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„Der ewige Jude“ –

Wolfgang BENZ

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In München wurde im Bibliotheksbau des Deutschen Museums am 8. November 1937 die „grösste Ausstellung Europas" eröffnet. Ein riesenhaftes Transparent mit dem Titel der Propagandaschau „Der ewige Jude" war an der Fassade des Bibliotheksbaus montiert worden. Die Graphik, die eine ahasverische Gestalt, das Zerrbild eines bärtigen Juden, zeigte, ausgestattet mit den Attributen des Wucherers, einer Geissel und einer Weltkarte des Bolschewismus, wurde auch als Plakat, als Postkarte, als Buchumschlag der Begleitpublikation weit verbreitet.

Im „Völkischen Beobachter", dem Zentralorgan der NSDAP, war zu lesen, dass die Ausstellung „die erste in Art und Umfang auf der Welt überhaupt" sei, die auf 3500 qm Fläche „den Einfluss des Judentums von den ersten päpstlichen Edikten bis zur letzten Unterschlagungsurkunde" zeige. Der Gang durch die 20 Säle demonstrierte, dass mit denunziatorischen Gesten, dem Appell an stereotype Feindbilder und der Wiederholung diffamierender Behauptungen die schlichte Weltsicht eines Rassenantisemitismus propagiert wurde, der im 19. Jahrhundert entstanden war, sich aber erst nach dem Ersten Weltkrieg als programmatisches Element rechtsextremistischer, ultrakonservativer und deutschnationaler Agitation voll entfalten konnte.

Der erste Saal war den „biologischen Grundlagen des Judentums" gewidmet, d. h. der rassistischen Diffamierung der Minderheit, im zweiten Saal war die jüdische Religion in Gestalt von Thora, Schulchan Aruch und Talmud Gegenstand herabsetzender, falscher und beleidigender Interpretation. Die „Geschichte des Judentums" war anschliessend thematisiert als Gang durch die Weltgeschichte, in der Juden angeblich omnipräsent waren als Wucherer und Hehler, die man aus Notwehr in Ghettos sperren oder vertreiben musste, die den Zorn des Papstes Innozenz III. ebenso wie die Wut des Reformators Martin Luther hervorriefen.

Im Absolutismus hätten es viele Juden verstanden, sich an Fürstenhöfen unentbehrlich zu machen, indem sie dem Volk das Geld auspressten. Die Reformen Hardenbergs in Preussen auf dem Weg zur Emanzipation hätten im 19. Jahrhundert den Juden den Weg freigemacht, sich aller Gebiete des wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Lebens zu bemächtigen. Die Weimarer Republik („Novemberdeutschland") sei das „Eldorado des Judentums" gewesen: Film und Theater, die Revue, die Presse, die Literatur, den Rundfunk, die Mode, die Justiz, die Heilkunde, die Universität - alles hätten die Juden beherrscht. Die Sprache nationalsozialistischen Judenhasses war illustriert mit Kinoplakaten, Revuebildern, Werken jüdischer Schriftsteller, die pauschal als Schund- und Schmutzliteratur apostrophiert waren. Fotos jüdischer Unternehmer sollten Abscheu erregen. Skandalisiert waren die sexuelle Aufklärung, wie sie Magnus Hirschfeld propagierte und der angeblich von Juden geführte Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen des Strafgesetzbuches. Anlass der Entrüstung war auch der ewige Topos der „engen Verflechtung zwischen Judentum und Bolschewismus". Als ebenso unerlässliches Nebenthema wurden die Freimaurer als vermeintliche Instrumente der Juden traktiert.

Wien, das seit der Annexion Österreichs im März 1938 zum Deutschen Reich gehörte, war die erste Station der Ausstellung auf ihrer Wanderschaft. In der Halle des Nordwestbahnhofs an der Taborstraße (sie diente seit 1924, als der Personenverkehr auf der Nordwestbahn eingestellt wurde, als Ort von Kundgebungen oder sportlichen Ereignissen), eröffnete Reichsstatthalter Seyss-Inquart am 2. August 1938 die Ausstellung. Sie war für Wien durch zahlreiche Bezüge auf die Ostmark, wie Österreich nun genannt wurde, ergänzt worden. Auch ein Ausstellungsführer war speziell für Wien publiziert worden.

Wie der „Völkische Beobachter" in seiner Wiener Ausgabe hervorhob, bot der den österreichischen Juden gewidmete Teil der Ausstellung auch die Gelegenheit, sich erstmals davon zu überzeugen, „dass ihm bekannte Judengrössen in der gesunden bayerischen Luft zum erstenmal auf ihren krummen Lebenswegen wirkliche Arbeit kennen lernen". Das war eine Anspielung auf das KZ Dachau, in das politische Gegner und Missliebige aus Österreich nach dem „Anschluss" deportiert worden waren, unter ihnen der frühere Wiener Bürgermeister Richard Schmitz und der Schauspieler und Kabarettist Fritz Grünbaum, deren Fotos in der Ausstellung zu sehen waren mit der Legende „Juden und Judenknechte in Dachau auf Sommerfrische". Auch in Wien war die Ausstellung, die bis zum Oktober verlängert wurde, ein grosser Erfolg. 350 000 Besucher wurden gezählt, für Wiener Schüler war der Besuch obligatorisch.

