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Wortmalerei

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Heuer erschien bei Vandenhoeck und Rupprecht ein beeindruckendes Buch über den jüdischen Künstler und Schriftsteller Bruno Schulz, der sein Hauptwerk in der Zwischenkriegszeit in polnischer Sprache verfasst hat. 1

In Die Rettung des Bildes im Wort. Bruno Schulz Bild-Idee in seinem prosaischen und bildnerischen Werk befasst sich die Autorin Anna

Juraschek 2 mit der Idee des Bildes im Werk dieses Künstlers aus Galizien.

Galizien: Die Reinheit des Schneesh111_028

Der 1905 im ostgalizischen Zablotow geborene Literat Manès Sperber schreibt in seinen Kindheitserinnerungen: 

„Wann immer sich die früheste Kindheit meinem Gedächtnis anbot, tauchte eine Schneelandschaft auf - Schnee auf den Strassen und den Pfaden, auf den Fenstersimsen und den Dächern der Häuser, in den Gärten dahinter und auf den Feldern, auf den Bäumen, auf den fernen Wäldern und Hügeln. (...) Denke ich an diese Juden zurück, wie ich sie bis zu meinem zehnten Lebensjahr täglich in den Gassen, auf dem Marktplatz, in Bethäusern und Studierstuben sah, so bringt mir die Erinnerung zweierlei Geräusche zurück: Seufzen, viel Seufzen und Ächzen, aber auch Gelächter, gutmütiges oder spöttisches, doch stets lautes Lachen, in das auch die Seufzenden und Ächzenden bald einstimmten."3 

Bruno Schulz: Der Rest ist Asche

Im Jahre 1998 veröffentlicht der italienische Schriftsteller Ugo Riccarelli mit Un uomo che forse si chiamava Schulz ein aussergewöhnliches Buch über den Schriftsteller und Maler Bruno Schulz. 

„Er war ein kleiner Mann, introvertiert und liebenswürdig, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, und führte ein ruhiges, unauffälliges Leben. Die Grausamkeit seiner Zeit und die Blindwütigkeit seiner Folterer liessen von seinem Universum als Dichter und Zeichner mit einer beunruhigenden, visionären Sprache nur einige Zeichnungen und ein aussergewöhnliches Buch mit dem Titel Die Zimtläden übrig. Der Rest ist Asche." 4  

So wie der oben erwähnte Autor Manès Sperber stammt auch Bruno Schulz aus Galizien, wo er am 12. Juli 1892 in der Stadt  Drohobycz als jüngster Sohn eines Textilhändlers geboren wird. Wegen einer schweren Herz- und Lungenerkrankung muss er sein Architekturstudium im Lemberg beenden und lebt daraufhin unter ärmlichen Verhältnissen zurückgezogen in seiner Geburtsstadt. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Zeichenlehrer an der örtlichen höheren Schule. Im Jahre 1920 beginnt er mit der Arbeit am Grafikzyklus Xięga Bałwochwalcza (Das Buch vom Götzendienst), „dessen drastische Themen die Philister der Kleinstadt schockieren mussten und eine moralisch-sittliche Provokation darstellten."5 Sein literarisches Debüt feiert Schulz 1933 mit der Erzählung Ptaki (Vögel), die in der Zeitschrift Wiadomości Literackie erscheint. Im selben Jahr publiziert der Verlag Rój sein erstes Buch Sklepy cynamonowe (Die Zimtläden). Drei Jahre später erscheint seine Übersetzung von Kafkas Der Prozess. Während eines Urlaubs bereitet er seine Sammlung von früher entstandenen Erzählungen vor, die 1937 im Verlag Rój unter dem Titel Sanatorium pod Klepsydrą (Das Sanatorium zur Todesanzeige) gedruckt wird. In dieser Zeit beginnen erste Depressionen, die immer stärker werden. Im Sommer 1941 marschiert die deutsche Wehrmacht in Drohobycz ein. Die ersten Monate ist Schulz durch die Protektion des Gestapo-Offiziers Felix Landau sicher. Schulz plant, mit falschen Ausweispapieren versehen, aus dem Ghetto zu fliehen. Als er sich am 19. November 1942 auf den Weg zum Judenrat macht, um seine Brotration abzuholen, beginnt eine Razzia der örtlichen Gestapo, bei der 230 Personen erschossen werden. Zu den Opfern zählt auch Bruno Schulz. Noch in der Nacht wird er am Jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt beerdigt. 

