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Ein neuer Antisemitismus im Iran?

Walter POSCH

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Antisemitismus hat es auch im Iran immer schon gegeben. Die Geschichte der Juden im Iran kennt neben Glanzzeiten der persisch-jüdischen Kultur Diskriminierung und, wenn auch selten, Pogrome.2 Im Grossen und Ganzen ist die moderne iranische Gesellschaft jedoch nicht antisemitischer eingestellt als andere. Die relativ tolerante iranische Verfassung garantiert ein Mindestmass an Minderheitenrechten,3 wodurch die anerkannten religiösen Minderheiten, also Christen, Juden und Zarathustrier, ein Minimum an öffentlicher Anerkennung und Förderung geniessen. So stehen diesen Religionsgemeinschaften kulturelle Freiheiten wie zum Beispiel ein - wenn auch rudimentäres - konfessionelles Schulwesen zu. Weiters verfügen die Vertreter der staatlich anerkannten religiösen Minderheiten (d.h. nicht die Bahais) über eigene politische Vertreter im iranischen Parlament. Jüdische Volksvertreter wurden sogar in wichtige Ausschüsse wie zum Beispiel dem Finanzausschuss berufen. Dennoch klagen Vertreter von Minderheiten immer wieder über unsensible und diskriminierende Entscheidungen und Schikanen seitens der Behörden.4

Wie für alle Minderheiten, so bedeutete die Islamische Revolution von 1979 auch für die Juden einen dramatischen Aderlass: In kürzester Zeit verlor die jüdische Gemeinschaft gut zwei Drittel ihrer Mitglieder durch Flucht und Auswanderung. Den Verbliebenen gelang es jedoch relativ schnell, zu einer Übereinkunft mit dem Revolutionsführer Imam Ruhollah Musavi Khomeini zu gelangen. Kernpunkt dieser Übereinkunft war eine strikte Trennung zwischen „atheistischen" Zionisten und gläubigen Juden, sowie zwischen Israelis und patriotischen iranischen Juden. Diese von Khomeini akzeptierte und propagierte Unterscheidung war die ideologische Unterfütterung der in der iranischen Verfassung garantierten Minderheitenrechte. Die feine Unterscheidung zwischen Israel und dem Zionismus auf der einen und der iranischen jüdischen Gemeinde auf der anderen Seite, der für letztere so wichtig ist, wurde allen „Tod für Amerika" - und „Tod für Israel" - Rufen zum Trotz zumindest in der staatlichen Rhetorik beibehalten, auch wenn in der Bevölkerung beides immer wieder vermischt wurde und offizielle Regierungsvertreter es gelegentlich mit der Trennung zwischen den Juden als Anhängern einer Offenbarungsreligion und den Zionisten, also Vertretern einer aus islamistischer Sicht aggressiven Ideologie, nicht immer sehr genau nahmen. Dennoch, primitiver Antisemitismus, und, schlimmer noch: plumpe Holocaust-Leugnung, waren auch im Iran eine Sache der extremen Rechten, und nicht der breiten Öffentlichkeit, geschweige denn der politischen Eliten. In diesem Sinne reichten die Reaktionen des Teheraner politischen Establishments auf die sogenannte Holocaust-Konferenz auch von peinlich berührt bis entsetzt. So verurteilten die meisten iranischen Parlamentarier die Involvierung des Aussenministeriums in die Konferenz, vor allem auch die Rede ihres Aussenministers. Die mittlerweile eingestellte Internetseite Bâztâb wiederum wies zu Recht darauf hin, dass Khomeini zwar Israel verdammte, aber niemals den Holocaust anzweifelte oder gar leugnete.5

