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„Das Unerhörte zur Sprache zu bringen“

Martin HÖLBLINGER

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Hohenems in Vorarlberg schreibt für das Jahr 2011 zum zweiten Mal einen „Literaturpreis für deutschsprachige AutorInnen nicht-deutscher Muttersprache" aus. Der in dieser Stadt lebende Schriftsteller Michael Köhlmeier gab vor einigen Jahren den eigentlichen Impuls für das Projekt: Wenn in Hohenems ein Literaturpreis verliehen werde, sollte dieser schon etwas Besonderes sein. Die im „Dreiländereck" Österreich-Schweiz-Deutschland liegende junge Stadt zeichnet sich von jeher durch eine Migration aus, die bis in die Zeit der Emser Grafen, ihrer europäischen Verbindungen und der durch sie betriebenen Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde im 17. Jahrhundert zurückreicht. Wieso also nicht gerade jenen Schriftstellern ein Forum bieten, welche die deutsche Sprache erst im späteren Verlauf ihrer Biographie für sich entdeckten und zur künstlerischen Ausdrucksform machten? Und: Lässt vielleicht gerade der „Blick von aussen" neue Qualitäten in der deutschen Literatur entwickeln, inhaltlich wie sprachlich?

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Der ehemalige Synagoge von Hohenems als Ort einer Lesung der Preisträgerin 2009 Agnieszka Piwowarska. Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Hohenems.

Doron Rabinovici, der gemeinsam mit Michael Köhlmeier auch dieses Mal wieder Teil der prominent besetzten Jury ist, formulierte dies in seiner Rede zur Verleihung 2009 auch in diesem Sinne:

„Der Schriftsteller fremder Muttersprache verschreibt sich dem Deutschen. Es wird zu seinem Refu-gium und zu seinem Fluchtpunkt des Seins. Es erscheint ihm nicht selbstverständlich, sondern birgt Eigenheiten, Rätsel und Geheimnisse. Die Distanz zur Sprache kann den Blick schärfen und die Kontraste im Vokabular deutlicher hervortreten lassen. Unverwandt schauen solche Autoren und Autorinnen auf das Deutsch, das bekanntlich längst nicht mehr unschuldig ist, und so können sie ihm zuweilen leidenschaftlich näher kommen, weil es ihnen fremder ist. In ihrer Prosa schillert Verblasstes wieder neu und Altvertrautes scheint uns plötzlich exotisch. Sie ent-larven uns das Phrasenhafte, das Eingemachte und Abgemachte. Geht es nicht letztlich bei guter Literatur immer darum, das noch Unerhörte zur Sprache zu bringen?"

Eine Literatur zwischen den Kulturen

Der soeben für das Jahr 2011 ausgeschriebene Literaturpreis ist erneut mit einem Hauptpreis von 10.000 Euro dotiert; zusätzlich wird die Jury einen Anerkennungspreis in Höhe von 3.000 Euro zusprechen. Alter, Geschlecht und der Geburts- wie auch Wohnort der Teilnehmer spielen keine Rolle; so konnten zur ersten Ausschreibung auch Einsendungen aus Südamerika oder China vermerkt werden. Ausschlaggebend ist, dass die unveröffentlichten, maximal zehnseitigen Prosatexte die Jury überzeugen und auf Deutsch - aber nicht als Muttersprache - geschrieben wurden. In der Intention, den Literaturpreis trotz der ungewöhnlichen Ausrichtung als Wettbewerb im ureigensten Sinne zu betrachten, werden die Texte der Jury anonym vorgelegt: Um rein die ästhetische Qualität der Einsendungen zu werten, die „in freier Themenwahl das Ineinandergreifen verschiedener kultureller Traditionen und biographischer Prägungen thematisieren sollen", wie die Ausschreibung lautet. Michael Stavari�, der arrivierte österreichische Schriftsteller mit tschechoslowakischen Wurzeln, und die junge, in Polen geborene Autorin und Schauspielerin Agnieszka Piwowarska teilten sich den Hauptpreis 2009: Sie konnten mit ihren Texten Geister und Oktober Jury und Publikum anlässlich der Preisverleihung im Salomon-Sulzer-Saal, der ehemaligen Synagoge von Hohenems, begeistern.

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Preisverleihung 2009: Die GewinnerInnen Agnieszka Piwowarska, Michael Stavari� und Susanne Gregor (Anerkennungspreis) sowie die Jurymitglieder 2009 Zsuzsanna Gahse, Anna Mitgutsch, Michael Köhlmeier und Doron Rabinovici (v.l.). Mit freundlicher Genehmigung Stadt Hohenems.

Ein Folder mit allen Details liegt in zahlreichen Literaturinstitutionen im deutschsprachigen Raum auf und kann auf www.hohenems.at/literaturpreis abgerufen werden. Die Anschrift für Einsendungen lautet: Amt der Stadt Hohenems, Kulturamt, Kaiser-Franz-Josef-Strasse 4, 6845 Hohenems, Österreich. Einreichungen können bis 31.12.2010 erfolgen.

Als Veranstalter des Literaturpreises fungieren der Verein Viertel Forum und das Kulturamt der Stadt Hohenems in Zusammenarbeit mit der Lesegesellschaft im Jüdischen Museum Hohenems. Der Preis wird von der Stadt Hohenems in Zusammenarbeit mit Sponsoren verliehen.