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War Luther Antisemit?

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Dietz Bering: War Luther Antisemit? Das deutsch-jüdische Verhältnis als Tragödie der Nähe

Berlin University Press 2014

322 Seiten, Euro 29,90 [D]

ISBN 978-3-86280-071-1

Bering beginnt mit dem Anfang: Martin Luder - kein Tippfehler! - wächst in einer weitgehend mittelalterlich geprägten Welt auf. Gehorsam ist das A und O: bei den Eltern und später im Kloster. Zauberei, Hexenwesen und der Teufel sind Themen, die den jungen Luder prägen. Ausserdem eine schwere Kindheit. Kein Wunder, dass er wurde, was er wurde, würde man heute sagen. Ja, was denn eigentlich? Glühender Antisemit. Einer, der die Juden noch vom Totenbett aus verfolgt - seine negativen Werturteile hallten lange nach.

Am 2. Juli 1505 widerfährt Luder sein Damaskus-Erlebnis: Er wird von einem Blitz getroffen. Im Alter von zwanzig Jahren nimmt Luder sein intensives Bibelstudium auf. Dabei lernt er zweierlei: wie die Juden ihren Gott durch Gehorsam besänftigen - zeit seines Lebens wird er ihnen daher „Werkgehorsam" vorwerfen - und wie die Juden ihre Bibel lesen - ihre Auslegung missfällt ihm dabei bis ans Lebensende.

Seine Bibellektüre zeigt ihm: Der Mensch muss sich Gott unterwerfen, um Vergebung zu erlangen. Damit widerspricht er nicht nur den Juden, sondern auch seiner Kirche.

Am 16. August 1513 hält Dr. Martin Luder seine erste Psalmenvorlesung. Für ihn ist es Jesus Christus, der aus Davids Mund spricht. Und er schimpft: Die Juden seien „hochmütig", „neidisch", „gottlos", „Feinde", „Hasser", „Verfolger", „Sünder" und vieles mehr. Hartnäckig beharrt er darauf, dass es Juden waren, die Jesus getötet haben und diese böse Tat fortsetzen.

Im Jahr 1519 erfolgt sein Bruch mit dem Papst. Luder wird zu Luther und jäh ändert sich seine Einstellung zu den Juden, denn er braucht neue Verbündete. Zu diesem Zweck verfasst Luther seine Schrift über Jesus, den er als geborenen Juden darstellt. Mit einem Mal spricht er mild über die vordem verleumdeten Juden, aus denen nun Christen werden sollen. Weil diesem Unternehmen allerdings kaum Erfolg beschert ist, ist Herr Dr. Luther böse auf die verstockten Juden.

Der Rest ist Geschichte: „Von den Juden und ihren Lügen"  aus dem Jahr 1543 markiert den gesinnungsmässigen Rückfall ins Jahr 1513. Bis zu diesem Punkt ist Berings Darstellung nachvollziehbar.

Eher bemüht wirkt dagegen Berings Versuch, eine Nähe Luthers zu den Juden zu konstruieren. Zu diesem Zweck sucht Bering nach Parallelen: Luther erkennt - wie die Juden - den Papst nicht als kirchliches Oberhaupt an. Und dann - welche Nähe! - schafft Luther das sakrale Priesteramt ab, das es bei den Juden nie gegeben hat. Auch dem Zölibat macht Luther den Garaus - und ein Rabbiner muss ja sogar verheiratet sein. Luther lehnt Mönchstum und Klöster ab - bei den Juden hat es Ähnliches nie gegeben. Ein Leben in Schuld? Wohl nur für Christen, denn die Juden kennen keine „Erbsünde". Eine „judengleiche Kultur des Lesens"? Die entdeckt Luther erst spät. Jüdische Kinder lernen dagegen schon seit dem 2. Jh. v.d.Z. lesen und schreiben. Und zum Hebräischen: Luther räumt ein, er beherrsche die Sprache nicht besonders gut. Für seine Übersetzung des Alten Testaments braucht er nicht weniger als zwölf Jahre. Das griechische Neue Testament hat er bereits nach vier Monaten übersetzt.

Diese behauptete Nähe zwischen Luther und den Juden, das klingt irgendwie falsch. Ganz nebenbei schleichen sich bei den vielen Fussnoten auch gröbere Fehler ein.       

Fazit: Ja, Luther war Antisemit, und zwar durch und durch. Zu diesem Fazit kommt zwar auch Dietz Bering: Trotz der Herausarbeitung absurder Parallelen ein höchst interessanter Beitrag zum Lutherjahr.