Die sogenannte Holocaust-Konferenz kam für viele Beobachter überraschend. Dabei hatte spätestens ab 2002 die Publikation und Verbreitung antisemitischer Sujets in der rechtsgerichteten iranischen Presse zugenommen. Die antisemitischen Sujets waren zum Grossteil europäischen und nicht traditionell islamisch-persischen Ursprungs. Unter anderem wurde auch der Holocaust geleugnet, und zwar in Sprache und mit Argumenten des modernen europäischen und amerikanischen Revisionismus. So wurde bewusst auf die Werke der Holocaust-Leugner Roger Garaudy und Robert Faurisson verwiesen. Dagegen, und gegen viele andere böswillige Verleumdungen, setzten sich die Vertreter der jüdischen Gemeinde, allen voran der damalige Abgeordnete Morris Mo'tamed und der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Teherans (AKT, Anjoman-e Kalimian-e Tehran), Harun Yashayayi, energisch zur Wehr. Sie richteten mehrere Beschwerdebriefe an die Chefredaktionen der einschlägigen Blätter, an die staatliche Rundfunkbehörde sowie an den Justizminister. Die wichtigsten dieser Schreiben wurden, oft mit langen Zitaten der diskriminierenden Verleugnungen, in der jüdische Gemeindezeitschrift Ofeq-e Bina nachgedruckt, wodurch Ofeq zur wichtigsten Quelle über die neue Welle des intellektuellen Antisemitismus in Iran wurde.6 Massgeblich beteiligt war der radikale islamistische Agitator und Pseudowissenschafter Mohammad-Ali Ramin, der lange Jahre seines Le-bens in Deutschland verbracht hatte. Nach eigenen Aussagen schloss sich Ramin den Teheraner Hezbollahi-Gruppen7 an und gelangte rasch in das Umfeld der Unterstützer Ahmadinejads, die Anfang der 2000er Jahre bereits auf den politischen und gesellschaftspolitischen Umschwung in der Islamischen Republik hinarbeiteten. Damals lernte Ramin den zukünftigen Präsidenten wahrscheinlich auch persönlich kennen. Da Ahmadinejad damals kaum über Experten mit ausreichenden Sprachkenntnissen und Auslandserfahrung verfügte, konnte der ausgezeichnet deutsch sprechende Ramin in seiner Rolle als rechtsgerichtete Alternative zu den Intellektuellen der Reformbewegung avancieren. Ramin wurde nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit schnell bekannt, ihm fällt auch der zweifelhafte Ruhm zu, der erste bekannte und politisch gut vernetzte öffentliche Intellektuelle der Islamischen Republik geworden zu sein, der mit wilden antisemitischen Äusserungen von sich Reden machte8 und die prekäre iranische Balance zwischen Anti-Zionismus und Antisemitismus, die im Westen ohnehin immer mit grosser Skepsis betrachtet worden war, ignorierte. Die Holocaust-Konferenz vom Dezember 2006 steht am (vorläufigen?) Ende jahrelanger pseudowissenschaftlicher, antisemitischer Agitation seitens Ramins und seiner Freunde.

Als Präsident Ahmadinejad 2005 zum ersten Mal mit seinen (wohl von Ramin bezogenen) Thesen aufhorchen liess, reagierte der jüdische Abgeordnete Maurice Mo'tamed energisch und brachte mit deutlichen Worten in aller Öffentlichkeit sein Unverständnis über die Aussagen des Präsidenten zum Ausdruck. Gegen Ende des Jahres verdichteten sich die Anzeichen, dass einflussreiche Kreise um Ramin die „wissenschaftliche Erforschung" des Holocaust für notwendig erachteten und im Jahre 2006 eine Konferenz, zu der die gesamte Szene der Holocaust-Leugner geladen werden sollte, organisieren wollten. Schlimmer noch, diese Konferenz sollte mit ausdrücklicher Förderung des Präsidenten der Islamischen Republik über die Bühne gehen. Der Schock der jüdischen Gemein-de über das Ansinnen iranischer Politiker, eine derartige Konferenz veranstalten zu wollen, war  unter anderem auch deshalb so gross, weil man kurz zuvor noch voll Hoffnung auf eine signifikante Verbesserung der Lage für die Nichtmuslime, unter anderem auch die Juden, im Iran war. So hatte Präsident Khatami noch im Jahr 2004 anlässlich seiner Rede in der Synagoge von Yusufabad Worte des Mitgefühls für das Jahrhunderte lange Leiden des jüdischen Volkes gefunden. Daher hegte man damals die berechtigte Hoffnung, dass Holocaust-Leugnung ein zwar unangenehmes, aber doch randständiges Phänomen bleiben würde. Der jüdischen Gemeinden war aber gleichzeitig bewusst, dass eine Veränderung des öffentlichen Diskurses über Juden im Allgemeinen sowie über den Holocaust das informelle Arrangement zwischen den Juden und dem „Regime" entwerten und die Sicherheit der Gemeinde zumindest mittelfristig bedrohen könnte. Die jüdischen Vertreter reagierten mehr oder weniger mit demselben Rezept auf die veränderte Situation, wie sie es seit der Revolution getan hatten: Betonung der Regimetreue, Kritik an Israel und am Zionismus, aber kein Kompromiss bei der Frage der Historizität des Holocaust. Und, wenn nötig, würde man dem Präsidenten der Islamischen Republik Iran auch in aller Öffentlichkeit widersprechen müssen. Der Abgeordnete Morris Mo'tamed war Ende 2005 der erste offizielle Vertreter, der dies tat. Bald darauf entschloss sich sein Mitstreiter vom AKT, Harun Yashayayi, zur Feder zu greifen und alle Punkte, die die jüdische Gemeinde besorgniserregend fand, zu Papier zu bringen.

