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Jüdische Migration nach Neuseeland

Margit WOLFSBERGER

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"It was paradise!" Peter Fleischl (*1926 Wien, lebt heute in Napier/Neuseeland)

Als ab 1938 Juden aus Österreich vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten flohen, wurde auch ein kleines Land am anderen Ende der Welt zum Fluchtpunkt und Ort der Hoffnung auf ein neues Leben. Neuseeland war den meisten Menschen in Österreich in den dreissiger Jahren zwar als Reiseland unbekannt, aber man hatte doch gehört, dass es dort ein stabiles politisches System mit gewissen sozialen Errungenschaften gab.

Allerdings war Neuseeland, im Vergleich zu anderen Staaten, nicht sehr grosszügig bei der Aufnahme jüdischer Flüchtlinge. Es gibt ungefähre Schätzungen darüber, wie viele jüdische Migranten aus   Österreich nach Neuseeland kamen - vermutlich rund 250. Genau ist dies nicht festzustellen, da ab 1939 die österreichische Fälle zu den deutschen gezählt wurden.2 Die meisten der österreichischen Migranten waren städtischer Herkunft, unter anderem Ärzte (Hilda Fleischl, George Graetzer, Hans L. Hersch, Catherine Newman, Franz Kral), Architekten (Ernst Plischke, ein nichtjüdischer Migrant, der mit seiner jüdischen Frau floh), Ingenieure, Fabrikanten (Kurt Hager, Kurt Schwarz) oder Rechtsanwälte (Paul Heller). Einige waren Künstler (Gisela Taglicht, Franz Barta), Wissenschafter (Karl Popper, Otto Frankel, Richard Sharell) oder Musiker (Paul Schramm, Georg Tinter).

Aufgrund der unterschiedlichen Altersgruppen gab es neben den ehemals etablierten jüdischen Flüchtlingen auch solche, die erst am Beginn ihrer Karriere standen oder nur ein kleines Geschäft besessen hatten. Man musste über ein gewisses Vermögen verfügen, um nach Neuseeland flüchten zu können. In Neuseeland angekommen, gab es dann allerdings viele Flüchtlinge, die nun vollkommen mittellos waren und von der Unterstützung durch andere - beispielsweise jüdische Gruppen oder die Quäker - abhängig waren. Ihre Ansuchen um Unterstützung sind zum Teil in neuseeländischen Archiven erhalten geblieben und geben einen Einblick in die schwierige finanzielle Situation. Auch die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber europäischen jüdischen Migranten sind dokumentiert - so gab es etwa eine Kampagne gegen die jüdischen Mediziner unter den Flüchtlingen, die diese mit einem offenen Brief, in dem sie ihre volle Loyalität gegenüber dem neuseeländischen Staat bekundeten, beantworteten. Auch Anna Lang-Plischke und Ernst Plischke berichten von Anfeindungen durch ihre Nachbarn in Wellington, die in ihnen deutsche Spione vermuteten und sie wiederholt bei der Polizei anzeigten. Die mit den Alliierten verbündeten Neuseeländer sahen in den deutschsprachigen Migranten ebenso wie in vielen bereits länger in Neuseeland lebenden Deutschen und Österreichern, zu denen etwa auch die Dalmatier gezählt wurden, Enemy Aliens (feindliche Ausländer). Diese feindselige Haltung war einerseits eine Folge der antideutschen Propaganda, zeigte andererseits aber auch einen latent vorhandenen Antisemitismus der christlichen Mehrheitsbevölkerung Neuseelands, die sich am britischen Auswanderer-Ideal orientierte.

