Ausgabe

Über zwei „verborgene“ Frauen, welche zwei männliche Modelle der Gottesliebe zur Welt gebracht haben

Admiel KOSMAN

Content

Trotz des Vorwurfs, der schon immer gegenüber Frauen gemacht wurde, sie wären zu gesprächig, ist das Schweigen der Frauen durch die ganze Geschichte hindurch eine Tatsache, die nicht verleugnet werden kann.

In seinem Werk „Poetik" stellt Aristoteles eindeutig fest: „Es fügt sich nicht, dass eine Frau männlich, oder dass sie mit der Gabe des Sprechens ausgerüstet sei." (1454a) Manche werden behaupten, Frauen seien in der Vergangenheit zum Schweigen gezwungen worden, andere werden meinen, dass die Frauen keinen so großen Drang hatten, ihre Existenz hervorzuheben. Jedoch ist es eine bekannte Tatsache, dass hinter männlichen Künstlern oft „schweigende" Frauen stehen. Ferner geben die männlichen Künstler, die „sprechen", meist selbst zu, dass ihre Kunst aus jener verborgenen Kraft der „schweigsamen" Frauen entspringt.

In diesem Beitrag behaupte ich, dass, wenn wir von Weitem einen Blick auf die Landkarte der modernen Theologie werfen, wir zwei dieser „verborgenen" Frauen finden werden, bei denen der geistige Einfluss auf ihre Partner letztere erst dazu ermunterte zu „sprechen". Durch ihren Einfluss wurden die zwei wichtigsten theologischen Modelle des modernen religiösen Denkens für zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt. In Bezug auf die folgende Auseinandersetzung mit diesen beiden Beziehungskonzepten muss jedoch zwischen dem entworfenen Modell einerseits und seiner Verwirklichung in der Beziehung des Paares unterscheiden.

Die erste dieser Frauen ist nur durch ihren Namen bekannt, der im Fachdialog zwischen Philosophen viel erwähnt wird: Regina Olsen. Sie war die Verlobte von Søren Kierkegaard. Die zweite ist die Ehefrau von Martin Buber, Paula Winkler. Obwohl der Name von Regina Olsen bekannt ist, weiß man nicht viel über ihre Person. Der bekannte dänische Philosoph verliebte sich in sie, als er jung war. Bevor er sich in ein theologisches Seminar einschrieb, um als Pfarrer tätig zu sein, verlobte sich das Paar. Hauptsächlich fand Regina Olsen einen Platz in der Geschichte des westlichen Denkens, weil Kierkegaard sich später entschied, sie nicht zu heiraten. Es war eine Entscheidung, die von vielen seelischen Leiden begleitet war, aus denen sich einige zu den tiefen Grundgedanken der modernen Theologie formten.

Paula Winkler hingegen, die 1877 als katholische Deutsche in München geboren wurde, war ein langes gemeinsames Leben mit Martin Buber, ihrem Ehemann, vergönnt. Sie starb im August 1958 als Jüdin und Israelin.

Warum distanzierte sich Kierkegaard von Regina und verwirklichte nicht seine Liebe zu ihr, während Buber und Paula sich für ein gemeinsames Leben entschieden? Kierkegaard pflegte seine Bücher unter Pseudonymen zu schreiben. Der „Verfasser" des bekannten Buches „Furcht und Zittern" ist Johannes de Silemtio - Johannes der Schweigende. Johannes schweigt, weil er den religiösen Glauben von Abraham nicht erklären kann: Er kann nicht erklären, was den glaubenden Abraham von einem potentiellen Mörder unterscheidet, der seinem Sohn Gewalt antut.

