1926 wurde die Raxbahn in Betrieb genommen. Pünktlich zum 90-Jahr-Jubiläum soll sie im Juli 2016 generalsaniert ihren Betrieb wieder aufnehmen. Bot die Sommerfrische-Region noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen tristen Anblick: einsam und leer die meisten Grand Hotels, Pensionen und Villen, so trug die Förderung des Alpintourismus durch die Aufstiegshilfe der Seilbahn doch wesentlich zu einer Wiederbelebung der verlassenen Landschaft bei.
In den 1980er Jahren: die urbane Sommerfrische-Idylle lag verlassen da, schäbig und baufällig waren die Schlösser und Grand Hotels des einstigen Wiener Bürgertums. Die meisten Attraktionen kannte man nur mehr von Erinnerungsschildern, ihre Bauten waren längst verschwunden. Tagesausflügler dominierten den lokalen Tourismus. Doch waren die Revitalisierungsversuche der letzten Jahre erfolgreich, die Region Reichenau-Semmering erblühte wieder. Wesentlichen Anteil daran haben die Festspiele Reichenau, die mit ambitionierten Theaterproduktionen das Publikum vor allem aus dem sommerlich heissen Wien anlocken und dazu verführen können, gleich ein paar Tage in der angenehmen Kühle der atemberaubend malerischen Landschaftskulisse zu verweilen. Den Beginn machte der Einfall, das leerstehende, langsam verfallende Südbahn-Hotel als ideale Bühne für experimentelle Theatervorführungen zu nutzen. Alptraumartig getrieben irrlichterte Alma durch die mit letzten Resten des Originalmobiliars ausstaffierten Zimmerfluchten.
Zauberberg
Nicht von ungefähr wird die Region Reichenau-Semmering mit dem Ambiente aus Thomas Manns Zauberberg verglichen. Den morbiden Charme der einstigen Grandeur, mit unzulänglichen Mitteln so lange wie möglich aufrecht erhalten, setzte zuletzt wohl am eindrucksvollsten der Film Grand Budapest Hotel in Szene, dessen fiktiver Schauplatz im böhmischen Kurort Karlsbad stellvertretend auch für die alpinen Sommerfrischeregionen der Habsburgermonarchie stehen soll. Und auch dieser Film orientiert
sich an literarischen Zeugnissen, deren bildermächtige Sprache es fertig bringt, die Stefan Zweigsche Welt von Gestern wenigstens in der Phantasie des Lesers wiederauferstehen lassen.
Es sind zum überwiegenden Teil jüdische Autoren, die hier für die Nachwelt Erinnerungsarbeit geleistet haben, indem sie Versunkenes für immer in Worte gefasst und so dem Vergessen entrissen haben. Arthur Schnitzlers Weites Land zählt nach wie vor zu den Theaterklassikern Wiens. Und auch Heimito von Doderer kommt bei seinen seitenreichen Beschwörungen dieser versunkenen Welt nicht am Semmering-Reichenauschen Sommerfrische-Idyll vorbei, von der Strudelhofstiege (erschienen 1951) bis zu den Dämonen (erschienen 1956) zieht es seine Protagonisten immer wieder dorthin. Die Portraitierten waren in der österreichischen Nachkriegszeit, als der Autor sich die Szenen ausdachte, längst verschwunden. Karl Farkas (1893 Wien - 1971 Wien), von Heimweh getrieben, installierte sich, einer der wenigen Überlebenden, erneut in einem Sommerhaus in Dörfl bei Edlach an der Rax und erinnerte sich wohl wehmütig, wie er die Villa seinerzeit, 1928 unter besseren Vorzeichen für sich und seine Familie erworben hatte.
Sommerfrische
Die Familie Rothschild hatte sich um die Südbahngesellschaft verdient gemacht und den Bahnbau wesentlich befördert. 1884 begann Nathaniel Mayer Freiherr von Rothschild (1836 Frankfurt am Main - 1905 Wien), in Reichenau-Hinterleiten ein Schloss im historistischen Stil zu errichten, das er jedoch nicht fertigstellen liess und die Anlage für wohltätige Zwecke stiftete.
Nachdem die ursprünglich von ihm beschenkten „Brustkranken" (Tuberkulosepatienten) in der Gemeinde Reichenau unerwünscht waren, kam es schliesslich zu einer Überlassung des Gebäudes an das k. u. k. Kriegsministerium zwecks Nutzung durch invalide Offiziere.
In der Folge fanden sich zahlreiche jüdische Familien
zur Sommerfrische in der Gegend ein, Künstler wie Alban Berg und seine Schwester suchten Inspiration, jüdische Waiseneinrichtungen schickten ihre Zöglinge in der heissen Jahreszeit dorthin aufs Land. Im Zuge der Auflassung des Mädchenwaisenhauses des Vereines zur Versorgung hilfsbedürftiger israelitischer Waisen, einer Stiftung der Familie Gutmann in der Ruthgasse in Wiens 19. Bezirk, kaufte die Israelitische Kultusgemeinde Wien 1935 ein Erholungsheim samt Wiesen und Waldgrundstücken in Payerbach-Küb an, die sogenannte Vetsera-Villa. Helene Baltazzi Freifrau von Vetsera (1847 Marseille - 1925 Wien), die Mutter von Kronprinz Rudolfs Geliebter Mary Vetsera, war 1892 bis 1921 hier Hausherrin gewesen. Unter dem Titel Kinder aufs Land versorgte die jüdische Glaubensgemeinschaft nun in den Jahren vor Beginn des NS-Regimes während des Sommers in dem von einem Landschaftsgarten umgebenen Bau bis zu 4.000 Kinder. Das Gebäude wurde enteignet und 1939 von der NS-Volkswohlfahrt Berlin in Beschlag genommen. 1945 kam es an die Republik Österreich und wurde 1952 an die Israelitische Kultusgemeinde Wien zurückgestellt. Der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl (1860 Pest - 1904 Edlach), suchte Heilung von einem Herzleiden in Edlach an der Rax. Er verstarb während des vergeblichen Kurversuches.
Seine Abschiedsworte sind überliefert: „Grüssen Sie Alle von mir, und sagen Sie Ihnen, ich habe mein Herz-Blut für mein Volk gegeben."
Informationen: http://www.raxalpe.com/de/die-rax-seilbahn/geschichte-seilbahn
http://www.festspiele-reichenau.com/
Nachlese: Die Eroberung der Landschaft. Semmering, Rax, Schneeberg. Hg. von Wolfgang Kos. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung Schloss Gloggnitz 1992. Falter Verlag 1992. (= Katalog des NÖ Landesmuseums Neue Folge Nr. 295)