Der folgende Brief, den Harun Yashayayi, damals noch in seiner Funktion als Vorsitzender des AKT, verfasste, datiert vom 6. Bahman 1384/26. Jänner 2006, wurde also noch vor der ominösen Konferenz und zu einem Zeitpunkt geschrieben, als die Öffentlichkeit erstmals vom Plan, eine derartige Konferenz der Holocaust-Revisionisten organisieren zu wollen, erfahren hatte. Das Schreiben ist mittlerweile von der persischen Internetseite des AKT genommen worden, ersetzt durch eine Erklärung, auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird. Das Schreiben lässt sich aber nach einigem Suchen doch noch finden.9 Eine brauchbare englische Übersetzung wurde auf der Webseite von History News Network veröffentlicht, die allerdings von unserer Lesart in zum Teil bedeutenden Details abweicht.10 Im Folgenden die für diesen Text erstellte Übersetzung des Schreibens:

„Brief des Präsidenten der Jüdischen Gesellschaft Teherans an den Präsidenten Irans in Zusammenhang mit dem Holocaust, dem Massenmord an den Juden durch die Hitler-Nazis.

 

An den geehrten Herrn Dr. Mahmud Ahmadinejad, gewählter Präsident der iranischen Nation.

 

Mit Gruss und aufrichtiger Ergebenheit

 

Das, was uns bewegt, Ihre kostbare Zeit, trotz Ihrer Inanspruchnahme und Beschäftigung mit der Lösung der Probleme der Iranischen Nation in Anspruch zu nehmen, ist eine Angelegenheit, die seit Wochen die Gedanken der Weltöffentlichkeit sowie der iranischen Nation, und da vor allem die der jüdischen Gemeinschaft, beschäftigt hat.

 

Die Programmgestaltung und die ständige, tägliche Wiederholung im Hörfunk und Fernsehen der Islamischen Republik und einiger anderer Massenmedien, wonach der  Massenmord an den Juden durch das Regime der Hitler-Nazis, also der Holocaust, eine  Legende sei, sowie das In-Frage-Stellen einer der bekanntesten und traurigsten Tragödien der Menschheit des zwanzigsten Jahrhunderts gaben der Weltöffentlichkeit Anlass zu Erstaunen und Entsetzen - für die kleine jüdische Gemeinschaft Irans jedoch war dies Anlass zu Angst und Furcht.

Wie ist es nur möglich, dass die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges mit seinen Ereignissen und Auswirkungen, die den Tod von über 50 Millionen Menschen an verschiedenen Orten der Welt veranlassten, und in der auch unsere Heimat vor anderen Orten in der Welt von den Auswirkungen dieses Schicksalsschlages nicht verschont blieb, hinter dem trüben Glas des täglichen politischen Fanatismus, welcher üblicherweise aus der säkularen westlichen Kultur hervorging,  und die leicht erkenntlichen Verbrechen der Hitlerfaschisten übersehen und der Revision für würdig befunden werden?

 

Wie ist es möglich, dass die Artikel im Programm der Partei und der Armee der Nazis, welche die Ursache für die  [ethnische] „Säuberung" Europas von den Juden waren, als diskussionswürdig in Zweifel gezogen und die rassistischen Theorien der Faschisten vergessen werden? Als ob man das Buch „Mein Kampf" aus der Feder Adolf Hitlers oder die Reden Göbbels' und Himmlers nicht noch einmal lesen könnte?

 

Wie ist es möglich, dass all die seriösen Zeitzeugen des Massenmordes und der Vertreibung der Juden Europas und des Zweiten Weltkrieges ignoriert werden und die Aussagen einiger vollkommen areligiöser Personen zur Grundlage der Urteilsfindung herangezogen werden? Und dann werden dem auch noch vollkommen unwahre Aussagen hinzugefügt und beliebige Schlussfolgerungen [gezogen]. [Das alles] wird dann den gutgläubigen Hörern und Lesern unterbreitet.

 

Herr Präsident!

 

Es steht ausser Zweifel, dass im Zweiten Weltkrieg mehr als 50 Millionen Menschen umkamen, welche Rolle spielt es dann, ob von diesen 50 Millionen sechs oder nur eine Million Juden umkamen? Glauben Sie denn nicht, dass wir uns mit der Leugnung des Genozids an den Juden auch der  Leugnung der anderen 50 Millionen [ermordeten] Menschen annähern?  Und [glauben Sie nicht,] dass damit [durch die Leugnung] die Werte der Islamischen Revolution und die Lehren des verstorbenen Imam [Khomeini] sowie die ehrwürdigen traditionellen Vorstellungen der Iraner einem flüchtigen, äusserst politischen Sentiment geopfert werden? 

 

Herr Präsident!