Kierkegaard meint, dass nur der Einzelne, der einschließlich der moralischen Weltanschauungen das übersteigt, was auf der menschlichen Ebene vorhanden ist, und sich Gott hingibt, mit Glauben belohnt werden kann. Die Ausschnitte aus „Furcht und Zittern" erzeugen den Eindruck, dass Kierkegaard sich selbst als „Ritter des Verzichts" präsentiert, als jemand, der seine Liebe zu Regina Gott opfert, um dadurch Abraham ähnlich zu werden, der bereit ist, seinen geliebten Sohn zu opfern. Dieses Verständnis zeigen auch Ausschnitte aus dem Tagebuch  Kierkegaards, in welchen er sich mit Abraham vergleicht. In diesen Passagen verstärkt sich der Eindruck, dass Kierkegaards eine ablehnende Haltung gegen die Ehe einnimmt. In der Tat nehmen einige Forscher an, dass Kierkegaard sich selbst als ein Mensch verstand, der wie der biblische Abraham handelte. Jedoch ist die Wahrheit wohl komplizierter und hat mit den Hemmungen von Kierkegaard selbst zu tun. So heißt es an einer Stelle in seinem Tagebuch: „Ich sage nicht, dass ich nicht heiratete, weil das Heiraten nicht dem Christentum entspräche, und ich habe es auch nie gesagt."1

Buber glaubte, dass Kierkegaards Verzicht auf Regina in dessen christlichen Weltanschauung den Ursprung hatte und greift diese Haltung in seinem kleinen Aufsatz „Die Frage an die Einzelnen"2 aus der Perspektive der jüdischen Theologie 3scharf an. Auch wenn Buber sich im Fall von Kierkegaard irrt, ist das für die folgende Erörterung nicht von Bedeutung. Wichtiger ist die Diskussion um diese Einstellung.

Es ist schwer, dem Eindruck zu entkommen, dass im Hintergrund dieses Gespräches, das Buber mit Kierkegaard führt, jene verborgene Paula steht, ohne die eine Diskussion über dieses Thema nicht zustande gekommen wäre: Buber traf Paula, als er Student in Zürich war. Sie war nicht nur ein Jahr älter, sondern im Vergleich zu ihm viel reifer und begabter als er. Paula schrieb, versteckt hinter dem männlichen Pseudonym Georg Munkl, Poetik, Prosa und Romane. Die talentierte Paula erkannte im jungen Martin Buber die kindliche und naive Seite und verliebte sich in ihn. Die Verbindung zwischen den beiden führte dazu, dass Paula ihr ganzes Leben lang in der Gedankenwelt Bubers versank, und zwar auf eine Weise, dass beide Personen zu einer einzelnen verschmolzen. Dies wurde beschrieben, als würden „sie beide als eine Person" gemeinsame Visionen des Geistes betrachten.4

Kommen wir nun zur Kritik von Buber an der Entscheidung von Kierkegaard zurück. Buber zeigt Verständnis dafür, wenn Kierkegaard meint, der Mensch müsse vorsichtig sein und dürfe nicht mit anderen über wesentliche Sachen reden. Über Wesentliches soll der Mensch nur mit sich selbst oder mit Gott sprechen. Buber versteht, dass für Kierkegaard nur eines zählt: Der Einzelne, welcher vor Gott steht. Dementsprechend bestand, Buber zufolge, das zentrale Ereignis im Leben Kierkegaards in der „Trennung von Regina Olsen ... der Enthaltsamkeit von Frauen und von der Welt", um einen direkten Kontakt mit Gott zu ermöglichen: „Um zum Lieben zu kommen (das heißt zur wahren Liebe, die nur die Liebe zu Gott ist; A.K.) ... mußte ich den Gegenstand (Regina) entfernen."5 Dazu erklärt Buber: "Das heißt Gott auf die sublimste Weise mißverstehen. Die Schöpfung ist keine Hürde auf der Bahn zu Gott, sie ist diese Bahn selbst."6

Andererseits schreibt Buber, dass Kierkegaard nicht begriff, wie wichtig die Unterstützung einer Frau gerade für die geistige Arbeit ist. Buber schreibt über die Notwendigkeit einer weiblichen Gestalt, welche im Hintergrund des Künstlerlebens steht. Als Beispiele dafür erwähnt er sowohl die Mutter von Augustinus als auch die Schwester Pascals. Sie, die Frau, ist „die Abgesandte des Elements", die Gesandte der Naturkräfte; nur die Frau stellt eine „die organische Verbindung zur Welt" dar, so Buber.7

