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Der jüdische Mann als Soldat:

Felice Naomi WONNENBERG

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Drei wichtige Filme zu jüdischen und israelischen Themen laufen derzeit im Kino an. Inglourious Basterds, Adjami und Libanon. Alle drei Filme sind sicherlich keine gefälligen Standard-Kinoerlebnisse, sondern fordern den Zuschauer zu einer kritischen Rezeption heraus.

Inglourious Basterds von Quentin Tarantino machte in der internationalen Filmpresse schon von sich reden, lange bevor er in die Kinos kam. Der amerikanische Regisseur, berühmt-berüchtigt für seine Filme, in denen Gewalt wie eine hedonistische Orgie gefeiert wird, macht sich an das Thema Holocaust. Das löste einen Sturm der Entrüstung im Blätterwald der Filmkritiker aus. Im Zentrum der Diskussion um political correctness stand natürlich die Kernfrage: Darf ein Film zum Thema Holocaust, der aus einer Aneinanderreihung von Gewaltexessen komponiert ist, genüsslich konsumiert werden?

Tarantino beschreibt das Konzept seines Filmes so:

„Ich hatte die Idee, einen Haufen jüdisch-amerikanischer Soldaten einen Widerstand nach Art der Apachen gegen die Nazis machen zu lassen, denn das hatte ich noch nie gesehen. Die andere Geschichte habe ich schon ad nauseam gesehen."

Ad nauseam - ein gewagter Terminus, darf einen denn das Thema Holocaust schon „ankotzen", wie der nicht gerade konfrontationsscheue Regisseur hier sagt. „Tabus sind dazu da, gebrochen zu werden," fügte der Regisseur bei der Tel Aviver Filmpremiere munter hinzu.

Während sich die Geister der Holocaust-Gedenkstättenleiter, Shoah-Überlebenden und Pädagogen noch scheiden, hat das israelische Publikum bereits  eindeutig abgestimmt: Nach einem Monat Kinolaufzeit waren im kleinen jüdischen Staat 200.000 Kinokarten verkauft, proportional gesehen ein unübertroffener Kassenhit. Die Stimmung in den Kinosälen ist heiter, ja übermütig, und das überwiegend junge Publikum, also Angehörige der Dritten Generation nach dem Holocaust, jubelt begeistert bei jeder Gewaltsalve gegen die Nazis. Jüdische Rache gegen Nazis, nicht gerade intellektuell ausgeführt, sondern ganz handgreiflich, wird ganz offensichtlich vom israelischen Publikum im sonst so bedrückenden Kontext Holocaust als Befreiung wahrgenommen.

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Szenen aus dem Film Ajami.  Abbildungen Boaz Yehonathan Yaakov mit freundlicher Genehmigung von Niva Navon.

Dina Porat, Direktor des Institutes für Erforschung von zeitgenössischem Antisemitismus und Rassismus an der Universität Tel Aviv erläutert:

„Tarantino erzählt ja nicht die Geschichte des Holocaust, deswegen sehe ich die Geschichte nicht als problematisch an. Er sagt uns doch ganz offen: dies ist nicht historisch, ich phantasiere etwas, kommt und phantasiert mit mir!"

Der Film basiert auch nicht auf Tatsachen, sondern agiert ganz explizit unter dem märchenhaften Vortitel Es war einmal.... Tarantinos Film ist mit Zitaten aus der Filmgeschichte gespickt und spielt hier augenzwinkernd auf den Titel von Sergio Leones Spaghettiwestern Es war einmal in Amerika an.

Das wirklich Revolutionäre an diesem Film ist, dass hier lustvoll mit dem klassischen Stereotyp des jüdischen Mannes als hilflosem Opfer gebrochen wird. In Polanskis Film Der Pianist muss sich der jüdische Mann vor den Nazis noch wie eine Maus auf dem Dachboden verstecken und hat als einzige Waffe die intellektuelle Kunst des Klavierspiels, als er vor einem Deutschen steht und ihn um Erbarmen flehend anblickt. Auch die „Schindlerjuden" sind allesamt der Güte ihres Retters ergeben. Die Inglourious Basterds hingegen stehen selbst ihren Mann, schwingen höhnisch lachend den Baseballschläger über Naziköpfen und sammeln rächend und blutrünstig Nazi-Scalps. Wie Holocaust-Überlebende zu diesem neuen Bild des jüdischen Mannes stehen, beschreibt Coby Ben-Simhon in einem Artikel der israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Der Zeitzeuge Naphtali Oberhand-Balaban aus Haifa resümiert:

„Hier sehen wir sadistische Juden. Ich bin mit den Bielski-Brüder verwandt, die eine Partisanengruppe geleitet haben. Sie waren überhaupt nicht so."

