Ausgabe

Vor 100 Jahren

Erwin A. SCHMIDL

Das Kriegsende 1917/18 im Nahen Osten

 

Inhalt

Der grobe Ablauf der Ereignisse des Weltkrieges im Nahen Osten ist bekannt: Nachdem Grossbritannien am 1. August 1914 zwei – vom Osmanischen Reich schon bezahlte – in Fertigstellung befindliche Kriegsschiffe beschlagnahmt hatte, schloss die Pforte am folgenden Tag einen geheimen Bündnisvertrag mit dem Deutschen Reich, dem sich Österreich-Ungarn anschloss. Türkische Kriegsziele waren die Abschaffung der „Kapitulationen“, die den europäischen Mächten weitreichende Privilegien gewährten (die entsprechenden Verträge wurden im September gekündigt), sowie die Rückgabe einiger in den Jahrzehnten davor an Russland und Griechenland verlorener Territorien (darunter Kars und Batumi sowie die Insel Limnos). 

Am 10. August erreichten der deutsche Schlachtkreuzer S.M.S. (= Seiner Majestät Schiff) „Goeben“ und der Kleine Kreuzer S.M.S. „Breslau“ Konstantinopel (Istanbul) und wurden nominell als „Yavuz Sultan Selim“ und „Midilli“ dem Sultan übergeben. Obwohl es über das künftige Vorgehen auch im Kabinett keine Einigkeit gab, eröffnete der – formal in osmanischen Diensten stehende – deutsche Konteradmiral Wilhelm Souchon am 29. Oktober 1914 mit der Beschiessung russischer Schwarzmeerhäfen die Kampfhandlungen, worauf Russland am 2. November den Krieg erklärte. 

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11. Dezember 2017: Gedenkveranstaltung 100 Jahre später vor der Davids-Zitadelle. Auf dem Podium markieren einige Darsteller in mehr oder weniger phantasievollen „historischen“ Kostümen General Allenby und seine Entourage. Foto: Schmidl 

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Der Einzug General Allenbys in Jerusalem am 11. Dezember 1917 – bewusst kam er wie ein Pilger nicht hoch zu Ross, sondern zu Fuss durch das Jaffa Gate.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Allenby_enters_Jerusalem_1917.jpg – laut Angabe gemeinfrei.

Krieg an mehreren Fronten 

Für das Osmanische Reich bedeutete der Erste Weltkrieg einen Krieg an mehreren Fronten. Schon ab 1. November 1914 griffen russische Truppen im Kaukasus an. Nach ersten Kämpfen im Raum Köprüköy übernahm Kriegsminister Enver Pascha selbst die Führung der osmanischen 3. Armee. Trotz schlechter Ausrüstung, mangelnder Versorgung und des schlechten Winterwetters – es lag meterhoch Schnee und die Temperaturen fielen auf -25° – griffen die osmanischen Truppen Richtung Sarıkamış (im Nordosten der heutigen Türkei gelegen) an. Sie mussten sich aber Anfang Jänner 1915 unter schweren Verlusten zurückziehen – die 3. Armee verlor rund die Hälfte ihrer 120.000 Soldaten. Die Beteiligung armenischer Freiwilliger auf russischer Seite war später einer der Vorwände für die brutalen Deportationen und Massenmorde an der armenischen Bevölkerung in den Jahren 1915 und 1916. 

Der nächste Kriegsschauplatz war die Meerenge der Dardanellen, bei Gallipoli (Gelibolu). Britische, australische, neuseeländische und indische sowie französische Truppen landeten dort im April 1915, um Konstantinopel zu erobern und die Durchfahrt durch die Dardanellen als Verbindung zum Russischen Reich zu erzwingen. Das Unternehmen scheiterte; die Entente-Truppen mussten sich – nach schweren Verlusten – Ende 1915 zurückziehen. 

