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Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum

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Alicke, Klaus Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Bd. 1: Aachen - Gross-Bieberau, Bd. 2: Grossbock - Ochtendung, Bd. 3: Ochtrup-Zwittau. Gütersloher Verlagshaus. Gütersloh 2008. 2272 Seiten, kartoniert im Schuber , ISBN: 3579080350, Euro 68,-

Alljährlich wird im November der Reichspogromnacht erinnert. Politiker und Bürger weihen Gedenktafeln und Denkmale ein, legen Kränze ab und erklären, dass sich die Schreckenstage der Shoah nicht wiederholen dürfen. Klaus-Dieter Alicke, ehemaliger Konrektor einer niedersächsischen Realschule, hat in aller Stille zum 70. Jahrestag ein monumentales Erinnerungszeichen an das deutschsprachige Judentum erarbeitet, welches zu den bedeutendsten Denkmäler einer Einzelperson für die Vertriebenen und Getöteten dieser Katastrophe zu rechnen ist: Das „Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum" entstand in zwölfjähriger intensiver Arbeit aus den Erfahrungen heraus, die der Autor während seines Engagements im Besucherdienst der Gedenkstätte Bergen-Belsen gewann. Um den Schülergruppen einen Zugang zur Vernichtung des deutschen Judentums zu ermöglichen, wählte er die jüdische Lokalgeschichte der Stadt, aus der die Jugendlichen kamen. Offensichtlich versteht sich Alicke selbst als ein Mittler zwischen der ersten und der dritten beziehungsweise vierten Generation, deren Verbindung oft nur noch im gemeinsamen „Makom" (Ort) besteht: „Sich auf die Spuren der jüdischen Geschichte seiner Stadt, seiner Region zu begeben und sich zu erinnern, heisst, sich des eigenen historischen Ortes zu vergewissern" (S. VIII).

Die insgesamt 2272 Seiten umfassenden drei Bände im DinA4-Format verzeichnen in alphabetischer Anordnung „Kurzporträts" von über 2000 jüdischen Gemeinden, die um die Wende zwischen dem 19. und 20. Jh. im deutschen Sprachraum existierten. Während sich Alicke bei der Darstellung der jeweiligen Gemeindegeschichte bis ins 18. Jh. auf die wichtigsten Fakten beschränkt, legt er den Schwerpunkt auf die Entwicklung der letzten zweihundert Jahre. Neben der Entstehung von Kultuseinrichtungen der Gemeinden (Friedhof, Synagoge, Mikwe, Schule) geht er jeweils auf die allgemeine demographische Entwicklung und Berufsstruktur ein. Aus der Intention des Autors erklärt sich, dass er gerade die Verfolgungen der jüdischen Gemeinden in der NS-Zeit und den Umgang mit dem jüdischen Erbe in der Nachkriegszeit sehr detailliert dokumentiert. So zitiert er nicht nur ausführlich Zeitungsartikel, die in den Tagen nach der Reichspogromnacht erschienen, sondern auch die Inschriften der Gedenktafeln und Mahnmale, welche an die Existenz von Synagogen, Friedhöfen und Massengräber der Todesmärsche erinnern.

Welche Fundgrube dieses Lexikon auch für Wissenschafter sein kann, zeigt sich vor allem bei der Lektüre der einzelnen Einträge. Denn Alicke verweist auch auf die kleinen Filialgemeinden von Stadtgemeinden sowie auf sehr kleine Orte, in denen nur wenige jüdische Familien gelebt haben. Dies gilt zum Beispiel für Vierraden und Königsberg, die beide in der Nähe von Schwedt an der Oder liegen und im Eintrag zu dieser Stadtgemeinde kurz beschrieben werden. Ein beeindruckendes Dokument für die akribische Arbeit des Autors sind die bis zum Jahr 2007 nahezu vollständig erfassten Publikationen zu den jeweiligen Ortschaften.

Abgeschlossen wird das Werk durch ein Glossar über die wichtigsten hebräischen Termini, ein Ortsregister und einen Bildnachweis. Das Ortsregister über die jüdischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum ist nach den heutigen Staatsgrenzen geordnet und unterteilt sich folglich in die Abschnitte Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Polen, Russland/Litauen, Tschechien, Schweiz und Slowakei. Die Ortsnamen der kleinen Filialgemeinden wurden nicht immer vollständig erfasst, so dass in solchen Fällen die Einträge zu den grösseren Gemeinden zu konsultieren sind, welche sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden.

Auch wenn sich das dreibändige Werk in erster Linie an Schulen und Begegnungsstätten richtet, so dürfte es auch für viele Wissenschafter eine aktuellere Alternative zum hebräischsprachigen Nachschlagewerk „Pinkas ha-Kehillot" (Protokollbücher der Gemeinden) darstellen. Obschon die Paperback-Ausgabe bei diesem Format etwas anfällig ist, macht sie die für diesen Umfang sehr günstige Publikation nicht nur für jede Bibliothek, sondern auch für Privatpersonen erschwinglich.