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Tagungsbericht: Salondamen und Dienstboten

Martha KEIL

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Salondamen und Dienstboten. Jüdisches Bürgertum um 1800 aus weiblicher Sicht lautete der Titel der 19. internationalen Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, St. Pölten in Zusammenarbeit mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg vom 6.-8. Juli 2009. Die Tagung befasste sich mit zwei weiblichen jüdischen Bevölkerungsgruppen am oberen und unteren Ende der sozialen Leiter.

Die erste Sektion, Geschlecht und Gesellschaft, eröffnete Simone Lässig und betonte, die religiösen Reformen im deutschen Judentum seien erst im Bezug zur Neuverhandlung der Geschlechterrollen verständlich. Dabei würden die ursprünglichen Werte beider Geschlechter durch neue ersetzt, wie etwa der „blasse Gelehrte" durch den dynamischen Unternehmer und die „tüchtige Geschäftsfrau" durch die gefühlvolle, sittsame Hausdame. Dieser Wandel sei nicht ohne Widerstand der Frauen vor sich gegangen. Hannah Lotte Lund verfolgte exemplarisch die Entwicklung des Salongastes Gustav von Brinckmann vom „begeisterten Habitué des moralischen Kanapees" zum Kritiker des „Judensofas". Noch in den 1790er Jahren habe bei den meist adeligen Salonbesuchern gegenüber Rahel Varnhagen und ihren Freundinnen die Kategorie „jüdisch" keinerlei Rolle gespielt, um 1800 aber hätten sich deutlich nationalistische Tendenzen als Ausschlusskriterien von Jüdinnen - und Juden - aus der christlichen Geselligkeit bemerkbar gemacht. Einige Vorträge beschäftigten sich mit den bekannten Wiener Salondamen Fanny von Arnstein, ihrer Schwester Cäcilia Eskeles und Fannys Tochter Henriette Pereira. Dieter Hecht zog hebräische Grabsteininschriften und die Toleriertenlisten heran, um auch weniger prominente Frauen der in Wien tolerierten jüdischen Familien um 1800 vorzustellen. Elana Shapira zeigte anhand von Porträts der Damen Arnstein, wie diese sich selbst inszenierten und ihre kulturelle und gesellschaftliche Einflussnahme buchstäblich „ins Bild setzten". Gerhard Milchram vom Jüdischen Museum Wien stellte wohltätige Stiftungen von Wiener Jüdinnen vor, die ihnen auch in der christlichen Gesellschaft Ansehen und Prestige brachten. Die gleichzeitige Stiftung von Ritualgegenständen zeige aber auch, dass diese Frauen noch eine starke Verwurzelung in der Religion und enge Verbindungen zu den Institutionen der Kultusgemeinde gehabt hätten.

Im Panel Dienstboten ging es um die Sichtbarmachung der jüdischen, insbesondere der weiblichen Unterschichten. Monika Richarz stellte fest, dass jüdische Dienstbotinnen bisher von der Forschung weitgehend ignoriert worden seien. Sie seien als Migrantinnen mit kurzfristigen Arbeitsverträgen Fremde in den Gemeinden und nur als Angestellte von Schutzjuden geduldet gewesen. Durch das System des Schutzjudentums zur Ehelosigkeit gezwungen, hätten sie die höchste Rate unehelicher Kinder, oft, wie auch in christlichen Haushalten der Fall, von den Söhnen ihrer Dienstherren, gehabt. Schwangere Dienstbotinnen seien der Gemeinde verwiesen worden, hätten ihre Kinder christlichen Waisenhäusern überlassen müssen, seien zum Christentum konvertiert oder Prostituierte geworden. Wie Wolfgang Gasser zeigen konnte, stellt sich die Quellenlage zu den Dienstboten in Wien etwas günstiger dar. Sie stützt sich auf die auch von Dieter Hecht benutzten Familienlisten. Eine Verknüpfung dieser Erkenntnisse mit jenen von Anna Staudacher über die Findelkinder und Konvertiten in Wien lasse für jüdische Dienstbotinnen eine härtere soziale Realität als die ihrer christlichen Berufsgenossinnen erkennen. Der stete Rückgang des Dienstbotenberufs in der jüdischen Bevölkerung falle in eine Zeit, in der der allgemeine Anteil der Hausangestellten in Wien noch angestiegen sei. Mit dem Wegfall der rechtlichen Einschränkungen 1848 und 1867 hätten die jüdischen Immigrantinnen nach neuen Einstiegsmöglichkeiten in die urbane Gesellschaft zu suchen begonnen. Die zwei Vorträge von  Andreas Brämer und Louise Hecht untersuchten die Mädchenbildung in dem in dieser Zeit neu organisierten jüdischen Schulwesen in Preussen bzw. Prag und Wien. Es habe zwar nun auch Mädchen Zugang zu einer elementaren weltlichen Bildung ermöglicht, von höheren Studien und auch der jüdisch-religiösen Gelehrsamkeit seien sie aber weiterhin ausgeschlossen geblieben.

In der Sektion Religion und Konversion verglich Jutta Braden die Konversionszahlen und -muster in den jüdischen Gemeinden Hamburgs und Berlins, wobei Hamburg zwischen 1780 und 1840 mit rund 600 Getauften den mehr als 1.000 Konvertiten in Berlin und Wien gegenüber gestanden sei. Im Unterschied zu Berlin, wo Frauen im Konversionsgeschehen Ende des 18. Jahrhunderts die treibende Kraft gewesen seien, habe die nicht kleine Gruppe der konvertierten bürgerlichen Jüdinnen in Hamburg ebenfalls konvertierte jüdische Männer geheiratet. Dieses Heiratsverhalten verweise, so Braden, auf die abgeschottete Situation der jüdischen Gesellschaft in Hamburg. Zum Abschluss machte Stefanie Schüler-Springorum am Beispiel der unterschiedlichen Versionen der Geschichte der Salondamen -- die je nach Standpunkt als sich emanzipierende Frauen gefeiert oder als abtrünnige jüdische Töchter verdammt worden seien -deutlich, in welch hohem Masse die als Krisen erlebten Modernisierungsschübe in der jüdischen Geschichte geschlechtskonnotiert aufgeladen, erfahren und verarbeitet worden seien. Wie ihr Vortragstitel Der Niedergang des Judentums und die Schuld der Frauen ausdrückt, habe sich die Kritik an der Haskala als personalisierte Kritik an Frauen - bzw. an deren zu liberalen Elternhäusern - gestaltet.

Literatur:

Begleitheft beim Institut für jüdische Geschichte Österreichs, St. Pölten.

Die Ergebnisse der Tagung werden in der Schriftenreihe des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden publiziert.