Ausgabe

„Alle zusammen sind wir das wirkliche Israel“

Marianne ENIGL

Content

Die erste Station der 1962 geborenen Diplomatin war Jamaika in der Karibik. Es folgten New York, Positionen im israelischen Aussenministerium und als Beraterin des Präsidenten in globalen jüdischen Angelegenheiten, als bevollmächtigte Gesandte in London, danach stand sie fünf Jahre lang an der Spitze des Staatsprotokolls. Seit dem November 2015 ist Talya Lador-Fresher Israels Botschafterin in Wien. Ihre beiden Kinder leben und studieren in Israel.

h112_073

Talya Lador-Fresher. Foto: Susanne Nüchtern. Mit freundlicher Genehmigung: Botschaft des Staates Israel, Wien.

DAVID: Frau Botschafterin, beginnen wir mit einer angenehmen Frage. Wie war Ihr Eindruck beim ersten Empfang, den Österreichs neuer Bundespräsident Alexander Van der Bellen für das diplomatische Corps gegeben hat?

Botschafterin Talya Lador-Fresher: Also, ganz so positiv war das aus meiner Warte nicht. Zuvor muss ich noch etwas zum Neujahrsempfang von Präsident Heinz Fischer 2016 sagen, der eine unerfreuliche Erfahrung war. Präsident Fischer widmete einige Passagen seiner Rede dem Nahen Osten und Israel, dabei hat er aus protokollarischer Sicht etwas sehr Befremdliches gemacht und inhaltlich war seine Aussage völlig falsch. Protokollarisch ungewöhnlich war, dass er eine Diskussion zwischen ihm und meinem Botschaftervorgänger Zvi Heifetz erwähnte. 

DAVID: Solche Gespräche müssen absolut vertraulich bleiben?

Botschafterin Lador-Fresher: Wenn wir mit einem Staatsoberhaupt etwas diskutieren nehmen wir nicht an, dass das de facto der Welt mitgeteilt wird. Eventuell spricht man über den Inhalt des Gesprächs, aber Namen und Umstände bleiben vertraulich. Während seines letzten Neujahrsempfangs erwähnte Fischer, dass mein Vorgänger bei seinem Abschiedsbesuch die Hoffnung ausgedrückt habe, Heinz Fischer würde nicht mehr über israelische Siedlungen reden, wo es doch in der Welt so viele andere wichtige Fragen gäbe. Fischers Antwort lautete, so seine Schilderung, die israelischen Siedlungen seien die Voraussetzung für die Lösung des Konflikts im Nahen Osten und für ihn damit immer ein Thema. Dazu muss ich sagen: Es geht nicht an, dass mit Konflikt im Nahen Osten automatisch immer jener zwischen Israelis und Palästinensern gemeint ist. Heute gibt es doch so viele Konflikte im Nahen Osten! Und den zwischen Israel und den Palästinensern als Wurzel allen Übels in der Region zu bezeichnen, ist faktisch und moralisch einfach falsch!

DAVID: Und was hat Präsident Van der Bellen gesagt?

Botschafterin Lador-Fresher: Die Ausführungen Van der Bellens waren viel besser als jene von Fischer. Aber auch hier habe ich Vorbehalte, denn er hat die grosse Bedeutung der Nahost-Konferenz in Paris angesprochen. Aber was bringt ein Treffen von fünfzig Nationen, von denen keine Teil des Konflikts ist? Meiner Meinung nach sind direkte Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern der einzige Weg zu einem Friedensabkommen. Wir müssen zu einer Lösung kommen, denn wir brauchen sie. Wir, die Israelis, wir, die Menschen in der Region brauchen Frieden. Und ich habe grosse Zweifel, dass die Lösung unseres Konflikts mit den Palästinensern alles andere auch löst, dass es dann etwa keinen Bürgerkrieg in Syrien mehr gibt.

DAVID: Hatten Sie mit dem Bundespräsidenten schon ein persönliches Gespräch?

Botschafterin Lador-Fresher: Ich werde ihn treffen, noch vor Pessach.

