Ausgabe

Die jüdische Gemeinde in Eibenschütz (heute Ivančice, Tschechische Republik) und ihr Friedhof

Tina WALZER

Inhalt

Jüdische Gemeinden bestanden in Eibenschütz urkundlich dokumentiert vom 15. Jahrhundert bis kurz nach dem 2. Weltkrieg. Sie hinterliessen einen bedeutenden jüdischen Friedhof. Über ihn erschien vergangenes Jahr ein bemerkenswertes Buch.

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Aussenansicht der Synagoge in Eibenschütz von Süden. Foto: T. Walzer 2016, mit freundlicher Genehmigung.

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Haupteingang zur Synagoge, Zustand 2016. Foto: T. Walzer 2016, mit freundlicher Genehmigung.

 

Juden siedelten sich in der kleinen, aber wohlhabenden Handelsstadt südlich der Landeshauptstadt Brünn wohl bereits im Laufe des 14. Jahrhunderts an, die frühesten heute noch erhaltenen Urkunden dokumentieren ihre Niederlassung allerdings erst hundert Jahre später. Wahrscheinlich geht die Anwesenheit von Juden in der Region aber bereits auf die Zeit der Römer zurück, als sie im Gefolge von deren strategischen Handelsaktivitäten entlang der damaligen kontinentalen Hauptverkehrsrouten auftauchten (vgl. den Fund einer Grabbeigabe mit jüdischer Inschrift im heute burgenländischen Halbthurn aus dem 3. Jahrhundert unserer Zeit). 

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Blick über die frühere Judengasse, heute  Josefa Vavrý Strasse, Richtung Osten. Foto: T. Walzer 2016, mit freundlicher Genehmigung.

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Enthüllung eines Gedenksteins am jüdischen Friedhof in Ivančice 2017, für die jüdischen Opfer der Jahre 1938-1942 aus Mähren und Niederösterreich, gewidmet durch das Land Niederösterreich und die Stadt Ivančice. Foto: Dr. Kurt Scholz, mit freundlicher Genehmigung L. Reich.

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Das Geburtshaus des Musikwissenschaftlers Guido Adler (1855 – 1941). Foto: T. Walzer 2016, mit freundlicher Genehmigung.

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Blick nach Westen über den mittleren Teil des Friedhofsareals. Foto: T. Walzer 2016.

 

Jedenfalls siedelten sich Juden nach den Vertreibungen aus Westeuropa im Zuge der Kreuzzüge auch in Mähren an. Später kamen Flüchtlinge der Vertreibungen aus Niederösterreich und Wien im 14. und frühen 15. Jahrhundert hinzu. Als die Juden aus den böhmischen und mährischen Königstädten vertrieben wurden, fanden viele in Landgemeinden der näheren Umgebung Zuflucht und begründeten so vor allem in Mähren das Landjudentum. Judenverfolgungen in Polen während des Aufstands der Saporoger Kosaken 1648-1657 unter Bohdan Chmelnyzkyj führten zu einem neuen Zustrom jüdischer Flüchtlinge ins südlich gelegene Mähren. Die zweite Vertreibung einer jüdischen Gemeinde Wiens 1670 schliesslich brachte abermals Flüchtlinge in die Region, die sich hier, jenseits der österreichischen Grenze, niederliessen. Auf diese Weise ist ein ständiger Zustrom jüdischer Siedler festzustellen, die ihren neuen Heimatgemeinden zu bedeutenden Steuereinnahmen verhalfen und auf diese und vielfältige andere Weise zu deren wirtschaftlicher und kultureller Blüte beitrugen. 

 

Bereits im 15. Jahrhundert ist ein jüdisches Viertel innerhalb der Stadtmauern mit insgesamt 66 Gebäuden nachweisbar, im Verlauf der heutigen Josefa Vavrý Strasse sowie im Bereich des Komenského Platzes. Einen Höhepunkt erreichte die jüdische Bevölkerung von Eibenschütz mit rund 800 Personen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert infolge des josefinischen Toleranzpatents, bevor die Bevölkerungszahlen wieder sanken, da viele Juden es nun im Laufe der Industriellen Revolution vorzogen, in Städten zu wohnen, und die Landgemeinden und kleinen Städtchen daher wieder verliessen. Gerade Angehörige der jungen Generationen kamen bis in die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, wo sie heirateten und sich niederliessen. Viele Grabstellen am jüdischen Friedhof Währing zeugen vom bedeutenden Zuzug mährischer Juden nach Wien Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1931 wurden jedenfalls in Eibenschütz nur mehr 141 Personen als Juden registriert. 1938/39 wurde in der Stadt ein Durchgangslager für jene Juden eingerichtet, die aus den von NS-Deutschland annektierten Grenzregionen der Tschechoslowakei vertrieben worden waren.

Die Synagoge befindet sich in der Josefa Vavrý Strasse. Sie ist derzeit ungenutzt, nachdem sie jahrzehntelang als Lagerhalle diente. Das Gebäude wurde 1851-1853 anstelle eines älteren Vorgängerbaues errichtet. Angeblich stammte eine der dort während des 2. Weltkrieges geraubten Thorarollen aus dem 16. Jahrhundert. 

