistin Tina Blau zählt zu den bedeutendsten österreichischen Künstlerinnen. Im Damen-Trio des Fin-de-siècle Tina Blau, der eingangs genannten Olga Wisinger-Florian und Marie Egner war Blau künstlerisch führend und bereits zu Lebzeiten eine gesuchte Malerin.

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung G. Gatscher-Riedl.

  

Literatur:

  

Elke Doppler-Wagner, Zur künstlerischen Rezeption Ferdinand Georg Waldmüllers. Ungedr. Phil. Diss., (Wien 2007); Hertha Kratzer, Die grossen Österreicherinnen: 90 aussergewöhnliche Frauen im Porträt. (Wien 2001); Alexandra Ankwicz-Kleehoven, Tina Blau. Eine österreichische Malerin. In: Alma Motzko (Hg.), Frauenbilder aus Österreich. Eine Sammlung von 12 Essays. (Velden/Wien 1955); Erika Mayer-Oerhring (Hg.), Katalog zur Ausstellung Faszination Landschaft - Österreichische Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts auf Reisen: 23.07.1995 - 24.09.1995, (Salzburg 1995); G. Tobias Natter, Claus Jesina, Tina Blau (1845-1916). (Salzburg 1999).