 

Der Holocaust ist nicht nur kein Märchen, sondern eine hässliche Wunde, die auf der Stirn der westlichen Zivilisation haften bleibt. Seien Sie vorsichtig, dass die Führer der Neonazis in Europa, die heutzutage die Häuser der Afrikaner anzünden und die Viertel, in denen die Moslems leben, vandalisieren, morgen nicht eine grausame Katastrophe wie den Holocaust für die Moslems vorbereiten!

 

Sehr geehrter Herr Präsident Ahmadinejad,

 

Der Holocaust ist genauso wenig eine Legende wie der Genozid Saddams in Halabjah keine Legende ist, genauso wenig, wie die Massaker an den Menschen Palästinas und des Libanons in Sabra und Shatila durch den mörderischen Sharon keine Legenden sind, und die Massaker an den Muslimen auf dem Balkan und wie das, was heute in Afghanistan und im Irak und im Sudan vorfällt, keine Märchen sind.

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

Es gibt zwar tatsächlich Fragen über die exakte Anzahl schuldloser Juden, die während des Holocaust umkamen, aber diese Fragen beziehen sich nur auf die exakte Anzahl, und nicht auf die Tatsache des Holocaust selbst!

 

Nun stimmt es allerdings, dass die Zionisten den Holocaust instrumentalisierten und sich als Opfer darstellten und darstellen. Es existieren auch Dokumente, wonach zu gewissen Phasen die extremistischsten Gruppen der Zionisten mit den Hitlerfaschisten kooperierten und [dadurch] den Holocaust intensivierten.

 

Aber niemand kann den Massenmord an den Juden, Roma und Sinti, Polen, christlichen Slawen und Moslems, durch die Nazis und auch durch die Rote Armee, auch nur im Geringsten anzweifeln.

 

Wir verteidigen die Unschuld und das Opfer aller im Zweiten Weltkrieg Ermordeter, von denen der an den Juden in Europa organisierte Massenmord, also der Holocaust, nur ein kleiner Teil ist.

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

 

Wir sind besorgt, dass die Werte der glorreichen Islamischen Revolution der iranischen Nation durch [diese] Interpretation des Massenmordes an den europäischen Juden durch die Faschisten gegenüber rassistischen oder pseudo-patriotischen Gefühlen von der Marke Reza Chans verblassen könnte. Und dass die Verteidigung der Rechte der Unterdrückten, sowie Unabhängigkeit und Freiheit, welche die Leitmaximen des triumphierenden verstorbenen Imams [Khomeini] gewesen sind, durch einen ungerechten, rassistischen Diskurs bar jeglichen konfessionellen Nutzens ersetzt werden könnten.

 

Kann man denn überhaupt eine  wissenschaftliche Untersuchung irgendwelcher gesellschaftlicher Probleme einseitig, und ohne Gegenstandpunkt zu hören, seriös betreiben? [Noch dazu], wenn das Ergebnis schon vorher veröffentlicht wurde, und allen [durch die Massenmedien; Anm. WP] zur Kenntnis gebracht worden ist?

 

Es ist wirklich schade, dass der geistige Horizont in den Sitzungen der treuen Jugend und der ehrwürdigen Hezbollahis nun durch eine [lächerliche] Diskussion ersetzt wird, die da lautet: „Wir wollen folgendes feststellen, ob die Anzahl der Opfer des Holocaust sechs Millionen oder, wie andere es behaupten, nur eine Million Personen betrug." Und [ebenso bedauerlich ist es, dass] wir nun die Gehirne der Jugend mit einem Teil des wertlosesten Erbes der Werte der westlichen Zivilisation, nämlich der rassistischen und konfessionellen Brutalität, beschmutzen.

 

Herr Präsident, die wiederholte Organisation von Seminaren zur Leugnung des Holocaust bei gleichzeitiger Vorab-Ankündigung des Ergebnisses bringt der iranischen Nation rein gar nichts, genauso wenig, wie es den Muslimen auf der Welt oder den Palästinensern keinen Nutzen bringt, sondern nur die Komplexe der Rassisten befriedigt.

 

Ich habe Ihnen diesen Brief mit den besten und lautersten Absichten und mit Bekümmernis geschrieben, vielleicht könnten Sie persönlich dem nie da gewesenen Propagandaangriff in den Massenmedien hinsichtlich der Leugnung des Holocaust ein Ende setzen und der Weltöffentlichkeit mitteilen, dass die islamisch-iranische Zivilisation niemals rassistisches und genozidäres Gedankengut, in welcher Ausrede auch immer, akzeptiert hat.

