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Gedenken an die Novemberpogromnacht und 10-Jahres-Feier der neuen Synagoge in Graz

Robert W. ROSNER

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Am 9. November 2010 wurde in der Grazer Synagoge der Pogromnacht von 1938 gedacht. Gleichzeitig wurde das 10-Jahre-Bestehen der neuen Synagoge gefeiert.

Die IKG Graz wurde vertreten durch die Präsidentin Fr. Mag. Dr. Ruth Yu-Szammer sowie den Kultusräten und zahlreichen Gemeindemitgliedern, unter ihnen Überlebende der Schoah, die noch die alte Synagoge kannten.

Hauptredner war der Oberrabbiner der israelitischen Kultusgemeinden Österreichs Prof. Paul Chaim Eisenberg, als weitere Redner kamen der Vertreter der christlichen Kirchen Bischofsvikar Heinrich Schnuderl, der Bürgermeister von Graz Mag. Siegfried Nagl und der Landeshauptmann der Steiermark Mag. Franz Voves. Anwesend waren auch weitere wichtige Persönlichkeiten der steirischen Gesellschaft und Politik, unter ihnen Altbürgermeister Alfred Stingl und der ehemalige Stadtrat DI Helmut Strobl, die den Bau der neuen Synagoge im Stadtrat initiiert hatten und sich um eine Auseinandersetzung mit der Geschichte in der Stadt verdient gemacht haben,  sowie der Ehrenpräsident der IKG Konsul Kurt David Brühl, der sich als damaliger Präsident der IKG Graz für den Bau der neuen Synagoge eingesetzt, den gesellschaftlichen und politischen Prozess begleitet und die Synagoge im Jahre 2000 am 9. November im Namen der IKG übernommen hatte.

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Der Grazer Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl, Präsidentin der IKG Graz Mag. Dr. Ruth Yu-Szammer, Oberrabbiner Prof. Paul Chaim Eisenberg und der Landeshauptmann der Steiermark Mag. Franz Voves bei der Gedenkfeier. Foto: IKG Graz.

Die Veranstaltung begann mit drei Tonausschnitten aus Erinnerungen dreier Grazer Juden, die die Pogromnacht als Kinder erlebten. Diese vor einigen Jahren aufgenommenen Tondokumente brachten den Ablauf der Ereignisse in Erinnerung, die die gewaltsame Zerstörung der Grazer jüdischen Gemeinde und anderer jüdischen Gemeinden in Europa in der Schoah einleiteten: Verhaftungen, Plünderungen, Zerstörung, Vertreibung. Gleichzeitig zeigten sie drei menschliche Schicksale, Kindheitserinnerungen an die Zerstörung, Demütigung, Angst und Schrecken, den Überlebenswillen und an die Mitbürger, welche dem Synagogenbrand jubelnd zuschauten aber auch an jene, welche den drei Zeitzeugen zum Überleben verholfen haben.

Diese Einführung verdeutlichte, dass eine Feier anlässlich des Baus der neuen Synagoge vor zehn Jahren niemals vergessen lassen darf, warum es diesen Neubau gibt und nur mehr einige Ziegel der alten Synagoge bestehen.

Die Präsidentin der IKG Graz Ruth Yu-Szammer hielt als Begrüßungsrednerin eine sowohl emotionale, vom Schicksal ihrer Familie geprägte, wie auch nüchterne Rede über die derzeitige Situation in Graz.  Sie veranschaulichte mit ihrer Rede den Gästen den Alltag der Juden im November 1938, betonte, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, plötzlich ausgeschlossen, rechtlos und schutzlos zu werden:

„Am 9. November 1938 liessen die Nazis ihrem Hass auf die jüdische Bevölkerung für alle sichtbar freien Lauf. Die staatlich gesteuerten Exzesse des Pogroms waren der Höhepunkt eines politisch aktiv unterstützten Antisemitismus und die österreichische Bevölkerung wurde Zeuge, wie die Menschenrechte und die Menschenwürde im wahrsten Sinne des Wortes mit Füssen getreten wurden."

Ruth Yu-Szammer betonte, dass es zwar keine kollektive Schuld gibt, „aber eine kollektive Verantwortung. Verantwortung für die Erinnerung und für die Gestaltung der Zukunft. Und vor allem Verantwortung, Lehren aus den Naziverbrechen zu ziehen".

Die Vergangenheit könne nicht durch Verdrängen aus der Welt geschafft werden; eine gute Zukunft brauche bewusstes Erinnern.

Der Antisemitismus ist noch nicht verschwunden, weshalb wir die Grundwerte unseres Rechtsstaates mit Zähnen und Klauen jeden Tag aufs Neue verteidigen müssen. Das seien wir den Opfern schuldig. Sie schloss zum einen mit dem Dank an die Verantwortlichen von Stadt und Land für die neue Synagoge, die ihrem Ursprungssinn als Bethaus vor 10 Jahren zugeführt wurde und um eine Facette erweitert wurde: als Haus der Begegnung zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen hier und in anderen Ländern lebenden Juden. Zum anderen deponierte die Präsidentin ihren Wunsch „...dass unsere aufstrebende Gemeinde auch in Zukunft in Frieden und in Freiheit leben kann."

