Ausgabe

Erich Lessing

Monika KACZEK

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Heuer jährt sich zum siebzigsten Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges und Österreich feiert sechzig Jahre Staatsvertrag. In Erinnerung an diese Ereignisse erschien im Tyrolia Verlag ein beeindruckender Bild- und Textband mit Fotos von Erich Lessing und Essays des Historikers Michael Gehler.1

Erich Lessing, der am 13. Juli 1923 als Sohn einer jüdischen Familie in Wien geboren wurde, konnte 1939 als Sechzehnjähriger ins damalige Palästina auswandern. Am 31. Dezember 1939 gelangte er über Triest mit dem letzten Schiff nach Haifa, wo er Radiotechnik studierte. Seine Mutter, eine Konzertpianistin, und die Grossmutter, die in Wien blieben, wurden in Konzentrationslagern ermordet. 1947 folgte die - eher unfreiwillige - Rückkehr nach Wien, denn Lessings ursprüngliches Ziel war Paris. In Österreich lernte er seine spätere Frau Traudl kennen, die bei der amerikanischen Agentur Associated Press tätig war. Vier Jahre später begann Lessings Arbeit für die renommierte Fotoagentur Magnum. Nebenbei arbeitete er als freier Fotograf für Zeitschriften wie Life oder Paris Match.

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Juden in Wien feiern die Entscheidung der Vereinten Nationen über die Teilung Palästinas. Bei diesem Marsch zum Grab von Theodor Herzl werden eine zionistische Fahne und das Porträt Herzls getragen, 13. Dezember 1947. Foto: Erich Lessing, mit freundlicher Genehmigung.

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Ein amerikanischer Verkehrspolizist weiht Wiener Kinder in die Geheimnisse des „Seifenkisten-Rennens" ein, 1953. Foto: Erich Lessing, mit freundlicher Genehmigung

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Mützen der vier Alliierten friedlich nebeneinander während einer Sitzung des Alliierten Rates in Wien, 1954. Foto: Erich Lessing, mit freundlicher Genehmigung.

In einem Interview mit Michael Gehler erläutert Lessing seinen Zugang zu Bildern, da er sich als Geschichtenerzähler sieht:

„Ich habe gern die Reportage, die aufeinander folgend etwas erzählt. Dass das einzelne Bild alles sagen kann, ist selten. Vor allem glaube ich ja nicht an die Qualität oder an die Möglichkeit, dass das Bild, die Fotografie, überhaupt etwas aussagt. Sie ist sehr neutral. Sie wird ja erst lebendig durch den Text." 2

Der Schwerpunkt des Buches liegt inhaltlich auf den 1940er- und 1950er-Jahren: der Zeit der Alliierten und des Wiederaufbaus, sowie der Weg Österreichs zum Staatsvertrag, der am 15. Mai 1955 unterzeichnet wurde. Auch Fotos von Ereignissen in anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel vom Ungarn-Aufstand 1956 oder der Besuch des damaligen deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer 1951 in Paris, sind zu sehen.

Lessing bekam im Alter von dreizehn Jahren zu seiner Bar Mitzwa seinen ersten Fotoapparat geschenkt:

„ (...)  ich habe mir ganz einfach zu meinem Geburtstag eine Kamera gewünscht, ohne irgendwelche bestimmte Gedanken, um das jemals auszunützen - ich wollte einfach eine Kamera haben. Ob ein Freudianer, ein Adlerianer oder irgendein Tiefenpsychologe daraus schon einen Rückschluss ziehen könnte, weiss ich nicht."3 Durch dieses Geschenk öffnete sich eine neue Welt: „Fotografie zwingt die Menschen, sich mit der Aussenwelt zu beschäftigen. Als Fotograf tritt man mit der Welt an sich in Beziehung und lernt, sie durch das Bild besser zu verstehen. Fotografie ist Interesse am Leben, und es ist wichtig, dass die Menschen an ihrer Welt teilnehmen. Ich hatte einfach Lust zu dokumentieren, wie die Welt aussieht." 4

1  Erich Lessing/Michael Gehler: Von der Befreiung zur Freiheit. Österreich nach 1945. Erzählt in Bildern von Erich Lessing und Texten von Michael Gehler. Innsbruck: Tyrolia Verlag 2015, 384 Seiten, 277 sw. Abb. Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-7022-3415-7; 39,95 Euro/ 51,90 SFr.

2  Ebd., S. 356

3 Ebd., S. 350

4  http://kurier.at/kultur/fotografie/erich-lessing-fotografie-ist-interesse-am-leben/87.667.775 , 17.02.2015