DAVID: Sie haben angekündigt, als Botschafterin möglichst vielen Österreichern die Komplexität der Situation Israel-Palästinenser und der Region zu vermitteln. Israels Regierung macht Ihnen das mit dem Gesetz über die nachträgliche Legalisierung von Siedlungen auf palästinensischem Privatgrund nicht einfach.

Botschafterin Lador-Fresher: Mit allem, das im Nahen Osten passiert und mit den Terroranschlägen in Europa sehen wir wachsendes Verständnis für die komplexe Situation Israels und für seinen Kampf um Sicherheit für seine Bürger. Das zitierte Gesetz muss vom Höchstgericht geprüft werden, und dieses ist in Israel eine sehr starke Institution. Zum anderen waren Siedlungen in der Vergangenheit kein Friedenshindernis. Bereits zwei Mal haben wir Siedlungen abgerissen, ein Mal im Zug des Friedens mit Ägypten und als wir 2005 Gaza verlassen haben. Und es hat auch schon Siedlungs-Stopps gegeben: als die US-Regierung unter Barack Obama Israel zu einem Einfrieren des Siedlungsbaus drängte, gab es zehn Monate lang einen Baustopp. Die Palästinenser hätten in dieser Zeit nur eines tun müssen - zum Verhandlungstisch kommen. Sie haben aber Gespräche verweigert und vor Ablauf der Frist weitere zehn Monate verlangt.

DAVID: US-Präsident Donald Trump hat beim Besuch von Premierminister Benjamin Netanyahu die Zwei-Staaten-Lösung als möglicherweise obsolet erklärt und eine „ganz grosse Lösung" für den Nahen Osten angekündigt, wie wird sich das Verhältnis Ihres Landes zu den USA entwickeln?

Botschafterin Lador-Fresher: Wie immer sich die Beziehung USA - Israel weiter entwickelt: Ich kann Ihnen versichern, dass sie aus israelischer Perspektive extrem wichtig und stark sein wird. Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter. Und die Unterstützung Israels durch die USA sowie die Zusammenarbeit mit den USA auf allen Gebieten sind ein wichtiger Pfeiler nicht nur unserer Aussen-, sondern auch unserer Innenpolitik. 

DAVID: Zurück zu Österreich: Bundeskanzler Christian Kern hat seinen Israel-Besuch aus koalitionsinternen Gründen abgesagt. Gibt es dafür einen neuen Termin - und erwarten Sie eine Israel-Einladung für Bundespräsident Van der Bellen?

Botschafterin Lador-Fresher: Dass Bundeskanzler Kern absagen musste, hat mir sehr leidgetan, es wird einen neuen Termin geben. Und Bundespräsident Van der Bellen ist von Israels Präsident Reuven Rivlin bereits im Glückwunschschreiben aus Anlass seiner Wahl zu einem Staatsbesuch eingeladen worden. Ich würde mich sehr freuen, ihn zu begleiten.

DAVID: Wie erleben Sie Österreich und Ihre Arbeit hier?

Botschafterin Lador-Fresher: Meine Arbeit macht mir sehr viel Freude. Ich habe eine hervorragende Botschaft, das Gebäude ist leider nicht ganz so schön, aber ich habe exzellente Mitarbeiter, was mir meine Arbeit sehr leicht macht. Und ich finde die meisten Türen in diesem Land für eine Kooperation mit Israel offen. Es besteht grosses Interesse an unserem High-Tech-Sektor, unserer Kultur, an unserem Land. Mehr als die Hälfte der amtierenden österreichischen Minister hat in den vergangenen eineinhalb Jahren Israel besucht. Zwischen uns herrscht eine sehr positive Atmosphäre. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch Differenzen haben, speziell politische Angelegenheiten auf internationaler Ebene betreffend.

DAVID: Was sprechen Sie hier an?

Botschafterin Lador-Fresher: Zum Beispiel EU-Entscheidungen, wo wir uns mehr Verständnis Österreichs für Israels Positionen erwarten. Aber noch einmal: die allgemeine Stimmung bewegt sich zwischen gut und sehr gut. Und als Kulturfan geniesse ich, ganz persönlich, Wien sehr. 