Bischofsvikar Heinrich Schnuderl überbrachte die Grüße der christlichen Kirchen und betonte den Begegnungscharakter der Synagoge als Versammlungshaus. Bürgermeister Nagl erinnerte an wichtige Zeitpunkte in der Geschichte der Grazer Juden, an die Anfänge der modernen jüdischen Gemeinde mit den ersten Beträumen und dem Bau der ersten Synagoge Ende des 19. Jahrhunderts über die Vernichtung bis zur wiederaufgebauten kleinen Gemeinde der heutigen Zeit. Er fand deutliche Worte gegen jene, die Hetze betreiben, egal wer die Opfer dieser Hetze sind. Und er zitierte ein Sprichwort, um zu unterstreichen, dass man Ideologien nie verharmlosen darf: „Die Tat verhält sich zum Gedanken wie der Karren zum Pferd." Landeshauptmann Voves betonte den Stellenwert der Achtung vor Menschen in verschiedenen Religionen. Er mahnte zur Achtsamkeit, denn was Angst macht sei, dass die Nazis in einem der höchst entwickelten Länder der Erde ihre vernichtende Ideologie verbreiten konnten.  „Nie wieder Verfolgung, Vertreibung oder gar physische Vernichtung von Menschen, nie wieder Diktatur und Faschismus - dies muss unsere Botschaft, unser politisches Bestreben und unser Vermächtnis für die Zukunft sein."

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Synagoge Graz. Foto: IKG Graz.

Oberrabbiner Eisenberg betonte, dass wir an diesem Tag einerseits schrecklicher Ereignisse gedenken, aber auch das 10-jährige Bestehen der neuen Synagoge feiern. „Juden eignen sich besonders, trauriger Ereignisse zu gedenken. Juden eignen sich aber auch besonders, Feste zu feiern. Beides wollen wir tun und betonen, dass wir nicht nur Opfer sind." Mit der anwesenden Gemeinde betete er „Kel Male Rachamim" für die ermordeten Grazer Juden. In einem Interview im Rahmen der Veranstaltung meinte er, dass die kleine Kultusgemeinde Mut bewiesen hat, indem sie trotz der geringen Mitgliederzahl - weniger als zehn Prozent der Mitglieder vor der Schoah - gesagt hat: „Wir wollen wieder eine Synagoge haben." Die Synagoge sei aber nicht nur als Bethaus der Kultusgemeinde wichtig, sondern auch als ein Ort der Begegnung in Graz und ein Platz für verschiedene kulturelle Veranstaltungen.

Das Programm wurde künstlerisch gestaltet vom Kinder- und Jugendchor Skating Amadeus unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Marguerite Dunitz-Scheer, der zwei Ausschnitte aus dem Musical „Schöpfung" nach dem Oratorium von Joseph Haydn aufführte und die Rede vom Oberrabbiner Eisenberg umrahmte. In Bezug auf die Schöpfung des Menschen erinnerte Oberrabbiner Eisenberg, dass es in der Torah nach der Schöpfung des Menschen nicht heißt, dass der Mensch gut war - der Mensch kann eben gut und böse sein, wie wir aus unserer Geschichte wissen.     

Nach dem offiziellen Programm versammelten sich die Anwesenden zu einem kleinen Buffet im Sozialraum der Synagoge, die damit ihrem Stellenwert als Ort der Begegnung gerecht wurde. 

Abschliessend zu diesem Bericht über die Veranstaltung am 9. November 2010 möchte ich noch einige Worte über die heutige IKG Graz hinzufügen. Die IKG Graz ist eine kleine Gemeinde von etwa hundert Mitgliedern. Sie ist jedoch für die Juden in ihrem Gebiet (Steiermark, Kärnten, Südburgenland) lebenswichtig - ohne die IKG wäre ein jüdisches Leben ausserhalb der eigenen vier Wände nicht möglich und auch im Privaten wesentlich schwieriger. Im Vergleich zur IKG Wien kann die IKG Graz natürlich nur ein kleineres Angebot bieten, manches würde in Graz sicherlich auch nicht in Anspruch genommen werden. Dies darf aber nicht täuschen: der Bedarf an jüdischem Gemeinschaftsleben und jüdischer Infrastruktur ist gegeben. Das Fehlen eines ständigen oder zumindest regelmäßig anwesenden Rabbiners, regelmäßiger Schiurim, der nur begrenzte Umfang des Religionsunterrichts oder das Fehlen eines ständigen Sortiments an koscheren Lebensmitteln werden von nicht wenigen Gemeindemitgliedern schmerzhaft empfunden und zwingt manchen, diese fehlende Infrastruktur mit viel persönlichem Einsatz und finanziellen Belastungen auszugleichen. Für eine kleine Gemeinde wie Graz kann man keine Prognosen aufstellen, da der Zuzug oder Wegzug von nur wenigen Mitgliedern bereits einen spürbaren Unterschied im Leben der Gemeinde ausmachen kann. Es wäre aber nicht im Sinne unserer Tradition, pessimistisch zu sagen: So ist das eben in einer kleinen Gemeinde. Wir hoffen, das jüdische Leben in Graz erhalten und stärken zu können. Wir trauern nicht nur, wir feiern Feste, um die Zukunft zu sichern.