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Die Synagoge Innsbruck - Erweiterung Gemeindezentrum

Ada und Reinhard RINDERER

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Die Synagoge in Innsbruck wurde 1909 in der Sillgasse 15 eingerichtet. In der Nacht der Novemberpogrome 1938 wurde sie verwüstet und 1944 durch Bomben zerstört. Das Areal blieb bis 1990 unbebaut und diente als Parkplatz, nur ein bescheidener Gedenkstein erinnerte an den Ort der Alten Synagoge. 1990 errichtete die Stadt lnnsbruck hier eine Wohnanlage. In dieser wurde 1993 dank des Engagements von Bischof Reinhold Stecher und mit grosszügiger Hilfe der Stadt lnnsbruck und des Landes Tirol die Neue Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde am ursprünglichen Ort wieder errichtet.

In den vergangenen 20 Jahren blühte das kulturelle und spirituelle Leben der Jüdischen Gemeinde auf - nicht zuletzt wegen ihres durch die Synagoge gewonnenen Mittelpunkts. Die stetig wachsende Zahl verschiedener Veranstaltungen sowie die steigende Zahl von Mitgliedern brachten die Gemeinde an den Rand ihrer räumlichen Kapazität. Eine freigewordene, direkt anschliessende Räumlichkeit bot die Möglichkeit zur Schaffung eines dringend benötigten Versammlungsraumes.

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Gemeindezentrum vor Umbau. Foto: Rinderer Architekten Dornbirn, mit freundlicher Genehmigung.

Wieder waren es das Land Tirol, die Stadt lnnsbruck und die Landesgedächtnisstiftung Tirol, die uns den Erwerb und die Ausgestaltung dieses Raums ermöglichten. Die kleine Israelitische Kultusgemeinde lnnsbruck wird dadurch ein vollständig funktionstüchtiges Gemeindezentrum. Die neu zur Verfügung stehenden Flächen von ca. 95 m² wurden in die Synagoge integriert. In Besprechungen mit dem Vorstand der Kultusgemeinde unter der Leitung von Präsidentin Dr. Esther Fritsch wurden das Raumprogramm, die Anforderungen und Nutzungen festgelegt. Über den bestehenden Eingang zur Synagoge wird das Foyer betreten, das dann als Verteiler für alle Bereiche dient. Betraum und Büro bleiben unverändert.

Durch die räumliche Neuaufteilung des Zwischenbereichs von Synagoge und Gemeindezentrum - das sind die Toiletten, Technik und Lager - ergibt sich ein funktionierender Raumverband mit optimaler Nutzung der vorhandenen und neuen Nutzflächen. Das Gemeindezentrum selbst wird als Mehrzweckraum gestaltet, damit die unterschiedlichen Verwendungszwecke einfach und schnell eingerichtet werden können.

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Fenster des ehemaligen Betraumes. Foto: Rinderer Architekten Dornbirn, mit freundlicher Genehmigung.

Die flexible Möblierung ermöglicht mit Saalbestuhlung einen Veranstaltungsraum für ca. 80 Personen, mit Arbeitstischen einen Seminarraum für ca. 30 Personen und mit Tischen einen Raum für Kabalat Schabat oder andere Gemeindefeiern für ca. 30 bis 40 Personen. Die technische Ausstattung des Gemeindezentrums entspricht dem Stand der Technik für Beleuchtung, AV, PC, Akustik, Lüftung etc.

Ein zentrales Architekturelement ist dabei das freistehende Regal, das den Raumabschluss bildet. Dort wurde die Bibliothek eingerichtet: das jüdische Volk als das Volk des Buches, Am ha-Sefer, sozusagen ein lebender Kommentar der Heiligen Schrift. Bücher nicht nur als religiöse Schriften, sondern auch zur Vermittlung von Wissen und Bildung waren und sind immer noch ein wichtiger Bestandteil der jüdischen Kultur. Die Buchstaben „chet" und „yud", die Teil der Regalgestaltung sind, ergeben das hebräische Wort „chai", das Leben bedeutet. Im neugestalteten Gemeindezentrum dient es als Symbol für das Weiterleben der jüdischen Gemeinde in Innsbruck.

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Foyer nach Umbau Foto: Rinderer Architekten Dornbirn, mit freundlicher Genehmigung.

Die bestehende Fassade aus „Jerusalemer" Naturstein (Meleke) und der Eingang zur Synagoge bleiben unverändert. Die Gestaltung der neuen Aussenwand soll mit dem Bestand nicht in Konkurrenz treten, sich aber eigenständig und ergänzend dem Gesamtensemble eingliedern. Ausserdem muss sie die vorgegebenen Sicherheitskriterien erfüllen.

Die bestehende Glasfront des ehemaligen Geschäfts konnte als Bauteil für sich unverändert bleiben, musste aber umgestaltet und durch eine geschlossene „Wand" ersetzt werden. Leider sind auch heute im Jahr 2015 noch Sicherheitsvorschriften für jüdische Einrichtungen vorgeschrieben, die einen direkten Innen-Aussen-Bezug über Fenster nicht zulassen. So wird mit dem jüdischen Davidstern die Verwendung des Gemeindesaals nach Aussen ausschliesslich symbolisch dargestellt.

