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Assimilierung als Traum, als Narrenparadies.

Felice Naomi WONNENBERG

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Max Liebermann, einer der bekanntesten jüdisch-deutschen Maler der Jahrhundertwende, wandelte sich im Laufe seines Lebens von einem Vertreter des Realismus zu einem Avantgardisten des Impressionismus in Deutschland. Immer wieder als Anti-Nationalist und Jude angefeindet, wurde er auf dem Höhepunkt seiner Karriere schließlich Präsident der Akademie der Künste in Berlin. 1933 vertrieben ihn die Nazis aus seinem Amt.

Max Liebermann, Die Birkenallee. Mit freundlicher Genehmigung Liebermann Haus Berlin.

Bei Betrachtung dieses Gartenbildes könnte man an das unbeschwerte Dasein eines großbürgerlichen deutschen Würdenträgers denken. Aber aus heutiger Sicht gibt es noch eine zweite Rezeptionsebene von Liebermanns Gartenbildern: Der Aufenthalt im Paradies seiner Ferienvilla am See war für den Künstler ein Rückzug. Auf der Website des Jewish Museum New York schreibt Mason Klein, der die dortige große Liebermann-Retrospektive 2006 kuratierte:

„Liebermann fühlte den zunehmenden Druck der [...] komplexen nationalistischen Stimmung in Deutschland in der Zeit um den Ersten Weltkrieg, und er zog sich immer häufiger in sein Landhaus am Ufer des Wannsees zurück".1

Nun verwandelt sich die Darstellung der scheinbar paradiesischen Umgebung in unserer Wahrnehmung. Ist hier also nicht Unschuld und Unbeschwertheit thematisiert? Hat der Altmeister vielmehr – ähnlich seinem Zeitgenossen Paul Gauguin - eine Zivilisationsflucht versucht? Liebermann selbst schreibt in einem Brief, er hätte sich am liebsten „Scheuklappen anlegen mögen", und der New Yorker Kurator kommentiert: „Die Kultiviertheit und Schönheit, die diese Gemälde durchdringen sind trügerisch und zeigen nicht die zunehmende Bedrohung, die das deutsche Judentum in dieser Zeit befiel." Wird uns also der schöne Schein gezeigt, nicht die echte Unbeschwertheit?

Liebermann sah sich selbst in der jüdischen Tradition verwurzelt, wie aus der Kurzbiographie, die er als Teil seines Abiturs verfasste, hervorgeht. Manche Biographen versuchen Liebermanns jüdische Identität abzuwerten, wenn sie bemerken, Liebermann habe sich nicht koscher ernährt. Aber jüdische Identität ist vielseitig und die Einhaltung der religiösen Speisevorschriften keine Messlatte dafür, ob sich ein Jude jüdisch fühlt. Eine erste Konfrontation mit der Fremdwahrnehmung seiner Person als Jude hatte der Maler bereits 1879 erleben müssen. In seinem Gemälde „Der 12-jährige Jesus im Tempel" hatte er, noch ganz in seiner realistischen Phase, den jungen Jesus als ärmlich gekleideten Jungen mit dunklen Locken dargestellt, der sich in einem ernsthaften und gleichwertigen Gedankenaustausch mit den Schriftgelehrten im Tempel befindet. Er gestikuliert, und die Rabbiner lauschen ihm interessiert. Wenn man sich die Lebenssituation eines historischen Jesus vorstellt, so wäre eine derartige Darstellung durchaus nachvollziehbar, und aus heutiger Sicht würde man von einem Maler, der im Stil des Realismus malt, keine Schönung der harten Wirklichkeit erwarten. Unter Liebermanns Zeitgenossen löste das Bild jedoch einen Skandal aus, der sogar in einer Diskussion im Bayrischen Landtag gipfelte. Es wurde als blasphemisch und „anti-christlich" bewertet und Liebermann als „Jude" wurde das Recht abgesprochen, ein „heiliges" Thema so realistisch, so „hässlich" darzustellen. Wenn wir den Realismus als beherzte Stellungnahme für sozial Schwächere sehen, erscheinen die Proteste von konservativ-christlicher Seite engstirnig und beschränkt. Umso erstaunlicher war die Reaktion Liebermanns darauf. Der sonst überaus humorvoll-selbstbewußte Mann ließ sich durch die Proteste von seiner künstlerischen Position abbringen und übermalte das Bild, „arisierte" Jesus geradezu, verwandelte ihn in einen Jüngling mit ordentlich gekämmtem, goldblondem Haar und übermalte ärmliche Kleidung und bloße Füße des jungen Zimmermanns aus Betlehem. In der Ausstellung des Jewish Museum New York wurde das Bild in der übermalten Version gezeigt. Lediglich eine Bleistiftskizze, die als Vorstudie diente, lässt den Originalzustand erahnen. Liebermann jedenfalls beschloss angesichts der Diskussionen um sein Jesus-Gemälde, biblischen Szenen nie mehr darzustellen.