Nach dem Scheitern bei Gallipoli und der Eroberung Serbiens durch deutsche und k.u.k. Truppen im Herbst 1915 landeten britische und französische Truppen unter Verletzung der griechischen Neutralität im Oktober 1915 in Saloniki (Thessaloniki) – es entstand die „Saloniki-Front“ (auch Mazedonische Front). Da das Gebiet teilweise bis 1913 osmanisch gewesen war, kamen hier seitens der Mittelmächte allerdings vorwiegend bulgarische, deutsche und österreichisch-ungarische Truppen zum Einsatz, nicht osmanische. Dafür aber kämpften mehrere osmanische Divisionen in Galizien im Rahmen der k.u.k. Armee. 

Eine weitere Front entstand in Mesopotamien, dem heutigen Irak. Dort waren britisch-indische Truppen schon im November 1914 bei Fao und Basra gelandet und erzielten anfänglich Erfolge. Der Vorstoss Richtung Bagdad scheiterte aber am Widerstand der im Oktober 1915 unter dem deutschen Feldmarschall Colmar von der Goltz-Pascha aufgestellten osmanischen 6. Armee. Die britischen Truppen mussten sich auf Kut zurückziehen, wo sie schliesslich nach mehrmonatiger Belagerung im April 1916 kapitulierten. 

Die Kämpfe an der Palästina-Front 

Inzwischen hatten osmanische Truppen unter dem bayerischen, seit 1914 in osmanischen Diensten stehenden Generalmajor Friedrich Kress von Kressenstein im Jänner 1915 und im August 1916 zweimal vergeblich versucht, über den Suezkanal nach Ägypten vorzudringen. Diesen Truppen gehörten ab 1916 neben deutschen auch österreichisch-ungarische Einheiten an, vor allem Gebirgsartillerie.1 Der Einsatz von k.u.k. Artillerie-, Sanitäts-, Kraftfahr- und Ausbildungs-Formationen im Nahen Osten – möglicherweise alles zusammen bis zu 10.000 Mann stark – gehört zu den wenig bekannten Episoden des Ersten Weltkrieges. 

Nach dem Scheitern des zweiten osmanischen Vorstosses nach Ägypten rückten britische und Commonwealth-Truppen (wie schon bei Gallipoli, kämpften hier australische und neuseeländische Einheiten) um die Jahreswende 1916/17 unter Generalleutnant Sir Archibald James Murray, dem Kommandanten der britischen Expeditionstruppen in Ägypten, entlang der Küste bis nach Gaza vor. Murray liess systematisch Wasserleitungen und Bahnverbindungen anlegen und ermöglichte so erst das weitere Vordringen nach Palästina. Unterstützt wurde das britische Vorgehen von arabischen Aufständischen, für deren Mobilisierung der britische Archäologe und Reserveoffizier Thomas Edward Lawrence eine wichtige, im Rückblick aber oft massiv überschätzte Rolle spielte. Inzwischen war es den Briten ab Dezember 1916 auch in Mesopotamien gelungen, mit aus Indien frisch herangeführten Truppen wieder zum Angriff überzugehen. Am 11. März 1917 zogen sie in Bagdad ein.

Bei Gaza allerdings scheiterten die ersten britischen Durchbruchsversuche im März und April 1917. Erst im November 1917 gelang es den Briten – jetzt unter Führung des neuen Oberbefehlshabers Edmund Allenby (später First Viscount Allenby) – in der „Dritten Gaza-Schlacht“, die osmanischen Stellungen durch einen überraschenden Angriff bei Be’er Sheva im Osten „auszuhebeln“. Am 7. November fiel Gaza, am 16. November Jaffa. Es folgten heftige Kämpfe westlich von Jerusalem. Am 7. Dezember befahl das osmanische Oberkommando die Räumung der Stadt. Am 9. Dezember bot der Bürgermeister von Jerusalem, Hussein el Husseini, britischen Soldaten die Kapitulation der Stadt an. Offiziell zog General Allenby aber erst zwei Tage später, am 11. Dezember, in die Stadt ein – als symbolische Geste zu Fuss, wie ein Pilger. Damit sollte bewusst ein Kontrast zum Besuch des deutschen Kaisers Wilhelm II. geschaffen werden, der 1898 mit seiner Frau Auguste Victoria hoch zu Ross in die Heilige Stadt eingeritten war; dafür hatte man den Graben vor dem Jaffa-Tor aufgefüllt und den Weg geebnet.