 

Mit den besten Wünschen für die Gesundheit, das Wohlergehen und den Ruhm des Revolutionsführers [Khamenei], Ihrer Exzellenz [Ahmadinejad] und der glorreichen Iranischen Nation,

 

Ergebenst

 

Harun Yaschayayi

Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft, Teheran

[in meiner Kopie undatiert, in der Internetversion 6. Bahman 1384/26. Jänner 2006]

Die Tatsache, dass es wohl nur im Iran möglich ist, dass der Vertreter einer Minderheit in einem Land des Nahen Ostens das Selbstvertrauen aufbringt, seinem Regierungschef einen dermassen deutlichen Brief zu schreiben und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, spricht an und für sich zugunsten der Islamischen Republik. Ein ähnliches Schreiben wäre im Syrien der Assad-Dynastie, dem Ägypten Mubaraks oder im Irak Saddam Husseins undenkbar, und in diesem Tonfall auch in der Türkei kaum vorstellbar.

Harun Yashayayis Brief schafft es, auf der einen Seite im engen Rahmen der khomeinischen Ideologie zu bleiben, und gleichzeitig in unzweideutiger Art und Weise den Präsidenten zurechtzuweisen. Mit anderen Worten, er fordert vom Präsidenten die Einhaltung jenes Arrangements, das die jüdische Gemeinde Irans mit Khomeini geschlossen hat und das der Autor durch die Leugnung des Holocaust bedroht sieht. Zu diesem Zwecke bedient sich Yashayayi des gesamten ideologischen Werkzeugs der Islamischen Republik. Sein Hauptargument liegt darin, den fremden, uniranischen und unrevolutionären Charakter des Neonazitums der Holocaust-Leugner zu betonen. So sind die europäischen Nazis ungläubig, während ihre Opfer religiös und unschuldig sind, so wie die iranische Propaganda in der Regel von den Palästinensern spricht. Um diesen Eindruck zu festigen, sowie um der Faktizität des Holocaust Nachdruck zu verleihen und allfällige Gegenargumente, wonach der Westen genauso brutal sei und Muslime ermorde, auszuhebeln, zitiert der Autor die im Iran bekanntesten „westlichen" Verbrechen wie Halabjah, Sabra und Shatila, die Massaker in Bosnien, Afghanistan und im Sudan. Ausserdem zieht er den Schluss, der Holocaust werde ein Schandfleck der westlichen Zivilisation bleiben.  Kritik am Zionismus und an extremistischen Zionisten darf natürlich auch nicht fehlen und liegt im Rahmen der öffentlichen Selbstdarstellung der jüdischen Gemeinde Irans.

Von besonderer Bedeutung aber sind jene Punkte, in denen der Autor auf den veränderten Ton unter Ahmadinejad eingeht, und dessen Veränderungen er in den letzten Jahren genau beobachten konnte. So hält er den Präsidenten persönlich für die antisemitische und Holocaust-relativierende bzw. -leugnende Medienpropaganda verantwortlich und bittet ihn, Massnahmen zu ergreifen, um diese zu verhindern. In weiterer Folge betont er, dass landesfremder, kulturfremder und areligiöser europäischer Rassismus, der „niemandem etwas bringt", durch das Abhalten solcher Konferenzen die Fundamente der khomeinischen Ideologie untergraben würde und dem rassistischen iranischen Ultra-Nationalismus „von der Marke Reza Chans" (gemeint ist der Vater des letzten Schah) Vorschub leisten würde. Auch dieser Vorwurf geht an die Adresse Ahmadinejads, der tatsächlich eine nationalistischere Sprache als seine Vorgänger pflegt.

Ein weiteres Detail verdient grössere Beachtung: die „Sitzungen" in denen die Hezbollahis und die Jugend mit „wertlosem europäischem Gedankengut angefüllt werden". Dabei handelt es sich um die wöchentlichen Treffen der Basijis, mit „Hezbollahi" bezieht sich der Autor in diesem Zusammenhang auf Ansâr-e Hezbollâh und auf die Subkultur der über das Land verstreuten Hezbollahi-Gruppen, die am rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelt sind und in den letzten Jahren immer wieder moderate politische Ansätze zunichte machten. Richtig erkennt Yashayayi, welche Gefahr davon ausgeht, dass in ein von traditionalistischen Vorstellungen geprägtes, aber sich beständig modernisierendes Milieu Gedankengut des europäischen Antisemitismus oder Neonazismus gebracht wird. Damit greift er aber - vielleicht, ohne es zu wissen - direkt Mohammad Ali Ramin an, der, wie weiter oben gezeigt wurde, in der ideologischen Bildung der Basijis und Hezbollahis eine zeitlang aktiv war.