Doch auch im weiteren Verlauf seiner Karriere musste er sich immer wieder rechtfertigen. 1905 wurde er aufgrund seiner Hinwendung zum französischen Impressionismus als „antinational" verteufelt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges fertigte Liebermann dann, ganz seinem Selbstbild als stolzer Deutscher folgend, Lithographien an, die zum Krieg ermutigen sollten. Erst im Verlauf des Krieges stellte sich bei Liebermann, wie bei so vielen Deutschen, jüdischen wie nicht-jüdischen, Ernüchterung ein, und in späteren Jahren bereute er seine patriotische Kriegseuphorie. So wechselten Anfeindungen und Ehrungen einander im Leben Liebermanns ab. Am Ende seiner Karriere war der Künstler überhäuft mit Auszeichnungen, die in seiner Ernennung zum Präsident der Preußischen Akademie der Künste ihren Höhepunkt fanden. Doch der Aufstieg des Dritten Reiches beendete 1933 seine Karriere endgültig. In einem Brief schrieb Liebermann 1935, seinem Todesjahr: „Wir [die deutschen Juden, Anm. d. A.] waren gezwungen, aus unserem schönen Traum der Assimilierung aufzuwachen."2 Ein anderer deutscher Jude, Professor Bernard Zondak, formulierte es noch härter: „Wir Juden lebten in Deutschland wie in einem Narrenparadies".3

Assimilierung als Traum, ein Garten als Flucht ins Paradies, in die Isolation, ein hortus conclusus, ein Narrenparadies - Liebermanns Garten, heute ein Liebermann Museum, entführt uns in diesen schönen Trug. Der Garten scheint paradiesisch mit seinen Blumenrabatten und den Blättern der Bäume, die im Wind spielen. Der benachbarte malerische See, von dem der Wind herüberweht, ist der Wannsee. Nur wenige Jahre nach Liebermann wurde er zum Namengeber einer Konferenz - einem kurzen Zusammenkommen in einem ebenso zauberhaften Anwesen wie dem Liebermannschen, eines Morgens, 1942. Jene Villa der Konferenz ist nur ein paar Häuser weit entfernt, sie liegt in der gleichen Strasse: Am Großen Wannsee. Auf einigen der Gartenbilder Liebermanns sieht man hinter zarten Kulissen der im Wind bewegten Blätter die benachbarten Villen durchschimmern. Wer heute das „Haus der Wannsee-Konferenz" besucht, findet sich in einer fast märchenhaften Szenerie wieder. Die Dokumente des Grauens liegen im Inneren des schönen Gebäudes, in der historischen Ausstellung ausgebreitet. Hier wurde das seit Menschengedenken ungeheuerlichste Verbrechen, die sogenannte Endlösung besiegelt - und darauf Cognac getrunken, wie Adolf Eichmann in Jerusalem lakonisch aussagte. Jene Nachbarvilla am Wannsee wurde Ort des grauenhaften Beschlusses, der als „Konferenz zur Endlösung der Judenfrage in der Villa am Wannsee" in die Geschichte einging. Eine Ironie des Schicksals - die Villa war sogar vom gleichen Architekten wie die Villa der Liebermanns gebaut, Paul Baumgarten. Liebermanns Villa, 1942 der jüdischen Familie bereits geraubt, wurde zur Unterbringung der Konferenzteilnehmer missbraucht.4

Heute ist das Wochenendhaus des Malers ein Liebermann-Museum geworden, und man sieht die Besucher in heiterer und gelöster Stimmung von Bild zu Bild schlendern. Doch mir wurden diese sanften Blütenblätter-Gemälde unheimlich: Denn auf einem anderen Blatt steht die Familiengeschichte der Liebermanns. Max Liebermann trat 1933 als Präsident der Akademie der Künste zurück. Er wollte lieber in Ehren und von sich aus demissionieren, ehe die Nazis seine unmittelbar bevorstehenden Entlassung durchführen konnten. Er verstarb 1935 hochbetagt, seine Witwe Martha blieb im Stadthaus der Familie zurück. Dieses befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Brandenburger Tor. So hatte Liebermann 1933 von zu Hause aus den Fackelzug der Nationalsozialisten dort durchziehen gesehen und den berühmten Satz ausgesprochen: „Ick kann gar nich so viel fressen, wie ick kotzen möchte." Als er zwei Jahre später auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde, erwiesen ihm von den vielen, die in seinem gastlichen Haus jahrelang ein- und ausgegangen waren, gerade einmal 35 Trauergäste die letzte Ehre. Während die Tochter sich ins Exil retten konnte, blieb seine Witwe Martha in Berlin zurück: Sie wollte das Grab ihres Mannes nicht im Stich lassen. 1942 schrieb sie ihren Abschiedsbrief. Er ist heute im Jüdischen Museum Berlin ausgestellt. Martha Liebermann hatte den Deportationsbescheid erhalten. Hoffnung und Kraft versagten ihr. Sie nahm sich, wie rund viertausend andere Berliner Juden, mit dem damals gängigen Schlafmittel Veronal das Leben.

Marta Liebermanns letzter Brief. Mit freundlicher Genehmigung Jüdisches Museum Berlin.

 

1 http://www.thejewishmuseum.org/site/pages/exhibitions_detail.php?id=1747

2 So wird der Maler in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin zitiert.

3 So in der Ausstellung des Holocaust Museums Yad Vashem, Jerusalem zu lesen.

4 Barbara C. Glibert im Katalog "Max Liebermann", Skirball Cultural Center, Seite 55.