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Bibliothek mit „chai". Foto: Itzik Feuerstein, Bludenz. Mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

An der Rauminnenseite der bestehenden Glasfassade werden die noch erhaltenen alten Fenster des ehemaligen Betraumes aufgehängt. Sie sind eine Metapher für die Sicht nach draussen und stellen einen Bezug zur Vergangenheit dar.

Bei allen Aussenbauteilen sind die Sicherheit und die sicherheitstechnische Ausstattung zu beachten, die vom Innenministerium vorgeschrieben werden. Daher ist auch wegen der Richtlinien zu Fenster und Türen zwingend eine neue technische Lüftungsanlage erforderlich, die auch die Mängel der bestehenden Anlage behebt.

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Gemeindezentrum Eröffnung. Foto: Itzik Feuerstein, Bludenz. Mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Wie beeinflusste die politische Situation regional und international betrachtet die Umsetzung eines Bauprojekts einer jüdischen Einrichtung? Gemeint ist die israelische Militäroperation in Gaza im Sommer 2014 („Operation Protective Edge") und ihre Auswirkungen auf Europa, auch im Bereich der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg mit Pro-Gaza Demonstrationen und Gegendemonstrationen in Bregenz und Innsbruck.

Schon bei der Errichtung der Synagoge im Jahr 1993 wurden erforderliche bauliche und technische Sicherheitsmassnahmen für die jüdische Einrichtung umgesetzt. Genauso mussten bei der Erweiterung diese ergänzt und verbessert werden. Die Anforderungen an Bauteile und Technik mussten dem heutigen Standard angepasst werden.

In Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der öffentlichen Sicherheit entwickelte sich ein Katalog für das gesamte Projekt. Nicht zu vergessen ist, dass die Kosten für die baulichen und technischen Sicherheitseinrichtungen ca. 45 % der Gesamtbaukosten für das neue Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg betrugen.

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Gemeindezentrum aussen nach Umbau. Foto: Itzik Feuerstein, Bludenz. Mit freundlicher Genehmigung Rinderer Architekten.

Bei der Planung für das Gemeindezentrum erwies sich unsere Vorstellung, die Gemeinde offen nach aussen zu zeigen - mit einem Fenster zur Strasse - als nicht machbar. Die Synagoge blieb weiterhin hinter geschlossener Tür und einer beschusssicheren Fassade. Obwohl der Entwurfsgedanke zur Öffnung nach aussen und eine direkte, offene Haltung zum öffentlichen Umfeld der Synagoge in der Sillgasse nicht umgesetzt werden konnten, wird dieser Entwurf hier gezeigt.

Wir ArchitektInnen sind IdealistInnen, wir träumen davon, die Welt mit unseren Projekten zu verbessern. Wenn wir vor Probleme gestellt werden, wollen wir sie auf eine neue, bautechnisch kluge Weise lösen. Die Architektur ist eine omnipräsente Kunst- und Nutzungsform im Leben von uns Menschen, sie ist der Rahmen unseres Alltags, bietet uns ein Zuhause, einen Arbeitsplatz - und religiösen Gemeinden ermöglicht die Architektur, sich in einem Gotteshaus zusammenzufinden. Wie auch in der Synagoge in Innsbruck.

Wir besuchten die Synagoge in Innsbruck zum ersten Mal vor zwanzig Jahren. Die Polizisten vor dem Eingang, die Synagoge hinter einer schweren, verschlossenen Tür - das verwunderte uns, denn wir hatten erwartet, dass sich im damaligen Europa der Neunziger Jahre eine jüdische Gemeinde nicht mehr verstecken musste.

Manche werden sagen, dass der Idealismus von uns ArchitektInnen sich nicht mit unserer Arbeit vereinbaren lässt und wir allein die Aufgabe hätten, Aufträge auszuführen. Aber wir versuchen uns weiterhin zum Ziel zu setzen, mit unseren Projekten auch unsere Werte zu vertreten, und wir sind optimistisch, dass die Architektur ein schönes, einschliessendes Miteinander für die Menschen und ihre Gemeinden ermöglicht.

RINDERER ARCHITEKTEN

Ada Rinderer (geb. Schwarcz), 1965 in Israel geboren, studierte am Technion Haifa Architektur. Sie war in der Architekturabteilung der Israelischen Armee für Projektmanagement zuständig und als Mitarbeiterin bei Yasky & Associates Architects in Tel Aviv tätig.

Reinhard Rinderer, 1962 in Vorarlberg geboren, studierte Architektur an der Universität Innsbruck. Umzug nach Zürich und Mitarbeit im dortigen Architekturbüro von Ernst Gisel. 1994 gründete das Paar ein gemeinsames Architekturbüro in Dornbirn, Vorarlberg.