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Die Eisenbahnbrücke von Ivančice aus dem Jahr 1870, ein Industriedenkmal. Foto: T. Walzer 2016, mit freundlicher Genehmigung.

 

Aus der gleichen Zeit existieren Urkunden über den jüdischen Friedhof von Eibenschütz, nordwestlich der Stadtmauern in der Mřenková Strasse am gleichnamigen Bach gelegen. Der älteste heute noch lesbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1552. Das Begräbnisareal erfuhr im 17. sowie im 19. Jahrhundert bedeutende Erweiterungen. Bestattungen fanden bis nach dem 2. Weltkrieg dort statt. 

Die eindrucksvolle, an einem nach Südosten abfallenden Hang situierte Anlage weist eine Vielzahl von Renaissance- und Barock-Grabmonumenten auf, die besonders aufwendig mit Ornamenten, Architekturelementen und figuralen Darstellungen geschmückt sind. Das Zentrum des Areals wird vom Rabbinerhügel dominiert, auf dessen höchstem Teil sich die Grabstellen der Honoratioren der jüdischen Gemeinde befinden. Eine Kindergruppe ist ebenso feststellbar, wie Ehrengräber aus dem 1. Weltkrieg sowie eine Gräbergruppe der im Lager des 2. Weltkriegs Verstorbenen. Die ursprüngliche Baumbepflanzung ist nur mehr in Resten vorhanden und eine Gartengestaltung im engeren Sinne nicht mehr auszumachen. Der gesamte Friedhof ist jedoch einwandfrei gepflegt und, abgesehen von Witterungsschäden an den fragilen Sandstein-Stelen, in gutem Erhaltungszustand. Besonders hervorzuheben ist die jüngst renovierte Zeremonienhalle im Stil des Historismus vom Beginn des 20. Jahrhunderts.

Eibenschütz ist der Geburtsort des bedeutenden Musikwissenschaftlers Guido Adler (1855 – 1941 Wien), der das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Wien gründete. An seinem Geburtshaus, das am Rande des jüdischen Viertels steht, ist eine Gedenktafel angebracht. Ausser ihm erblickte auch der amerikanische Komponist und Dirigent Hugo Weisgall (1912 – 1997 New York) hier das Licht der Welt, sowie der (nichtjüdische) Maler und Kunstgewerbe-Star des tschechischen Jugendstils, Alfons Mucha (1860 – 1939 Prag). Wesentlich früher lebte der Hamburg-Altonaer Talmudist Jonathan Eybeschütz (1690 Krakau – 1764 Altona), dessen Vater in Eibenschütz Rabbiner gewesen war, und der eine jahrelange Auseinandersetzung um religiöse Fragen mit dem bedeutenden Rabbiner Jacob Emden (1697 Altona – 1776 Altona) führte. Den Hauptplatz von Ivančice dominieren prächtige Bürgerhäuser mit gut erhaltenen Renaissance-Portalen, die vor ihnen thronende Kathedrale stammt aus dem 13. Jahrhundert. Auf der Fahrt nach Südosten Richtung Dolní Kounice führt die Landstrasse mit einem Mal unter einem der spektakulärsten Baudenkmäler des frühen Industriezeitalters hindurch: das erste ganz aus Eisen konstruierte Eisenbahn-Viadukt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Es wurde in den Jahren  1868-1870 als Teil der Strecke Wien - Brünn errichtet und überspannt auf 373 Meter Länge und in 42 Metern Höhe den Fluss Jihlava (dt. Igel).

Im Jahr 2017 erschien im Klagenfurter Wieser Verlag ein Buch über den jüdischen Friedhof von Eibenschütz. Die Arbeit wurde vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, dem Land Niederösterreich und der Stadt Wien gefördert. Die Autorin, Ludwiga Reich, Germanistin und Kunsthistorikerin, führt in ihrem Werk sorgfältig und in sehr persönlicher Weise durch die Reihen der Grabsteine. Spannende Details aus Gesprächen mit Zeitzeugen werden mit historischen Informationen zu einem eindrücklichen Bild der Eibenschützer Juden verwoben. Ein besonderes Verdienst des Buches liegt darin, mit seinem Streifzug durch die jüdische Geschichte von Eibenschütz einen Eindruck vom heutigen Umgang mit der untergegangenen jüdischen Gemeinde zu vermitteln. Zahlreiche Fotos ergänzen den schönen Band.

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Das neue Buch über den jüdischen Friedhof in Eibenschütz, von Ludwiga Reich, erschienen im Wieser Verlag 2017.

 

Ludwiga Reich, Das steinerne Archiv von Ivančice/ Kamenný archiv v Ivančicích. Klagenfurt: Wieser Verlag 2017. Text zweisprachig in Deutsch und Tschechisch, 233 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen. EUR 29,95.- ISBN: 978-3-99029-283-9