Die Rettung des Bildes im Wort

Anna Juraschek gelingt mit ihrem Buch ein faszinierender Blick in die Welt des Bruno Schulz. Ausgehend von gesellschaftlichen und technischen Veränderungen im Europa der Jahrhundertwende analysiert die Autorin Werke des Künstlers im Kontext zu Aufsätzen von Gisèle Freund und Walter Benjamin sowie neueren bildwissenschaftlichen Theorien wie jene von Hans Belting und Gottfried Boehm. In Werken aus Schulz früher Phase, wie zum Beispiel Xięga Bałwochwalcza, zeigen eine Auseinandersetzung mit Bildern, die auf verschiedenen Ebenen ausgetragen wird. Zu den Themen zählen mythologische Szenen, expressionistische Tendenzen und Bilder, die an Werbungen erinnern. Zum Verhältnis zwischen seinen Bildern und seinen schriftlichen Werken meinte Bruno Schulz: 

„ Die Frage, ob in meinen Zeichnungen derselbe Einschlag sich offenbart wie in der Prosa, möchte ich bejahend beantworten. Es ist doch auch dieselbe Wirklichkeit, nur in einem etwas anderen Ausschnitt. Das Material und die Technik wirken hier als selektiver Filter. Die Zeichnung setzt durch ihr Material engere Grenzen als die Prosa. Deshalb glaube ich, mich in der Prosa vollständiger ausgesprochen zu haben." 6 Einer seiner grundlegenden Ansätze ist die Rettung der Bilder, wobei er sich auf  Walter Benjamins Begriff der „Rettung" bezieht. „Rettung bedeutet nach Benjamin ein Übersetzen vergangener Erfahrungen, Begriffe und Erkenntnisse in eine gegenwärtige Form, sodass Aspekte der Gegenwart mit früheren Überzeugungen konfrontiert werden können." 7

Epilog: Die Sehnsucht nach Reinheit

Manès Sperber: „Ich dachte, ich würde zuallererst vom Schnee sprechen, davon, was er mir, seit ich denken kann, bedeutet hat. (...) Immer habe ich auf den Schnee gewartet, weil ich mich nach der Reinheit sehnte, sagte in einem meiner Romane eine Pole zu der Geliebten, die er am frühen Morgen aus dem Bett reisst, um ihr eine verschneite Allee zu zeigen." 8

1  Anna Juraschek: Die Rettung des Bildes im Wort. Bruno Schulz Bild-Idee in seinem prosaischen und bildnerischen Werk.

Schnittstellen Studien zum östlichen und südöstlichen Europa, Band 003 

Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht 2016, 255 Seiten, 20 Abbildungen, gebunden Euro 60.00 PDF | eBook Euro 49,99 ISBN 9783525300855 | ISBN (PDF eBook) 9783647300856 

2  Anna Juraschek studierte Osteuropastudien an der Universität Regensburg sowie European Studies an der Universität Passau. Sie arbeitet als Lektorin und Übersetzerin mitunter für das Forschungszentrum für Ideengeschichte an der Jagiellonen Universität Krakau.

3  Manès Sperber: Die Wasserträger Gottes. All das Vergangene...München 1978, S. 9 u. 17

4  Ugo Riccarelli: Ein Mann, der vielleicht Schulz hiess. München 2001, S. 185

5  Jerzy Ficowski (Hrsg.): Bruno Schulz. Das Götzenbuch (Xięga Bałwochwalcza). Warschau o.J., S. 5

6  Anna Juraschek: Die Rettung des Bildes im Wort, 2016, S. 12

7  End., S. 227

8  Manès Sperber: Die Wasserträger Gottes. All das Vergangene...München 1978, S. 9 u. 17