Und eine andere Überlebende, Zahava Zuckermann-Stromsoe, merkt an, sie könne die Genugtuung, die die israelischen Zuschauer frivol äussern, nachvollziehen, sagt aber auch, dass sie ihr „ganzes Leben" (nach dem Holocaust) in Israel gelebt und zwei bezaubernde Kinder gross gezogen habe. Das sei, ihrer Meinung nach, die wahre Rache.

Noch benommen von den sorglosen Basterds-Helden der amerikanisch-deutschen Co-Produktion, mag der Kinobesucher dieser Tage in einen anderen Film von jüdischem Interesse geraten, den Film Libanon. Dieser Film steht in krassem Gegensatz zu Tarantinos Werk. Die Filmkritikerin Deborah Young urteilt: „Der unheldenhafteste Kriegsfilm, der je produziert wurde." Zwar reiht sich auch in diesem Streifen eine Gewaltszene an die andere, aber von Spass kann hier nicht die Rede sein. Ein kinematografisches Meisterwerk der Reduktion, wird die gesamte Handlung aus der subjektiven Sicht der vierköpfigen Mannschaft eines israelischen Panzers im ersten Libanonkrieg gezeigt. Die klaustrophobe Atmosphäre im Kriegsfahrzeug unter Beschuss verdeutlicht die Beklemmung und Angst, von der die Soldaten erfasst sind. Ihr Blick auf das Kriegsgeschehen ist jener durch das Zielfernrohr des Panzers. An dieser Stelle fällt dem Betrachter unweigerlich die Grundkonzeption des Klassikers Das Boot ein. Aber anders als in dieser deutschen U-Boot Geschichte, sehen die verängstigten israelischen Soldaten ihrem Gegenüber ins Gesicht. Das Fernrohr zeigt wie eine Filmkameralinse in Nahaufnahme die Gesichter der Zivilisten, Terroristen und unidentifizierten Menschen, die vor die Schiessvorrichtung des Panzers geraten. Die quälenden „Augen-Blicke", die der Schütze im Moment unmittelbar vor seinem fatalen Handeln erlebt, werden ihm zur unerträglichen Seelenlast. Ausnahmslos alle Soldaten werden hier als Anti-Helden gezeigt, die gebrochen von den seelischen Belastungen des Krieges „zur Mama" evakuiert werden wollen. Beeindruckend ist dieser Film auch, weil er durch die Mittel und die technische Beschränktheit des Bildausschnittes des Sichtfernrohres auch an die Beschränktheit der Filmkamera erinnert. Die Filmkritikerin Gertrud Koch brachte diese Vorbestimmtheit mit ihrer Formulierung „Die Einstellung ist die Einstellung" auf den Punkt.

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Szene aus dem Film Lebanon. Abbildung: Mit freundlicher Genehmigung von Celluloid Dreams.

Ein anderer hochinteressanter Film dieses Kinoherbstes ist Adjami, der von einem jüdischen Israeli, Yaron Shani, und von einem arabischen Israeli, Scandar Copti, als Co-Regisseuren gemeinsam gedreht wurde. Adjami, ein überwiegend arabischer Stadtteil im Süden der Gemeinde Tel-Aviv-Yaffos, ist in Israel als ein Problemstadtteil bekannt, den Drogenbanden besser als die lokale Polizei beherrschen. Jüdische Israelis geraten in dieses problemhafte Gefüge nur als reiche Eindringlinge, die sich ein altes arabisches Haus kaufen und von der alteingesessenen Bevölkerung im Film als unwillkommen kurzerhand auf offener Strasse erschossen werden, oder als Polizisten, die als Agenten der langen Hand des Staates eingreifen und scheinbar brutal die jugendlichen arabischen Kleinkriminellen niederschiessen. Interessant ist in diesem Film die zweifache Erzählstruktur. Als die Geschichte das erste Mal dargestellt wird, erscheint sie als eine Drogenviertel-Geschichte, wie sie in Boulevardzeitungen abgedroschen werden. Im zweiten Erzähldurchgang dringt der Zuschauer langsam in die Ebene der persönlichen Hintergründe und Motive der handelnden Figuren ein. Der jüdische Polizist erscheint nun nicht mehr als ein brutaler Cop, sondern als liebevoller Vater, der am Abend sein Töchterchen badet und in verzweifelter Trauer um sein jüngeren Bruder gefangen ist. Die scheinbar brutale Erschiessung entpuppt sich als seine letzte verzweifelte Handlung in einem komplizierten Geflecht, wo die Suche nach dem durch Lynchmord verlorenen Bruder in die Strassen Adjamis führt. Tatsächlich handlungsmächtig ist keine der Figuren, und das Spinnennetz der Gewalt hält sie alle gefangen, jüdische wie arabische Figuren.