Politisch gesehen konnten weder Mo‘tamed noch Yashayayi zu den Aussagen ihres Präsidenten schweigen. Beide mussten aber damals schon gewusst haben, dass Ahmadinejad, der Kritik an seiner Politik, vor allem, wenn sie in der Öffentlichkeit vorgetragen wird, selten goutierte, sich seitens der kleinen Teheraner jüdischen Gemeinde wenig gefallen lassen würde. Am 1. Esfand 1384/20. Februar 2006 veröffentlichte die jüdische Gemeinde Teherans auf ihrer Internetseite11 eine Erklärung, mit der sie auf Distanz zu Yashayayi ging:

„Erklärung der jüdischen Gemeinde Teherans über den Holocaust

 

Geschätzte Landsleute!

 

Am 6. Bahman 1384/26. Jänner 2006 hat der Präsident des Führungsgremiums der jüdischen Gemeinde Teherans in tiefer Bestürzung über die Erklärungen des Präsidenten der Islamischen Republik Iran, Herrn Mahmud Ahmadinejad, sich entschlossen, einen Brief über die Angelegenheit des „Holocaust" an den Herrn Präsidenten zu schicken und diesen zu veröffentlichen.

 

Bedauerlicherweise fand der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Briefes unter Umständen statt, als von Seiten ausländischer Massenmedien ein Vorwand [zur Erzeugung] eines negativen [politischen] Klimas gegen die Iranische Nation und das System der Islamischen Republik Iran geschaffen wurde.

 

Das Führungsgremium der jüdischen Gemeinde Teherans legt normalerweise die sie betreffenden Probleme und Fragen durch Briefe und Treffen mit den [zuständigen] Behörden dar, und in den meisten Fällen konnten durch Gespräche und die Darlegung der Thematik Ängste zerstreut und vorgefallene Probleme gelöst werden. 

 

Führungsgremium der jüdischen Gemeinde Teheran

1. Esfand 1384/20. Februar 2006

 

Diese Erklärung bleibt dem politischen Geist der Teheraner jüdischen Gemeinde treu: Weder wird der Brief Yashayayis formell zurückgezogen, noch die Rechtmässigkeit der Kritik am Präsidenten in Frage gestellt. Bedauert wird lediglich der falsche Zeitpunkt der Veröffentlichung. Des Weiteren nimmt diese Erklärung bereits 2006 eine Sprachregelung des Regimes auf - nämlich den Standardvorwurf von der negativen Intervention ausländischer Massenmedien, der dann im Zuge der Proteste gegen die Wahlen 2009 vom Regime propagiert wurde. Der Gegenschlag des Präsidenten fiel für iranische Verhältnisse relativ moderat aus:  Harun Yashayayi ist seit spätestens 2008 nicht mehr Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, und Maurice Mo‘tamed wurde in den Parlamentswahlen 2008 nicht mehr gewählt. Von weiteren Repressalien, die in direktem Zusammenhang mit dem Brief Harun Yashayayis stehen, ist uns nichts bekannt. Den Parlamentssitz Mo'tameds hat nun seit 2008 Siamak Mereh Sedq, der Direktor des Jüdischen Dr. Sapir-Spitals, eingenommen. Er ist auch der neue Herausgeber von Ofeq-e Bina, wo es - zumindest in der Internetausgabe - keine Artikel über den Holocaust mehr gibt.

Die antisemitischen Gruppen, vor denen Mo'tamed und Yashayayi spätestens ab dem Jahre 2002 gewarnt hatten, sind deckungsgleich mit jenen, die ab 2005 an die Macht kamen. Und jene Politiker, die für die jüdischen Sorgen Mitgefühl oder Verständnis zeigten - wie Alī Akbar Hāschemī Rafsanjani, Mohammad Khatami, Mehdi Karrubi oder Mohammed Ali Abtahi - sind diejenigen, die sich heute massiven Angriffen ausgesetzt sehen oder, wie im Falle Abtahis, inhaftiert wurden. Sie haben den Kampf gegen Ahmadinejad und die mit ihm verbündeten politischen Netzwerke aber noch lange nicht aufgegeben. 

War der zähe Kampf der letzten Jahre umsonst? Fast scheint es so, da am 11. und 12. Dezember 2006 mit der Holocaust-Konferenz der bisherige Höhepunkt (oder Tiefpunkt) der Ramin'schen Tätigkeit erreicht war. Mit der Durchführung der Konferenz wurde das renommierte Institute for Political and International Studies - IPIS des iranischen Aussenministeriums beauftragt, das umgehend von der internationalen Forscher-Community unter einen informellen Boykott gestellt und jahrelang von Vertretern westlicher „Think Tanks" gemieden wurde. Im Gegenzug zum Boykott blockiert IPIS seither die Kontakte zwischen politischen Forschungseinrichtungen im Iran und im Westen. Es erfüllt damit eines der wichtigsten Ziele der isolationistischen Kreise um den Präsidenten, die damit gleichzeitig auch klarstellen, dass sie, vom äussersten rechten Rand kommend, im Zentrum des aussenpolitischen Establishments angelangt und willens sind, den politischen Ton vorzugeben. Doch der auf institutioneller Ebene angesetzte Boykott gegen IPIS zeigte seine Wirkung: Zug um Zug wurden die Initiatoren und Organisatoren der Holocaust-Konferenz aus dem Institut entfernt, sodass heutzutage am IPIS keiner der damals Verantwortlichen beteiligt ist und in der Führung des Instituts wieder professionellere Forscher und Diplomaten anzutreffen sind.

