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Geliebter Feind – Gehasster Freund

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Irene A. Diekmann, Elke-Vera Kotowski (Hg.): Antisemitismus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart,

Berlin: Verlag Berlin-Brandenburg 2009.

752 Seiten, Euro 36,90.

ISBN: 978-3-86650-334-2

Der Begriff des Philosemitismus verursacht sowohl im politischen als auch im wissenschaftlichen Diskurs immer wieder Verwirrung. Bezeichnet Philosemitismus nur die vermeintlich positive Kehrseite des Antisemitismus oder (christlich-theologisches) Interesse am Judentum? Ist Philosemitismus ein antisemitischer Kampfbegriff zur Denunziation von Menschen und Gruppen, die mit Juden und Jüdinnen solidarisch sind?

Das Moses-Mendelsohn-Zentrum in Potsdam organisierte 2007 anlässlich des 65. Geburtstages seines Leiters Julius Schoeps eine internationale und interdisziplinäre Konferenz, um die verschiedenen Konzepte von Philosemitismus und deren Abgrenzung zum Antisemitismus zu beleuchten. Die Konferenzbeiträge sowie weitere Interventionen wurden in einem empfehlenswerten Sammelband publiziert.

Am Beginn steht eine kompetente begriffstheoretische Auseinandersetzung von Wolfram Kinzig mit Philosemitismus, der unterschiedliche Ausprägungen skizziert und gleichzeitig konstatiert, dass es an einem analytischen Philosemitismusbegriff mangelt. Moshe Zimmermann beleuchtet im Folgenden das Verhältnis von Antisemitismus und Philosemitismus, die beide ihm zufolge in erster Linie im gleichen Vorurteilsapparat wurzeln würden. Im Gegensatz dazu weisen Lars Rensmann und Klaus Faber auf die Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes hin und plädieren gleichzeitig für einen Verzicht auf den Begriff selbst.

Anschliessend werden zahlreiche (historische) Ausprägungen von Philosemitismus von der Antike an in den Blick genommen. Zentral für die Gegenwart sind dabei vor allem (mögliche) Formen von Philosemitismus nach Auschwitz. Philosemitische Tendenzen stehen dabei, wie etwa Margit Reiter oder Ulrike Zander in ihren Beiträgen herausarbeiten, oftmals in Zusammenhang mit der Frage von Schuldbewältigung und der damit nicht selten verbundenen Erwartung, „freigesprochen" zu werden. Eine kulturelle Ausformung dieses Phänomens untersucht Albert Lichtblau in seinem Beitrag über Klezmermusik als „musikalische Vergangenheitsbewältigung".

Bedeutung erfuhr der Begriff des Philosemitismus zusätzlich nicht zuletzt vor dem Hintergrund europäischer Verhandlungen des Nahostkonfliktes. So analysiert etwa Elisabeth Kübler damit verbundene europäische Projektionen, die stereotype Bilder von Juden und Jüdinnen reproduzieren, während sich Christina Späti vor allem auf die Israelbegeisterung in der schweizerischen Linken nach 1945 fokussiert. Yves Patrick Pallade widmet sich anschliessend dem paradoxen Phänomen von Philosemitismus in rechtspopulistischen und rechtsextremen europäischen Parteien.

Eine eingehende Besprechung aller Beiträge würde den Rahmen dieser Rezension ebenso sprengen, wie ein Vergleich der einzelnen, oftmals sehr unterschiedlichen Definitionen des Begriffs des Philosemitismus. Gerade wegen der grossen Diversität von Konzepten und Kritiken des Philosemitismusbegriffs bietet der besprochene Sammelband einen der bisher besten deutschsprachigen Überblicke und verschafft gleichzeitig Einblick in aktuelle wissenschaftliche und politische Debatten.