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Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten

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Daniel Siemens: Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten.

München: Siedler 2009 .

351 Seiten, Euro 20,60.-

ISBN 978-3-88680-859-5

  

Ein Kriminalfall, und gleichzeitig ein Beispiel für nationalsozialistische Propagandaverklärung. Der Historiker Daniel Siemens erzählt die Geschichte Horst Wessels, der bereits kurz nach seinem Tod im Jahr 1930 zum „Blutzeugen der Bewegung" hochstilisiert wurde. Das von ihm verfasste Horst Wessel - Lied wurde zur NS-Parteihymne erhoben, Strassen, Plätze und der Berliner Arbeiterbezirk Friedrichshain nach ihm benannt. Mit seiner Wessel-Biografie gelang  Daniel Siemens, der erstmals auf Unterlagen der Stasi zugreifen konnte, eine historische Aufarbeitung des Horst-Wessel-Stoffes. Er räumt mit allen Legenden auf, die rund um die Figur Horst Wessels entstanden waren. Der 22-jährige Student war noch gar nicht tot, als Goebbels bereits das Potential der Ereignisse erkannte und in der Folge zu instrumentalisieren wusste. Die strahlende Darstellung war eine Erfindung Goebbels, der reale Horst Wessel war vielmehr ein von der Nazi-Ideologie verblendeter Bürgersohn, der bei einem Überfall in seiner Wohnung tödlich verletzt wurde. Die Darstellung der Person Host Wessels zeigt die skurrilen Ausprägungen der NS-Verklärung: Der Grabbesuch  zum Todestag, das rituelle Absingen des Horst Wessel-Liedes, wurden quasi zu sakralen Bestandteilen des Regimes, der Student zu einem Märtyrer. Selbst die protestantische Kirche war für den Mythos rund um Horst Wessel anfällig. Seiner Person wurden Bücher wie auch ein Film gewidmet. Geschickt wussten auch seine Mutter und Schwester die Popularität für sich zu nutzen und traten vor allem bei offiziellen Anlässen in seinem Namen auf.  Ein weiterer Aspekt des Buches sind die Rachemorde, die von SA, GESTAPO und Justiz nach 1933 an mutmasslichen kommunistischen Tätern und Mitbeteiligten verübt wurden. Der Justizfall Horst Wessel war mit dem Untergang des Dritten Reiches nicht beendet, sondern zog sich bis in die neueste Zeit. Dabei ist interessant, wie nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR mit dem „Mordfall Wessel" umgegangen wurde und warum wiederholt eine Verurteilung der Täter der Rachemorde scheiterte. Erstmals wurde auch die Spur seiner Angehörigen bis in die Gegenwart verfolgt. Das Buch liefert eine Fülle von Zusammenhängen und Hintergründen. Besonders gelungen ist die Darstellung der Diskrepanz zwischen wahren Ereignissen und der offiziellen Darstellung von Horst Wessels Persönlichkeit und seines Lebens. Daniel Siemens schafft mit seiner Studie eine umfassende Darstellung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, die besonders auch durch die analytische Schärfe ein Gewinn für den Leser ist.