Der Ort der Ausstellung an der Grenze des 20. und des 2. Bezirks, in der Brigittenau, einem traditionell jüdischen Viertel, war bewusst gewählt, wie die „Wiener Neuesten Nachrichten" schrieben: Gerade über die Taborlinie seien die Ostjuden eingewandert, um sich in der Leopoldstadt und in der Brigittenau einzunisten. „Es ist daher mehr als nur ein Symbol, wenn das Bild des ewigen Juden am Eingang der Nordwestbahnhalle diese beiden Stadtteile beherrscht."

Die Wiener Presse sparte nicht mit Superlativen. Der aufmerksame Beobachter werde beim Rundgang feststellen, dass „zum erstenmal mit der Ausstellungstechnik, wie sie in der Systemzeit gebräuchlich war, vollständig gebrochen worden" sei. Die Ausstellung wurde gefeiert als „grösste politische Schau, die Wien je gesehen" habe, und ihr Erfolg als antisemitische Aktion stand offiziell schon zu Beginn fest:

„Dass die Schau als solche sozusagen ein Volltreffer in die internationale Judenfront war, kann man schon daraus ersehen, dass sie von der Journaille in allen Ländern auf das heftigste angegriffen wurde. Nun, der ost-märkische Zuwachs wird die aufgeregten Mannen nicht eben beruhigen. Die antisemitischen Argumentationen haben sich durch die reiche Erweiterung des Magistrats noch kräftig verstärkt und dementsprechend wird das Wutgeheul nur um so intensiver ausfallen. Was den Juden besonders unangenehm sein dürfte, ist die breite dokumentarische Belegung. Gegen diese Akten lässt sich schwer ankämpfen. Sie zeigen, dass die deutschen Lande allzu lange unter dem Joch der Juden geseufzt haben, und dass sie wahrlich das Recht besitzen, sich endgültig und für immer gegen das vordringliche Israelitentum zur Wehr zu setzen" (Wiener Zeitung, 3.8.1938).

Wiens Bevölkerung könne der Besuch dieser Ausstellung nicht genug empfohlen werden, schrieb der „Völkische Beobachter" in seiner Wiener Ausgabe am 3. August 1938.

„In ihr wird dem Besucher in unverhüllter Deutlichkeit die zersetzende Arbeit des Weltjudentums aufgezeigt. Sie beginnt, wo immer der Jude auch auftritt, mit kleinen Geschäften, die von grösseren Betrügereien abgelöst werden, um schliesslich dort zu enden, wo der Repräsentant Alljudas, der Bolschwewismus, hinführt, beim Bürgerkrieg. Man sieht die Vertreter dieser Rasse in allen Berufen, sieht, wie sie sich durch Betrügereien und ihre guten Verbindungen auf die höchsten Stellen des öffentlichen Lebens hinauftun, wie sie mit gestohlenen Werken unserer Künstler Schindluder trieben, um sich als Tonheroen einer neuen Kunst feiern zu lassen. Und all die Bilder, Montagen und Filme, die allein schon eine beredte Schau reden, sind unterbaut durch ausgezeichnetes Material, das den glänzenden Gesamteindruck dieser Schau vervollständigt."

Die neu hinzugekommenen sechs Säle der Wiener Abteilung zeigten das „allmähliche Umsichgreifen der jüdischen Vormachtstellung," schrieb die Wiener Zeitung (30.7.1938):

„Da wir in Wien noch mitten in diesem Kampfe stehen, ist es nicht verwunderlich, dass die Wiener Säle sich durch grösste Kampfesfreudigkeit, Aktivität und Lebendigkeit auszeichnen. Hat man hier doch sicher auch nicht ohne Grund die Ausstellung gerade in der Nordwesthalle untergebracht, auf dass sie sich hier mitten in der Leopoldstadt wie eine Trutzburg des Deutschtums erhebe."

In der Ausstellung war auch das Medium Film prominent eingesetzt. Eine Collage aus Szenenfotos, Filmplakaten, Filmkritiken und Filmausschnitten sollte beweisen, dass die „jüdische Filmindustrie" das Geschäft mit der Spekulation auf die niedersten Instinkte des Publikums dominiert hatte. Neben dem zwanzigminütigen Streifen „Juden spielen sich selbst" (in einer überarbeiteten Version hiess er „Juden ohne Maske") wurde in einem anderen Raum in der Endlosschleife ein Film über das jüdische Schlachtritual des Schächtens gezeigt.

Der Film „Juden ohne Maske", eine Produktion der Reichspropagandaleitung der NSDAP, hatte eine Spieldauer von 36 Minuten. Er durfte nur in Veranstaltungen der NSDAP vorgeführt werden, aber nicht vor Jugendlichen. Das waren die Anfänge eines anderen antisemitischen Propagandaprojekts, das unter dem gleichen Namen wenig später in Angriff genommen wurde. Der Kompilationsfilm „Der ewige Jude", von Fritz Hippler als Regisseur verantwortet, hatte im November 1940 in Lodz („Litzmannstadt") und in Berlin Premiere. Das pseudo-dokumentarische Propaganda-Elaborat steht in der Tradition der Münchner Ausstellung, benutzt die dort entwickelten Stilelemente der Denunziation bis in Einzelheiten. Der Film war das infamste öffentliche Manifest der Judenfeindschaft, das der Nationalsozialismus hervorbrachte. „Der ewige Jude", erst als Ausstellung, dann als Film, hatte erhebliche Wirkung. Dazu gehörte die Akzeptanz des Mordes an den Juden Europas.