DAVID: Und wie erleben sie die öffentliche Sicherheit hier?

Botschafterin Lador-Fresher: Niemand kann heute die Frage der Sicherheit auf die leichte Schulter nehmen. Das gilt für Europa als Ganzes, aber genau so für Österreich. Ich will Ihnen eine interessante Beobachtung erzählen. Ist man in Israel mit Personenschutz unterwegs, fühlt sich jeder rundum dadurch auch geschützt. Hier stresst das die Leute. Wenn sie mich mit Security im Supermarkt sehen, fühlen sie sich unsicher, „Sicherheitsleute? Was ist los? Ist etwas passiert?" 

DAVID: Sie waren in London in diplomatischem Einsatz, in New York, jetzt sind Sie in Wien. Das bedeutet wohl immer auch enge Kontakte zu den jeweiligen jüdischen Gemeinden. Wie nehmen Sie deren Unterschiedlichkeit wahr?

Botschafterin Lador-Fresher: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Österreich macht einen Grossteil dessen aus, wie ich meine Position hier sehe und was wir hier machen. Österreich ist das erste meiner Einsatzländer, in denen die jüdische Gemeinschaft beinahe ausgelöscht wurde. Vor allem zu Beginn musste ich viel an meinen Vater denken. Er war Holocaust-Überlebender, aus Leipzig, und irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er bei meinem Versuch, die Situation vor 1938 zu verstehen, mit mir durch die Strassen Wiens gehen. Es war so eine wunderbare jüdische Gemeinde hier. Und ich denke, selbst viele nichtjüdische Wiener verstehen den entsetzlichen Verlust, den nicht nur wir sondern auch sie erlitten haben. Die Ablehnung von Juden nach 1945 ist ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte dieses Landes. Es tut weh, wenn Sie in das Jüdische Museum Wien gehen und die Aussagen von angesehenen Persönlichkeiten zur Rückkehr von Juden nach Österreich und zur Rückgabe jüdischen Eigentums lesen. Dass die jüdische Gemeinde alle diese Hindernisse überwunden hat und heute eine lebendige jüdische Gemeinde existiert ist etwas, das ich nur bewundern kann. 

DAVID: Die Israelitische Kultusgemeinde hat in den schweren Nachkriegsjahren ihr Archiv nach Israel gebracht. Wird sie es zurückbekommen?

Botschafterin Lador-Fresher: Ihr Ersuchen ist von zwei Instanzen geprüft worden und das Höchstgericht hat entschieden, dass das Archiv in Israel bleibt und die IKG eine digitale Version bekommt. Ein weiteres Thema ist mir noch wichtig: es hat in den dunklen Zeiten auch gute Menschen gegeben, die Juden gerettet haben und denen wir im Namen von Yad Vashem den Titel „Gerechte unter den Völkern" verleihen. Die Zahl der Österreicher unter diesen Gerechten ist mit rund 110 sehr klein. Vielleicht, weil über manche Rettungen nie gesprochen wurde. Ich möchte daher die Leser des DAVID ersuchen, wenn sie etwas über bisher unbekannte Helfer wissen, mögen sie uns doch informieren.

DAVID: Sie haben vom Gefühl gesprochen, ihr Vater ginge mit Ihnen durch Wien. Was würden Sie ihm über Ihr Heute erzählen?

Botschafterin Lador-Fresher: Oh, es wäre wohl sehr patriotisch und klischeehaft, aber so bin ich. Ich würde ihm sagen, dass jetzt für das jüdische Volk eine grosse Zeit und Israel ein starkes Land ist. Natürlich haben wir auch Probleme, aber Israel ist eine vibrierende Demokratie, ein wunderbar dynamisches Land, in dem Menschen aus der ganzen Welt leben, aus Marokko und dem Irak, aus Deutschland und Äthiopien ... Auch das geht nicht ohne Spannungen, aber wir sind eine interessante Gesellschaft und alle zusammen sind wir das wirkliche Israel. Ich bin sehr stolz.

DAVID: Frau Botschafterin, danke für unser interessantes Gespräch.