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Sarona: deutsches Erbe am Mittelmeer

Lissy KAUFMANN

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Dort, wo sich einst deutsche Christen im Sumpfgebiet niederliessen, befindet sich heute einer der modernsten Stadtteile Tel Avivs: Sarona.

Die ältesten Gemäuer der Stadt beherbergen heute die modernsten Geschäfte und Bars: Genau hier, wo heute Kinder auf dem Rasen neben dem neu angelegten Teich spielen, wo sich Geschäftsmänner in der Abendsonne zu einem Bier verabreden und eine Gruppe junger Mädchen mit Einkaufstüten in der Hand in eine kleine Boutique schlendern, haben vor rund 150 Jahren 18 Familien aus Süddeutschland ihr neues Leben begonnen.

Die württembergischen Pietisten gründete hier im Jahr 1871 eine von acht landwirtschaftlichen Kolonien im damaligen Palästina. Der Name der Gemeinschaft: „Templer" - auch wenn sie nichts mit den Kreuzrittern zu tun hatten. Sie sahen sich als Teil eines Gotteshauses, dass sie im Heiligen Land durch harte Arbeit errichten wollten.

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Das Renovierte Gebäude in Sarona, Foto: Eyal Merilus.

Sie erschufen Sarona in den Sumpfgebieten ein paar Kilometer entfernt vom Mittelmeer. Heute ist das Dorf ein frisch renovierter Stadtteil mit Geschäften, Cafés und Restaurants, mitten in der rund 400.000 Einwohner starken Metropole Tel Aviv.

Mehr als 120 Millionen Schekel habe allein die Restaurierung gekostet, erklärt Jeremie Hoffman, der Leiter der Abteilung für Denkmalschutz der Stadt Tel Aviv-Yafo. Mehrere Jahre hat es gedauert, die Siedlung an der heutigen Kaplan-Strasse gleich gegenüber der Hauptbasis der israelischen Armee, HaKirya, zu einem urbanen Park mit Kleider- und Schmuck-Boutiquen, Cafés und Restaurants umzugestalten: 37 der ehemals 42 Häuser der Templer wurden restauriert, fünf davon sogar verschoben, neue Hochhäuser mit Wohnungen und Büroräumen errichtet. Dazwischen: kleine Wege und Parkbänke, ein Teich, Kinderspielplätze, viel Rasen - und ein Besucherzentrum mit Museum.

Rotem Shahar führt Besucher durch das Haus, das die Geschichte des Viertels zeigt. „Das war ein typisches dreistöckiges Haus der Templer: Unten im Keller wurden Lebensmittel gelagert, hier im Erdgeschoss war der Wohnraum mit Küche und Esszimmer, oben waren die Schlafzimmer."

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Das Gebäude bei Nacht, Foto: Rami Zeringer.

Die Templer nannten das Dorf Sarona: „Sie dachten, dass sie in der Sharon-Gegend seien, die im alten Testament erwähnt wird. Allerdings übersetzen sie den Namen falsch. Eigentlich müsste es Sharona heissen."

Sie bauten das Dorf im deutschen Stil. Nur ein Gebäude, das in deutschen Städten und Dörfern typisch ist, fehlte: eine Kirche. „Sie glaubten, dass der Messias bald zurückkehren würde und dass sie die Zeit bis dahin verkürzen könnten, wenn sie zurück zu ihren Wurzeln finden. Das heisst: so zu leben, wie Jesus es getan hat. Und da Jesus nie in einer Kirche gebetet hatte, traten sie aus der protestantischen Kirche aus. Sie sagten sich: ‚Wir brauchen kein Gebäude, um mit Gott zu sprechen", erklärt Rotem.

Rund 450 Templer wohnten zur Hochzeit hier in Sarona in den Häusern mit den Giebeldächern, die eigentlich eher für schwere Schneemassen konzipiert wurden. Sie gaben mit ihrer Bauweise die anfängliche Richtung für den Bau von Tel Aviv vor, wie Jeremie Hoffman erklärt: „Es war eine Inspiration für die jüdischen Siedler von Tel Aviv, aber auch in anderen Städten wie Zichron Yaakov. Sie haben dasselbe urbane Design angewandt, öffentliche Gebäude an grossen Strassenkreuzungen gebaut. Ähnliche Gebäude sieht man hier noch rund um die Herzl-Strasse." Doch in einer Stadt ohne Schneefall, dafür mit vielen Sonnenstunden, haben sich später Flachdächer mit Dachterrassen durchgesetzt.

Die Templer brachten moderne Technik mit: eine für damalige Verhältnisse moderne Waschmaschine, bestehend aus einem grossen Metallbottich auf einem Ofen, mit dem das Wasser zum Kochen gebracht wurde. Oder ein Herd zum Aufwärmen von Gerichten, mit dem gleichzeitig das Haus geheizt wurde: „Die warme Luft wurde hier über einen Abzug nicht nach draussen, sondern in die Wände geleitet", erklärt Rotem. „Leider ist so was in Tel Aviv ja gerade mal zwei Wochen im Jahr nötig."

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Sarona Bewohner im Jahr 1917.

Statt mit Kälte hatten die Templer mit anderen, neuen Problemen zu kämpfen: Einige von ihnen erkrankten an Malaria. Um die Sümpfe in dieser Gegend auszutrocknen, die ein idealer Nistplatz für Fliegen waren, pflanzten sie die schnell wachsenden Eukalyptus-Bäume an.

Doch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Beginn des britischen Mandats für Palästina mussten die Templer zunächst ins Exil nach Ägypten, kamen jedoch 1921 zurück - bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Einige Templer zeigten sich solidarisch mit dem Nazi-Regime. So sahen die Briten in der Templergemeinschaft einen Feind und vertrieben die Deutschen aus dem Land. Viele von ihnen zogen nach Australien, wo sie und ihre Nachfahren heute noch leben.

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Das Gebäude während der Renovierung.

Aus der Templersiedlung wurde die heutige Shopping- und Ausgehgegend - doch dazwischen war Sarona ein wichtiger Teil der israelischen Geschichte: Zunächst machten sich die Briten die Häuser zu eigen und nutzen sie als Militärbasis: „Drei jüdische Untergrundorganisation, die Hagana, Etzel und Lechi griffen Sarona jeweils an", erklärt Rotem. Nach der Staatsgründung, als Jerusalem noch belagert wurde, hatte die israelische Regierung hier vorübergehend ihren Sitz, David Ben-Gurion liess die Gegend in „Kirya" umbenennen. Danach nutzte die Armee die Gebäude bis 2006.

Die Stadt Tel Aviv hat das Erbe der Templer erhalten und es unter altem Namen zu einem neuen Anziehungspunkt für Tel Aviver und Touristen gemacht. Und das, obwohl unter den ursprünglichen Bewohnern auch Nazis waren: „Tel Aviv versucht eben viele verschiedene konfliktreiche Orte zu erhalten", sagt Jeremie Hoffman von der Stadtverwaltung. „Wir wollen nicht urteilen, sondern die Geschichte der Stadt zeigen."

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Das Renovierte Gebäude in Sarona, heute neben modernen Hochhäusern Foto: Eyal Merilus.

Alle Fotos: Stadtverwaltung, mit freundlicher Genehmigung L: Kaufmann.