Die Gruppe der österreichischen jüdischen Migranten besass insgesamt eine sehr gute Ausbildung und hatte sowohl in Österreich und dann auch in Neuseeland Anteil am intellektuellen, künstlerischen und kulturellen Leben der Städte, wie etwa Henry Lang, der Stiefsohn von Ernst Plischke, der 1968 neuseeländischer Finanzminister (Secretary to the Treasury) und Chef der Verwaltung wurde. Oder Herbert Roth, der als Bibliothekar und Historiker der Gewerkschaftsgeschichte in Neuseeland tätig war, und auch Arthur Hirschbein (Arthur Hilton), der zum Mitbegründer der Chamber Music Society of New Zealand wurde. Insgesamt blieben viele der geflüchteten Migranten in Neuseeland oder wanderten nach Australien oder in die USA weiter. Die Rückkehr nach Österreich war keine echte Option, aber einige jüdische Migranten wie etwa Peter Fleischl kamen nach dem Krieg immer wieder nach Wien und besuchten ihre verbliebenen Freunde und Bekannten aus der Vorkriegszeit. Heute leben nur noch einige wenige der als Erwachsene ausgewanderten jüdischen Wiener in Neuseeland. Daneben gibt es noch die sogenannte eineinhalbte Generation (Migration als Babys, Kinder, Jugendliche) und natürlich die zweite und dritte Generation, die beide zum Teil wieder engen Kontakt mit Euro-pa - v. a. zu Grossbritannien - pflegen und auch zu Besuch nach Wien kommen oder die Gräber der Familien besuchen, alte Freunde treffen, ihre Wurzeln suchen. Der prominenteste Vertreter der zweiten Generation ist ohne Zweifel der derzeitige Premierminister von Neuseeland, John Key. Seine Mutter, Ruth Lazar, hatte Wien 1938 als 16-Jährige verlassen und kam über England nach Neuseeland. John Key wurde dort 1961 geboren.

Die Ergebnisse des bisherigen Migrations-Projektes3 sind insofern interessant, als es sich um zwei relative kleine Staaten an den beiden einander gegenüberliegenden Seiten der Erde handelt, die durch Personen und ihnen zuordenbare Orte verbunden sind. Die Verbindungen sind dabei fragil, in beiden Ländern kaum sichtbar: vergessen, verschüttet, verleugnet, verdrängt. Dies zeigen die manchmal stockenden Stimmen in Interviews mit jüdischen Migranten - davon gibt es neben jenen, die die Autorin mit sieben jüdischen Migranten führte, noch rund fünfzehn weitere, die Mitte der 1980er Jahre von Ann Beaglehole in Neuseeland mit damals noch lebenden österreichischen Juden geführt wurden und deren Kassettenaufzeichnungen im Nationalarchiv zum Anhören bereitgestellt sind. Nach ihrer Anfertigung wurden die wenigsten in den letzten zwanzig Jahre angehört: Für den hier angeführten Forschungsbericht mussten im Jahr 2007 von fast allen Interviews so genannte Hörkopien gemacht werden - ein Beweis für die „ungehörten" Schicksale dieser Menschen auch in Neuseeland.

Bei einem Symposium im Oktober 2010 im Jüdischen Museum Wien zur Jüdischen Migration nach Neuseeland wird über die bisherigen Forschungsergebnisse zu diesem bisher unbeachteten Kapitel der Exilforschung berichtet werden. Besonders wichtig ist aber die Teilnahme von Zeitzeugen aus Neuseeland, die von ihren Herkunftsfamilien in Europa, ihrem Fluchtweg, ihrer Ankunft und Integration in Neuseeland erzählen werden.

Kurt Fuchs, der zuerst mit seiner Familie von Wien nach Brüssel fliehen konnte, wurde 1942 als 17-Jähriger ins Konzentrationslager Birkenau und später ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach der Befreiung wollte er in ein Land emigrieren, das möglichst weit weg von Europa war. Er landete in Neuseeland und lebt heute bei seinen Kindern in Sydney. Sein Enkel, Ben Weiss, besuchte im Frühjahr 2010 Orte der Familiengeschichte, im positiven wie im negativen Sinne, und wird über diese Spurensuche berichten. In gewissem Sinne schliesst, aber öffnet sich vielleicht auch durch die Anbringung einer Erinnerungstafel für die ermordeten Familienmitglieder durch den Verein Steine der Erinnerung ein Kreis in den Beziehungen der Familie Fuchs mit Wien.