Aber das Hauptargument von Buber, kurz formuliert, ist dies: Eine von der Welt unabhängige Beschäftigung mit der Liebe zu Gott ist bedeutungslos. Die Liebe des Menschen zu Gott wird nur durch die volle Hingabe an den Menschen offensichtlich. Buber stellt eindeutig fest: „So ist es der Wille Gottes, dass wir ihm  durch Regina und ähnliche Frauen, die Er geschaffen hat, nahekommen und nicht durch die Absonderung von ihnen." Mit anderen Worten: Wenn wir Regina aus unserem Leben weggeschafft haben, so haben wir zusammen mit ihr auch Gott aus unserem Leben weggeschafft. Solch eine Liebe - ohne Regina - umarmt das Leere.8

Was macht, der Meinung Bubers zufolge, aus der Liebe zur Frau die Liebe zu Gott? Es herrscht doch hier kein Zweifel, dass Buber nicht über einen Hedonisten spricht, welcher sich abwechselnd in mehrere „Reginen" verlieben muss. Grundsätzlich ist mit der Liebe also nicht eine romantische Liebe gemeint. Hier kehren wir wieder zum Thema der Opferdarbringung zurück, aber auf eine andere Weise als bei Kierkegaard. Buber meint, dass die wirkliche Liebe zu einer Frau diejenige ist, die gleichzeitig an die Liebe zu Gott anknüpft, indem der Mann sein Ego auf dem Altar der Beziehung opfert.

Viele machen einen Fehler und begreifen den Dialogbegriff Bubers, als würde Buber unter den beiden Teilnehmern des Dialogs ein Paar verstehen, welches sich in einer zwischenmenschlichen Beziehung befindet, wie es sich zum Beispiel der Frühhumanist Francesco Petrarcas vorstellt. In Wirklichkeit prägt der leidenschaftlich religiöse Glauben Bubers ein anderes Verständnis von der zwischenmenschlichen Beziehung. Das, was die persönliche Beziehung zu einer religiösen Beziehung zu Gott ausmacht, ist nur das Element des Opfers. Buber behandelt dieses Element als einen Punkt, in dem der Geist Gottes zwischen zwei Menschen herrscht.

Das Opfer ist natürlich kein Tier, sondern das Ich, das Ego. Um eine Frau zu lieben - so würde Buber sagen - musst du als Mann in der Lage sein, dich hinzugeben, und zwar mit derselben Leidenschaft und derselben Naivität, mit der sich der frühe Mensch seinem Gott hingab, von dem er glaubte, er wohne im Himmel. Das Bündnis zwischen Mann und Frau stellt die Voraussetzung dafür dar, dass ein Prozess beginnen kann, in dessen Verlauf weitere Bündnisse mit den übrigen Kreisen der Welt geschlossen werden können. Wer einen Dialog mit seinem Partner aufbaut, hat es geschafft zu lernen, wie man in jener Intimität lebt, welche sowohl zwischen Mensch und Mensch als auch zwischen Mensch und Natur in allen Lebensbereichen herrschen sollte. Nur auf diese Weise, der freudigen Darbringung eines Opfers und der Leidenschaft der Hingabe an „andere", kann der Einzelne durch die wirkliche Welt hindurch die Gottheit erschauen - nur so, und nicht auf eine andere abstrakte Weise, die den Menschen in seine Gebete führt, an einen imaginären Gott zu glauben, der außerhalb der Welt existiert.

In diesem Sinne herrscht kein Zweifel: Buber war eher ein Schüler von Ba‘al-Shem-Tov, dem Begründers der hassidischen Bewegung, der die Funken der Gottheit überall dort sah, wo er mit der Welt zusammen kam, als ein Schüler des italienischen Humanisten Francesco Petrarca.

1    Søren Kierkegaards Journals and Papers, Edited and translated by Howard V. Hong and Edna H. Hong. 1849, no. 6500, X2A61 n.d.

2    Buber, Martin: Die Frage an die Einzelnen, in: Buber, Martin: Das dialogische Prinzip, Lambert Schneider Verlag, Heidelberg 1997, S. 199-267.

4    Schaeder, Grete: Martin Buber. Ein biographischer Abriß, in: Buber, Martin: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Band 1, Lambert Schneider Verlag, Heidelberg 1972, S. 39.

5    Buber, Martin: Die Frage an die Einzelnen, S. 218.

6    Buber, Martin: Die Frage an die Einzelnen, S. 218.

7    Buber, Martin: Die Frage an die Einzelnen, S. 199.

8    Buber, Martin: Die Frage des Einzelnen, S. 218.