Für Mohammad-Ali Ramin war die Konferenz eine Herzensangelegenheit. Ramin sieht sich offensichtlich in erster Linie als seriöser Wissenschaftler und erst in zweiter Linie als Politiker. Sein Ziel war die Gründung einer vom iranischen Aussenministerium unabhängigen Stiftung bzw. Non-Governmental-Organization namens Komitee zur Wahrheitsfindung über den Holocaust12, die ihren Sitz zunächst in Teheran und später, „wenn die Situation sich geändert hat" (!), in Berlin einnehmen sollte.13 Ramin legte auf der Konferenz in einer kurzen, auf Deutsch gehaltenen Rede den intellektuellen Grundstein zur systematischen Vernetzung und Koordination der europäischen Holocaust-Leugner-Szene, mit dem Ziel, „das 60-jährige Tabu zu brechen". Im selben Atemzug betont er jedoch, dass sich das zu gründende Komitee „gegen kein Volk" richten, sondern nur der historischen Wahrheitsfindung dienen würde.  All dies geschah unter wohlwollendem Beifall der anwesenden Holocaust-Leugner. Sieht man sich die auf der Internetplattform YouTube veröffentlichten Mitschnitte der Auftritte Mohammad-Ali Ramins genauer an, kann man daraus schliessen, dass die Holocaust-Konferenz in erster Linie dem Ehrgeiz Ramins zu verdanken war, und nicht der Initiative des Präsidenten, was Letzteren freilich nicht von seiner politischen und moralischen Verantwortung entbindet.

Ramin ist nach wie vor aktiv und folgt dem von ihm bewunderten Robert Faurisson, für den Holocaust-Leugnung und Vernichtung Israels dasselbe sind.14 Ramins Interpretation der Weltgeschichte und die Vernetzung radikaler Iraner mit der Szene der internationalen Holocaust-Leugner mag sich auf individueller Ebene, also am Rande des politischen Spektrums - und zwar sowohl in Europa als auch im Iran -, verdichten. Der ideologische Durchbruch im Iran wird ihm aber kaum gelingen. Dies schon alleine deshalb nicht, weil sich angesichts der aufgeheizten politischen Atmosphäre in Teheran die knapp 20.000 Seelen starke jüdische Gemeinde als Feindbild für die Basij und andere paramilitärische Organisationen kaum vermitteln lässt. Des Weiteren ist die politische Entwicklung der Islamischen Republik Iran unklar, da die versuchte Beseitigung der Reformkräfte im Anschluss an die letzten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 nicht gelungen ist und das Regime in eine tiefe Systemkrise schlitterte. Das Regime hat nun andere Sorgen und Prioritäten als die Förderung revisionistischer Exzentriker aus Europa.

Und dann ist da noch Ahmadinejad selbst. Der eigenwillige Politiker aus kleinen Verhältnissen, der - wie Kasra Naji in seiner ausgezeichneten Arbeit nachgewiesen hat - die Reaktionen auf seine provokanten Äusserungen genoss, hat das Gedankengut Ramins zwar gefördert, aber geistig nie wirklich nachvollzogen (vielleicht mit Ausnahme der Raminschen Bemerkungen über die Heldendenkmäler, die in Deutschland und Österreich der Kriegsgeneration verweigert würden). Ausser Ramin hat der Präsident noch andere Mitarbeiter und Vertraute, für welche die Leugnung des Holocaust keine Priorität hat. Einer von ihnen, Esfandiar Rahim-Mashayi, der Schwager des Präsidenten, sprach sogar von Freundschaft zum israelischen Volk!15 Und die Genfer Rede16 des Präsidenten war - wie üblich - provokativ, blieb aber im khomeinistischen Rahmen, das heisst, Israel wurde sein Existenzrecht abgesprochen, der Holocaust jedoch nicht geleugnet. Für den Westen sind diese Unterscheidungen lächerlich, da beides ja ursächlich miteinander verbunden ist. Für die kleine jüdische Gemeinde im Iran sind diese ideologischen Spitzfindigkeiten, zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterscheiden zu können, aber (über)lebenswichtig.