Strategisch gesehen war die Inbesitznahme Jerusalems für die Entente bedeutungslos, symbolisch aber gerade zu einer Zeit militärischer Erfolge der Mittelmächte umso wertvoller. Man denke nur an den Durchbruch der k.u.k. und deutschen Truppen in der 12. Isonzo (Soča) Schlacht bei Flitsch/Bovec/Plezzo und Tolmein/Tolmin/Tolmino Ende Oktober und die zweite russische (bolschewistische bzw. Oktober-) Revolution im November 1917. 

Die Kämpfe in Palästina gingen weiter. Im Februar 1918 konnten die Briten Jericho besetzen, doch dauerte der Stellungskrieg im Jordantal an. Erst am 19. September 1918 gelang den Briten in der Schlacht von Meggido ein entscheidender Durchbruch. Amman fiel am 24., Dar’a am 27. September und Damaskus am 1. Oktober 1918. Damit hatte das Osmanische Reich sein Ende gefunden. Die Kampfhandlungen mit dem Osmanischen Reich endeten mit dem Waffenstillstand von Moudros – unterzeichnet auf dem Schlachtschiff H.M.S. „Agamemnon“ im Hafen von Moudros der griechischen Insel Limnos – am 30. Oktober 1918. Schon einen Monat davor hatte – am 29. September 1918 – Bulgarien einen Waffenstillstand unterzeichnet. Es folgten die Waffenstillstände der Entente mit Österreich-Ungarn (in der Villa Giusti bei Padua am 3. November) und mit dem Deutschen Reich am 11. November 1918. Der „Grosse Krieg“ war zu Ende, die Machtverhältnisse hatten sich massiv verschoben – nicht zuletzt im Nahen Osten. 

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V.l.n.r.: Der Rektor des Österreichischen Hospizes, Mag. Markus St. Bugnyár, dahinter Dr. Marcus Patka vom Jüdischen Museum in Wien, Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schipper sowie Dr. Norbert Schwake beim Besuch des Protestantisch-anglikanischen Friedhofs in Jerusalem im Anschluss an das Symposion. Foto: Schmidl

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Lageeinweisung in die Operationen der Dritten Gazaschlacht am alten Bahnhof von Be’er Sheva durch einen Guide, 9. Dezember 2017. Foto: Schmidl

 

Der Friede, der jeden Frieden beendete

Es folgten die Pariser Friedenskonferenz 1919/20, die Friedensverträge von Sèvres (10. August 1920) und Lausanne (24. Juli 1923) sowie die Aufteilung des Nahen und Mittleren Ostens in Mandatsgebiete des Völkerbundes unter britischer und französischer Verwaltung. Nicht grundlos nannte der amerikanische Historiker David Fromkin sein Buch darüber „A Peace to End All Peace“, 2 also „ein Frieden, der jeden Frieden beendete“, in Anspielung an die Bezeichnung des Ersten Weltkrieges als „The War to End All Wars“, der unter anderem US-Präsident Woodrow Wilson zugeschrieben wurde. 

Militärisch war der Nahe Osten im Gesamtbild des Ersten Weltkrieges natürlich ein Nebenkriegsschauplatz. Bedeutsam waren die dortigen Ereignisse allerdings im Hinblick auf die Nachkriegszeit. Der durch die Kriegsereignisse gewachsene arabische Nationalismus ebenso wie die Hoffnung der Zionisten, in Palästina eine künftige Heimstätte des jüdischen Volkes zu finden – wie es etwa in der Balfour-Deklaration3 vom 2. November 1917 hiess – sollten die Geschichte dieser Region noch lange, letztlich bis heute, prägen. 

