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Gespräch mit Charlotte Knobloch

Ilan FELLMANN

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Charlotte Knobloch ist Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern. Von 2006-2010 war sie auch Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Das Interview mit ihr führte Ilan Fellmann am 28. März 2011 im Gemeindezentrum am Jakobsplatz in München.

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Charlotte Knobloch

Ich wartete im Besprechungsraum des neuen Gemeindezentrums der IKG München. Vierter Stock. Schöner Blick auf einige Türme Richtung Viktualienmarkt und die neue Synagoge tief unter uns. Es ist 14 Uhr. Die Frau Präsidentin ist noch nicht da. Ihre freundliche, junge Sekretärin lässt sie für einige Minuten entschuldigen, serviert Kaffee. Nach etwa zehn Minuten höre ich feste Schritte. Sie erscheint. Nicht besonders gross, aber selbstsicher, gut angezogen. Sie hat Aura und wirkt sympathisch: Frau Präsidentin Dr. h. c. Charlotte Knobloch ist im 79. Lebensjahr. Gepflegtes Haar, sprechende hellgrüne Augen, modische Brille. "Frau Präsidentin, ich hoffe, sie schenken mir eine Stunde?" - "Aber klar". Und los ging es.

Welche Erinnerungen haben Sie an die frühe Kindheit in München, ihr Elternhaus, die Nazis in München in den dreissiger Jahren?

Ich habe die Ausgrenzung schon als Vierjährige erlebt. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich 1936, als ich wie immer zu meiner Freundin, einer „Arierin", spielen gehen wollte und von der Hausmeisterin nicht ins Haus gelassen wurde: „Die Kinder hier dürfen nicht mehr mit Juden spielen!" meinte sie. Heulend lief ich zu meiner Oma, die ich sehr liebte. „Mach dir keine Sorgen, Charlotte, das ist nur vorübergehend." Meine Oma, die übrigens später nach Theresienstadt deportiert wurde und dort umkam. Ich wusste aber instinktiv, wir gehören nicht mehr zu den Menschen, zu denen wir vorher gehört haben.

Auf meine Nachfrage: Das ist ja ein echtes Trauma, meinte Frau Knobloch: Ich erinnere mich an die Ledermäntel, die Gestapoleute. Wenn heute noch um fünf in der Früh in meiner Nähe eine Türglocke läutet, schrecke ich hoch ... ich erinnere mich ...

Wir erlebten Sie den Untergrund in Bayern als „arisches" Kind?

Die Angestellte meines Onkels in Nürnberg, Frau Kreszenzia Hummel, eine tiefgläubige Katholikin, nahm mich als ihr uneheliches Kind an. Ihr Bruder war Pfarrer, ein Familienmitglied Nazi und Ortsbauernführer. Plötzlich, im Sommer 1942, ich war fast 10 Jahre alt, war ich Lotte Hummel, das „arische uneheliche" Mädchen. Ich hatte vorher in München viel mitbekommen, wusste schon, dass die Juden aus dem Osten nicht mehr zurückkehren werden. Wusste auch, dass ich meine Oma nie mehr sehen werde.

Wieso? Es waren eine Reihe von Bayern aus München bei der Wehrmacht, der SS oder der Reichsbahn und erzählten ihren Familien und Freunden, was sie erlebt hatten. In München hatte man damals viele Informationen ... Man wusste, dass Leute direkt von den Wagons zu Gruben geführt und erschossen werden ...

Ihr Wiedersehen mit ihrem Vater nach Kriegsende im Mai 1945?

Plötzlich stand er vor mir. Ich glaubte nicht mehr daran. Ich wollte nicht mehr zurück in mein früheres Leben. Ich hatte mich eingelebt, wusste, dass ich in München wieder Menschen von früher begegne. Wollte nicht wieder verletzt werden.

Ihr Leben als junges Mädchen und Frau im Nachkriegsdeutschland?