Lotte Weiss, die Grossmutter von Ben Weiss, stammt aus einer jüdischen Familie in Bratislava mit vielfältigen Beziehungen zu Wien, und überlebte als Mädchen und junge Frau fünf Konzentrationslager. Nach dem Krieg wanderte sie mit ihrem Mann nach Neuseeland aus. Vor zwanzig Jahren übersiedelte sie zu ihren Kindern nach Sydney und ist im dortigen Jüdischen Museum als Zeitzeugin aktiv. Ihre Lebensgeschichte - Meine beiden Leben - erscheint nun auch auf Deutsch und wird beim Symposium präsentiert. Lotte Weiss wird dafür via Videokonferenzschaltung an der Buchpräsentation teilnehmen, selbst aus ihrem Leben erzählen und Fragen des Publikums beantworten.

Inge (Ponger) Woolf war noch ein Kind, als sie mit ihren Eltern 1939 von Wien nach England auswanderte. In Neuseeland konnte Inge nicht studieren und erlernte stattdessen einen handwerklichen Beruf. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Ronald Woolf übernahm sie ein Fotostudio und erlernte das Fotografieren. Der berufliche Höhepunkt war wohl die Anfertigung eines Porträts von Queen Elizabeth, das für einen neuseeländischen Geldschein verwendet wurde. 1987 verunglückte Ronald Woolf bei einem Helikopterunfall, und Inge Woolf führte das Photostudio Woolf alleine weiter. Heute wird es von ihren Kindern, Deborah Hart (geb. Woolf) und Simon Woolf, gemeinsam geführt. Inge Woolf hat in den letzten Jahren eine besondere Aufgabe übernommen. Sie hat ein Holocaust Memorial Center in Wellington gegründet und dort auch eine Ausstellung im Jüdischen Community Center gestaltet. Beim Symposium wird sie neben ihrer eigenen Geschichte auch über die Vermittlung des Holocaust in Neuseeland sprechen. Simon Woolf und Deborah Hart werden aus der Sicht der zweiten Generation über ihre Familiengeschichte und die visuelle Dokumentation der Reise berichten.

Mag.a Margit Wolfsberger, Kommunikationswissenschafterin und Ethnologin mit dem Forschungsgebiet pazifische Inseln und Migration, seit 2010 Präsidentin der Österreichisch-Südpazifischen Gesellschaft  www.ospg.org hat von 2006 bis 2008 das Forschungsprojekt „Österreichische Migration nach Neuseeland" (www.univie.ac.at/pacificmigration) durchgeführt.

Veranstaltungshinweis:

  

Symposium „Jüdische Migration nach Neuseeland"

Gemeinsame Veranstaltung der Österreichisch-Südpazifischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Exilforschung und des Jewish Welcome Service

11. Oktober 2010 im Jüdischen Museum Wien

Mehr Informationen unter www.ospg.org

  

1   Margit Wolfsberger: Flucht in die Südsee? Österreichische Migration nach Neuseeland, Forschungsprojekt, gefördert von der Österreichischen Nationalbank (2006-2008). Neben den eigenen Erhebungen stammen die meisten Daten zur jüdischen Migration in der Folge aus: Ann Beaglehole. A Small Price to Pay. Refugees from Hitler in New Zealand 1936-46. Wellington 1988.

2   Ein Forschungsprojekt, das an das erste über die gesamte österreichische Migration nach Neuseeland anschliessen soll, ist derzeit durch die Autorin in Planung und soll durch eine kollektivbiographische Studie der jüdischen Migranten sowie ihrer Nachkommen in Neuseeland deren Herkunft, Fluchtwege, Integration und Leben in Neuseeland dokumentieren und analysieren.

3   Wie Anm. 1.