Eine internationale Tagung im Österreichischen Hospiz

Angesichts der Bedeutung der Ereignisse in dieser Region organisierte das Österreichische Hospiz in Jerusalem im Dezember 2017 eine internationale wissenschaftliche Tagung. Angeregt wurde die Konferenz vom Rektor des Hospizes, Mag. Markus Stefan Bugnyár, und Prof. Dr. Friedrich T. Schipper von der Universität Wien. Nach einer Einleitung durch Georg von Habsburg-Lothringen beleuchteten Historiker und Fachleute wie Dr. Marcus Patka (Jüdisches Museum Wien), Dr. Walter Posch und Hofrat Univ.-Doz. Dr. Erwin A. Schmidl (beide von der Landesverteidigungsakademie Wien) sowie Sektionschef i.R. Dr. Wilfried Schimon und Ministerialrat Doz. Dr. Helmut Wohnout (beide aus Wien) verschiedene Aspekte des Themas. Weitere Referenten waren die britischen Historiker Dr. David Nicolle und Dr. John Peaty sowie Dr. Alma Hannig, Univ.-Prof. Dr. Günther Kronenbitter und Mag. Tobias Hirschmüller von den Universitäten Bonn, Augsburg und Eichstätt. Dazu kamen der pensionierte ungarische Botschafter Doz. Dr. János Hóvári sowie Eran Tearosh und Oberst a.D. Dr. Benny Michelsohn aus Israel. Im Anschluss an die Tagung führte Dr. Norbert Schwake zum Protestantischen Friedhof, auf dem auch einige gefallene k.u.k. Soldaten ihre letzte Ruhestätte fanden. Yoni Shapira, Daniela Epstein und andere betreuten die Teilnehmer an den folgenden Tagen bei Exkursionen in den Raum Gaza und Be’er Sheva sowie zu wichtigen Geländepunkten westlich von Jerusalem. Damit gelang es dem Österreichischen Hospiz zu zeigen, dass es nicht nur eine Heimstätte für Pilger, sondern auch ein Zentrum des intellektuellen und wissenschaftlichen Diskurses in Israel ist. 

Insgesamt war es eine gute Konferenz, die wichtige Anreize für weitere wissenschaftliche Kooperation auf internationaler Ebene lieferte. Eine Publikation von Beiträgen dieser Tagung, die durchwegs hohes Niveau hatten, ist geplant. 

Unabhängig von der Tagung erinnerte am 11. Dezember 2017 eine kleine Zeremonie beim Jaffa-Gate an den Einzug General Allenbys. Einige Schauspieler traten in mehr oder weniger phantasievollen (und falschen) „historischen“ Kostümen auf. Eigentlich war es schade, dass man aus dem Jahrestag dieses wahrhaft historischen Ereignisses nicht mehr gemacht hat. Einige Beobachter meinten, dass man wegen der angespannten Stimmung (kurz davor hatte US-Präsident Trump die kommende Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem angekündigt) das Gedenken lieber in Form einer Komödie (an den Uniformen stimmte wirklich gar nichts) inszeniert haben mochte. 

Es bleibt die Erinnerung an die Übergabe Jerusalems vor hundert Jahren – und es bleibt der Phantasie jedes Einzelnen überlassen, sich alternative historische Abläufe für diese Region vorzustellen. 

 

Hofrat Univ.-Doz. Dr. Erwin A. Schmidl leitet das Institut für Strategie und Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie in Wien und lehrt am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. 

 

Anmerkungen

1 Vgl. Peter Jung: Der k. u. k. Wüstenkrieg. Österreich-Ungarn im Vorderen Orient 1915 – 1918. Graz-Wien-Köln: Styria 1992.

2 David Fromkin: A Peace to End All Peace: The Fall of the Ottoman Empire and the Creation of the Modern Middle East. [Bestseller in mehreren Ausgaben.] Erstausgabe New York: Holt 1989. 

3 Vgl. Erwin A. Schmidl: Die Balfour-Deklaration vom 2. November 1917. In: DAVID Nr. 114/2017.