Ich war schon früh erwachsen. Deutschland nach dem Krieg war nicht leicht für die Juden. Mein Vater dachte oft an Auswandern, aber er war Jurist. Er dachte an das amerikanische Recht, sein Bruder lebte in New York, aber er wollte das nicht. Er war ein deutscher Rechtsanwalt, das Neulernen nach dem Krieg wäre eine neue Belastung gewesen. Er baute seine Kanzlei neu auf. Und so blieb er hier und ich auch. Ich heiratete bald, mein Mann stammte aus Osteuropa, war ein Kohen. Wir bekamen bald unsere drei Kinder, Bernd Baruch 1951, Sonja Sara 1953 und Iris Mecha 1963. Wir waren glücklich.

Niemals vergessen, die Jugend informieren - wie stehen Sie dazu?

Das ist wichtig. Man muss in die Zukunft sehen, aber auch wissen, was war. Jüdisches Bewusstsein ist wichtig.

Ich habe gelesen, Sie gingen nur zu den hohen Feiertagen in den Tempel?

Das ist ein Unsinn, der hin und wieder geschrieben wird. Ich gehe jeden Shabat in den Tempel, bin traditionell ausgerichtet. 

Deutschland nach Fukushima und dem Krieg in Libyen: Gibt es Auswirkungen für Deutschland und für die Juden?

Deutschland hat sich in der Libyenkrise nicht richtig verhalten. Man muss Stellung beziehen. So wie auch andere Staaten der westlichen Allianz. Für Israel wird die Situation unangenehm, es wird aber via Iran nicht allein sein.

München hat nun ein blühendes Gemeindezentrum. Kosten und Finanzierung der Anlage?

Das neue Gemeindezentrum, 2004-06 errichtet, kostete ungefähr 57 Mio. Euro, davon wurden zwei Drittel vom Freistaat Bayern und der Stadt München finanziert, kein Geld vom Bund. Die geplanten Kosten wurden nicht überschritten.

Auf meine Nachfrage, in Wien sei es nicht möglich, so viel Geld für die IKG aufzutreiben, meinte Frau Knobloch: „Ich weiss. Hier herrschen andere Verhältnisse".

Auf mein Kompliment zur grossartigen Anlage am Jakobsplatz, das weitgehend mit ihrer Person als Präsidentin in München und Oberbayern verbunden ist, antwortete sie: „Ich habe Freude damit. Es ist ein Projekt für die Zukunft".

Wie beurteilen Sie den Antisemitismus von rechts und vom Islam?

Der rechtsradikale traditionelle Antisemitismus wird wieder stärker. Er war aber immer da. Es erinnert mich die Zeit heute an Hitler 1920-1932, es ist die Art, die Jugend mit nationalen und Heimatwerten zu begeistern. Ja, die falsch verstandene "Heimatliebe" ...

Und seitens des Islamismus?

Ich sehe die Gefahr. Die jungen männlichen Moslems sind oft gegen alles Jüdische eingestellt. Das ist eine echte Gefahr.

Was wollen Sie der jüdischen Jugend mitgeben?

Die Jugend muss sich engagieren! Nicht passiv sein, im Land, in dem man lebt, sich einbringen! Wie es früher auch der Fall war, als sich jüdische Menschen in Wirtschaft, Politik und Forschung hervorragend einbrachten. Junge Juden sollen sich auch in der nationalen Politik engagieren.

Wie wird es mit der Ludwig-Ehrlich Gesellschaft weitergehen, für die Sie sich als Präsidentin so stark engagieren?

Die Gesellschaft dient der Förderung der Wissenschaft. Wir unterstützen junge Juden, grosse Talente, nicht nur deutsche Staatsbürger.

Ich gratuliere Frau Knobloch zu der Tatsache, dass sie als bisherige einzige Frau die Präsidentschaft im Zentralrat der Juden in Deutschland inne hatte, und auch dazu, dass sie nach einer Amtsperiode von sich aus die Führung am 28. November 2010 in jüngere Hände legte, nämlich in jene von Dieter Graumann. Ich bin mir sicher: Ich bin einer bedeutenden Persönlichkeit des jüdischen Lebens in Deutschland und darüber hinaus gegenüber gesessen, die ihr schwieriges Leben in und nach dem Krieg gemeistert hat und auf allen Positionen, die sie, eine gelernte Schneiderin einnahm, ihre Frau gestellt hat.

Dr. Ilan Fellmann lebt als Ministerialbeamter und Publizist in Wien.