Die Österreichische Nationalbank feiert 2016 ihr zweihundertjähriges Jubiläum. Mehr als vierzig jüdische Familien haben einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Gründung geleistet. Die Grabmäler von 23 Gründungsvätern wurden in der NS-Zeit geschändet, dann jahrzehntelang vergessen und dem Verfall preisgegeben. Heute sind viele der einzigartigen Kulturdenkmäler akut gefährdet.
1816 installierte der österreichische Kaiser Franz I. per Dekret die Österreichische Nationalbank. Mit dieser Massnahme sollten die Staatsfinanzen nach dem Ende der jahrelangen, äusserst kostspieligen Napoleonischen Kriege konsolidiert werden. Mit der neuen Nationalbank wurde eine grössere Wirtschaftskrise abgewendet. Sowohl die Wiener jüdische Bevölkerung als auch jene der habsburgischen Kronländer, der deutschen Länder sowie Kongresspolens beteiligten sich als Gründungsmitglieder in einem erstaunlich hohen Prozentsatz an der Gründung des Instituts. Die Motive dafür waren offenkundig. Hatten die europäischen Juden während des Wiener Kongresses alles daran gesetzt, ihre rechtliche Gleichstellung zu erreichen, so waren sie nach dem Scheitern dieses ambitionierten Ziels umso mehr weiterhin vom Wohlwollen der in ihrem Niederlassungsgebiet Herrschenden abhängig. In regelmässigen Abständen mussten Aufenthaltsbewilligungen verlängert, Reisepapiere bestätigt und Arbeitsgenehmigungen geklärt werden. Der sicherste Garant der eigenen Existenz war und blieb, Unternehmungen des jeweiligen Kaisers zu unterstützen und ihm dafür Geld zur Verfügung zu stellen. So kam es, dass sich eine grosse Gruppe von Juden ganz direkt für die Verbesserung der wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Habsburgermonarchie engagierte. Existentiell war für diese unterprivilegierte Bevölkerungsgruppe die Sicherung der eigenen Zukunft.
Die jüdische Kulturzeitschrift DAVID hat sich entschlossen, den jüdischen Gründerfamilien der Österreichischen Nationalbank eine eigene Serie zu widmen. Der erste Teil stellt die in der Öffentlichkeit bekannteste von ihnen vor.
Die Grabmonumente von Bernhard Eskeles (li.), Cäcilie Eskeles und Fanny Arnstein wurden Ende der 1990er Jahre durch Vandalen schwer beschädigt, die Inschriftentafeln mit den Namen zerstört. Rechts im Bild ist eine Lücke zu sehen: das vierte Grabmal, jenes von Nathan Adam Arnstein, wurde nach der Exhumierung seines Leichnams gestohlen und fehlt komplett. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Bernhard Eskeles (1753 - 1839) und Nathan Adam Arnstein (1748 - 1838) stammten beide aus alt eingesessenen Wiener Hofjudenfamilien. Gemeinsam begründeten sie eines der ersten privaten Bankhäuser der Monarchie und spielten eine wichtige Rolle als Finanziers der österreichischen Militärausgaben, vor allem auch während der Napoleonischen Kriege, zugunsten der Habsburger. In der Phase nach deren Ende betätigten sie sich als einflussreiche Lobbyisten für die bürgerlichen Rechte der Juden in ganz Europa nach dem Vorbild des Code Civil im republikanischen Frankreich. Ihre Ehefrauen, sie waren Töchter des Berliner Oberhoffaktors Daniel Itzig (1723 - 1799), Fanny Arnstein (1758 - 1818) und Cäcilie Eskeles (1760 - 1836) führten zu diesem Zweck in ihren Stadtwohnungen bürgerliche Salons. Nathan Adam und Fanny Arnstein hatten ein einziges Kind, ihre Tochter Henriette (1780 - 1859). Deren Ehemann Heinrich Pereira (1773-1835) gehört ebenso zu den Gründungsmitgliedern der Österreichischen Nationalbank wie Nathan Adam Arnstein und Bernhard Eskeles.
