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Projekt „Judenbichl“

Ada und Reinhard RINDERER

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Am 16. Juli 2009 wurde die Innsbrucker „Gedenkstätte Judenbichl" eingeweiht, wo der alte jüdische Friedhof aus der Zeit zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. Er liegt ganz in der Nähe des Alpenzoos am südwestlichen Abhang des Judenbühels.

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Ansicht von unten. Foto: Ludwig Thalheimer Bozen  - www.lupe.it, mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Die Lage des Friedhofs war nicht optimal, so ist aus dem 19. Jahrhundert überliefert, dass der Friedhof im Winter fast unzugänglich gewesen sei. Ausserdem wurde der Friedhof geschändet, Grabsteine wurden umgeworfen - in der Folge suchte die israelitische Gemeinde an, ihren Friedhof verlegen zu dürfen. Somit wurde ein neuer jüdischer Friedhof an den Innsbrucker Westfriedhof angeschlossen. Die letzte Beisetzung auf dem „Judenbichl" fand Mitte des 19. Jahrhunderts statt, in den darauffolgenden Jahren wurde Gräber vom Judenbühel teilweise auf den neuen Friedhof überführt, 1880 wurden die alten Friedhofsmauern abgerissen und der Boden wurde eingeebnet. So geriet die genaue Lage des alten jüdischen Friedhofs bald in Vergessenheit.

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Blick durch einen Davidstern. Foto: Rinderer Architekten Dornbirn, mit freundlicher Genehmigung.

2007 begannen archäologische Grabungen, durch die die alten Umfassungsmauern bestimmt werden konnten. Die architektonische Neugestaltung der Anlage übernahmen wir in Zusammenarbeit mit dem Archäologen- und Historikerteam. Denn der Judenbichl war nur mehr ein leerer Ort ohne eine Erinnerung daran, was für eine Bedeutung er früher gehabt hatte. Alles, was von der Vergangenheit geblieben war, lag unter der Erde - unsichtbar für Vorbeikommende, unsichtbar in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen von Innsbruck. Da das Gräberfeld unangetastet bleiben musste und die Reste der alten Friedhofsmauer durch Baumassnahmen keine Beschädigung erfahren durfte, sollte die neue Einfriedung nicht nur den Platz einfassen und sichtbar machen, sondern auch Schutz bieten.

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Informationstafel. Foto: Ludwig Thalheimer Bozen  - www.lupe.it, mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Uns als Architekten war es wichtig, eine künstlerisch hochwertige Lösung zu finden, die gleichzeitig den Hintergrund des Ortes verkörpert. Wir wählten die Form von schlichten Stahlplatten mit einer Breite von 80 cm und einer sichtbaren Höhe zwischen 160 und 170 cm, die in einem Abstand von jeweils 10 cm voneinander entfernt aufgestellt wurden (sie kennzeichnen mit einem Sicherheitsabstand von 60 Zentimetern die alte Friedhofsmauer). Jede der Stahlplatten trägt zwei Ausfräsungen in Form des jüdischen Davidsterns, dem bekanntesten aller jüdischen Symbole. Somit ergibt sich - je nach Blickrichtung - eine geschlossene oder durchsichtige Begrenzung mit Licht- und Schattenspielen, die den Besucherinnen ermöglicht, die Farb-, Form- und Lichtveränderungen der verschiedenen Jahreszeiten zu erleben. Diese Stahlplatten sind einzeln freistehend und variieren als bewegte Linie in unterschiedlichen Höhen, abhängig vom Geländeverlauf. Auf drei Seiten bilden sie die Ummantelung des Friedhofs und ermöglicht so den Betrachter_innen, sich die Lage und Dimension des Friedhofs vorzustellen. Die vierte Seite wird nicht ausgeführt, da dieser Teil durch Hangrutsche nicht mehr vorhanden ist und hätte ausserdem auf Privatgrund errichtet werden müssen.

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Ehemaliger Jüdischen Friedhof. Foto: Ludwig Thalheimer Bozen  - www.lupe.it, mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Als Material für die Platten dient unbehandelter Cortainstahl. Diese Sorte wetterfesten Baustahls verändert durch die natürliche Bewitterung und die daraus resultierende Rostschichtbildung ihre Oberfläche im Laufe der Zeit von einem hellen Braun zu einem dunklen Rostbraun. Das verwendete Material ist wartungsfrei und erfüllt die klare künstlerische Aussage, ohne die Ruhe und Schönheit des Ortes zu stören. Auch durch die unsichtbare Befestigung der Tafeln werden die baulichen Eingriffe in der ursprünglichen Naturlandschaft reduziert. Jede Tafel wurde mit zwei Stahlrohren im Erdreich verankert und der untere Bereich der Tafeln ist in das Erdreich eingebunden, wodurch sie in einer klaren Linie stehen.

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Blick auf die archäologische Grabung 2007. Foto: Niko Hofinger Innsbruck, mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Auch während der Entstehungsphase dieses Projekts - also lange vor den politischen Ereignissen im vergangenen Sommer, die zu ähnlichen Diskussionen in der Kultusgemeinde geführt haben - kam die Frage auf, ob man sich nicht zu einem Zielobjekt mache, wenn man etwas als offensichtlich jüdisch kennzeichnete. Eine jüdische Ruhestätte sei doch automatisch von Vandalismus bedroht, meinten viele. Aber wie auch Thomas Albrich im Vorwort zum Buch über den Judenbichl schreibt, sind wir der Meinung, dass „... aus Furcht vor solchen Taten ein Projekt wie dieses nicht zu verwirklichen, ... das falsche Signal und völlig verfehlt gewesen [wäre]." (Albrich, Thomas: Judenbichl. Die jüdischen Friedhöfe in Innsbruck. Haymon Verlag 2010.)

Natürlich gibt es immer das Argument, dass man sich nicht unnötig als Angriffsfläche für Antisemitismus anbieten sollte. Aber so zu denken, drückt nur noch mehr aus, dass man sich in einer Opferrolle versteift und in ewiger Angst lebt, anstatt sich stolz nach aussen zu zeigen und mit Offenheit und Dialog gegen Antisemitismus ankämpft.