Zum Autor:

Dr. Walter Posch (Jg. 1966) studierte Turkologie und Islamkunde in Wien und Istanbul und promovierte im Fach Iranistik in Bamberg (1999). Von 2000-2004 arbeitete er im Bereich der sicherheitspolitischen Forschung über Iran, Irak, die Türkei und die Kurdenfrage an der Landesverteidigungsakademie des österreichischen Bundesheeres in Wien. Von 2004-9 forschte er am Europäischen Institut für Sicherheitsstudien (EUISS) in Paris, wo er eng mit den zuständigen Stellen der EU (Rat, Kommission und Parlament) kooperierte. Seit Jänner 2010 arbeitet er an der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem führenden deutschen Think Tank in aussen- und sicherheitspolitischen Fragen. Schwerpunkte seiner Forschung sind die iranische Aussen- und Sicherheitspolitik, Fragen der iranischen Innenpolitik inklusive die Volksgruppenproblematik sowie die Machtstrukturen und -dynamiken innerhalb des Regimes, sowie europäisch-iranische und deutsch-iranische Beziehungen. Nachfragen: walter.posch@swp-berlin.org

1   Der folgende Beitrag kann als Teil III der Artikelserie Walter Posch, Juden im Iran. Anmerkungen zu einem antizionistischen Brief an Mahmoud Ahmadinejad gelesen werden, vgl. Teil I, In: DAVID, Jg. 21, Heft 83, Dezember 2009, 30-34 sowie Teil II, In: DAVID, Jg. 22, Heft 84, April 2010, 28-34.

2   Für eine brauchbare Einführung in die Geschichte der Juden Irans siehe Habib Levy, Comprehensive History of The Jews of Iran. The Outset of the Diaspora, Costa Mesa: Mazda Publishers 1999, und vor allem Houman Sharshar, Esther's Children. A Portrait of Iranian Jews, Philadelphia: Jewish Publication Society of America 2002.

3   Es sind dies insbesondere Art 13, 14 und 64 der iranischen Verfassung. Hierzu siehe Asghar Schirazi, The Constitution of Iran. Politics and the State in the Islamic Republic, London  - New York: Tauris 1997; Silvia Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung der Islamischen Republik Iran vom 15 November 1979, Berlin: Klaus Schwarz 1985. Für die religiösen Minderheiten im Iran siehe Eliz Sanasarian, Religious Minorities in Iran, Cambridge 2000 (= Cambridge Middle East Series 13)

4   Für Details, auch mit Fussnoten, siehe meinen Beitrag in DAVID, Jg. 21, Heft 83, Dezember 2009, 30-34.

5  Kasra Naji, Ahmadinejad. The Secret History of Iran's Radical Leader, Berkeley-Los Angeles: University of California Press 2008, 175.

6   Siehe die DAVID, Jg. 22, Heft 84, April 2010, 28-34.

7   Obwohl sich die Hezbollahis auf die gleichnamige libanesische Organisation (Partei und Miliz) berufen, besteht kein direkter Zusammenhang zwischen den beiden.

8   Naji, 177; siehe auch seine Äusserungen im Interview mit E'temad-e Melli, wo er offen gegen die Juden als Volksgruppe, und nicht gegen die Zionisten polemisiert, hierzu Ilân Farhâdi, „Enkâr-e Hulukâst torfande siyasi bud/Die Leugnung des Holocaust war eine politische List!", vgl.  http://www.hamdami.com/MFAFA/Holocaust/290908-RaminHolocaust.htm [ohne Datum]

9   vgl. http://iranjewish.com/News_F/news_29_03-holocust.htm

10   „President of Tehran's Jewish Association Lays Out Holocaust Facts for Ahmadinejad", vgl.

 http://hnn.us/roundup/entries/21769.html

11   „Beyâniye-ye anjoman-e Kalimiân-e Tehrân dar moured-e Holoukoust/Erklärung der Jüdischen Gemeinde Teherans über den Holocaust"; vgl. http://iranjewish.com/News_F/news_29_05-holocaust2.htm

12    Farhâdi, „Enkâr-e Hulukâst"

13     Siehe Ramins Vortrag auf der Konferenz, er spricht ab Minute 04:15; vgl.  http://www.youtube.com/watch?v=QEfK0v0jKd8

14     vgl. http://www.memri.org/bin/articles.cgi?Area=sd&ID=SP118606&Page=archives

15   "Esfandiar Rahim Mashaie Appointed Iran's First Vice President," In: Huffington Post, 17 Juli 2009.

16   Ahmadinejad hielt diese Rede anlässlich der „Durban Review Conference on Racism" am 20. April 2009 in Genf; vgl. http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=92046