In der NS-Zeit gerieten ihre Namen mitsamt jenen weiterer Familienangehörigen auf sogenannte „Exhumierungslisten" des Naturhistorischen Museums Wien. Das Museum hatte beschlossen, im Sinne der Rassenkunde die Bestände seiner anthropologischen Abteilung aufzustocken, und zwar unter Zugriff auf die Gebeine Prominenter am jüdischen Friedhof Währing. Nathan Adam Arnsteins sterbliche Überreste wurden 1942 in einer Notaktion durch den Leiter des Friedhofsamtes der IKG Wien, Ernst Feldsberg (1894 - 1970), enterdigt und zur neuen jüdischen Abteilung des Zentralfriedhofs bei Tor 4 überführt. Dort wurden sie in einer provisorischen Grabstelle der Gräbergruppe 14a wiederbestattet. Weitere neun Mitglieder der Familie Arnstein liessen Mitarbeiter des Museums 1943 zu „Forschungszwecken" schänden - ihre Särge wurden geöffnet, ihre Knochen von den anderen sterblichen Überresten sowie Kleidungsstücken getrennt und in Schachteln zum Museum transportiert. Acht Schachteln von wurden 1947 an die IKG restituiert. Sie fanden ihre letzte Ruhestätte im provisorischen Grab von Nathan Adam Arnstein: eine bis zur Unleserlichkeit verwitterte Schiefertafel aus der Nachkriegszeit erinnert an sie. Die Gebeine einer Person blieben verschwunden.
Die verwitterte Schiefertafel auf dem Notgrab am Zentralfriedhof, Tor 4, Gruppe 14a, Reihe 14, Grab 8: Nathan Adam Arnstein. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Auf dem jüdischen Friedhof Währing befindet sich nun an der Stelle von Nathan Adam Arnsteins Grab eine Lücke - der monumentale Grabaufbau in Form eines klassizistischen Kenothaphs wurde nach der Notbergung der sterblichen Überreste gestohlen. Die vor Ort verbliebenen drei Denkmale blieben jahrzehntelang intakt, bis Vandalen sie Ende der 1990er Jahre bei einem Diebstahlversuch schwer beschädigten.
Die Arnstein-Enkelin Flora Fries (1814 - 1882) schenkte das Sommerpalais ihrer Grosseltern den Schulschwestern zur Betreuung armer Kinder. Das nach wie vor bestehende, heutige Schulzentrum Friesgasse kümmert sich seit Jahren um die Grabstellen seiner Stifterfamilie: unter fachkundiger Leitung von Professor Johann Michael Bittner wurden zuletzt die Grabinschriftenplatten rekonstruiert und Dekorationselemente gesichert.
In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens fand die Nationalbank Unterstützung von insgesamt 61 jüdischen Familien und Unternehmen. Diese zählten zu den einhundert Eigentümern mit den höchsten Aktienpaketen, was ihnen die aktive Teilnahme am Nationalbank-Ausschuss gestattete. Von ihnen wurden 39 auf dem jüdischen Friedhof Währing in Wien bestattet. Bezieht man ihre Familienangehörigen ein, so finden sich alleine im familiären Kontext der Wiener Gründungsmitglieder der Österreichischen Nationalbank hunderte teils spektakuläre, aber vernachlässigte und häufig schwer in Mitleidenschaft gezogene Grabmonumente.
Weiter Gründungsmitglieder kamen aus anderen Teilen der Monarchie, darüber hinaus beteiligten sich auch eine Reihe jüdischer Finanziers aus den deutschen Ländern - ein Resultat der Lobbying-Arbeit während des Wiener Kongresses, als man einander kennenlernte und sich auf Koordination und Zusammenarbeit verständigen konnte. Damit legten sie das Fundament für eine jahrzehntelang stabile Wirtschaftsentwicklung, die zur Grundlage der Industriellen Revolution und für das Entstehen der Europäischen Moderne werden konnte. Mit ihrem multinationalen Ansatz vertraten die jüdischen Gründer der Österreichischen Nationalbank ein umfassende Gestaltungsprinzip, das sich erst eineinhalb Jahrhunderte und zwei Weltkriege später durchsetzen konnte: die Europäische Union.
Serie Teil 2: Michael Lazar Biedermann, Mitgründer der Österreichischen Nationalbank und Gründungsvater der Israelitischen Kultusgemeinde Wien