Ausgabe

Das „Anschlussdenkmal“ von Oberschützen im Burgenland

Christoph TEPPERBERG

Die Last der Erinnerung und ihre Überwindung – Eine Ortschaft stellt sich ihrer Vergangenheit

 

Inhalt

Die Kulturmetropole

Oberschützen liegt im Bezirk Oberwart im südlichen Burgenland. Die Nachbarortschaft ist der bekannte Kurort Bad Tatzmannsdorf. Die heutige Grossgemeinde Oberschützen besteht aus den Ortsteilen Aschau, Oberschützen, Schmiedrait, Unterschützen und Willersdorf. Die überregionale Bedeutung Oberschützens geht zurück auf den lutherischen Pfarrer Gottlieb August Wimmer (1791-1863). Durch die von Wimmer im Jahre 1845 gründeten Evangelischen Schulanstalten entstand aus einem bescheidenen Bauerndorf ein zentraler Schulort mit zwei Gymnasien und einem Institut der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Daher zählt die Ortschaft neben den etwa 1.000 Einwohnern auch 1.500 Schüler und Studierende. Zudem ist Oberschützen Standort eines der sechs Kulturzentren des Burgenlandes und verfügt somit über ein reiches Bildungs-  und Kulturangebot. 

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Das „kleine“ Anschlussdenkmal („Opferstein“) 2017.  Foto: Museumsverein Oberschützen, mit freundlicher Genehmigung.

 

Trotzdem fiel in der Vergangenheit ein Schatten auf die sonst so erfolgreiche Kulturmetropole. Kurgäste, die von Bad Tatzmannsdorf nach Oberschützen wandern, erblicken zur Linken auf einer Anhöhe ein tempelartiges, hoch aufragendes steinernes Gebilde: das 1938/39 von den Nationalsozialisten errichtete „Anschlussdenkmal“. Es gab in der „Ostmark“ mehrere derartige Denkmäler, namentlich in Rosegg an der Drau, in St. Margarethen ob Töllerberg bei Völkermarkt, in Burgau in der Steiermark und in Amstetten. Das nationalsozialistische „Mahnmal“ von Oberschützen gilt jedoch als das grösste seiner Art auf österreichischem Boden. Warum aber steht dieser riesige NS-Tempel ausgerechnet hier im südlichen Burgenland? 

 

Vom Grenzland-Deutschtum zum Nationalsozialismus 

Die ursprünglich westungarische, seit 1921 burgenländische Gemeinde Oberschützen (ungar. Felsőlövő) war ein Bauerndorf mit rein deutschsprachiger, protestantischer, grossteils in wirtschaftlich einfachen Verhältnissen lebender Bevölkerung. Als Sitz des evangelischen Superintendenten des Burgenlandes war es jedoch zugleich ein Zentrum des Protestantismus und durch seine Schulanstalten ein bedeutendes Bildungszentrum. Diese spezifische ethnische, konfessionelle und schulische Konstellation intensivierte – vor allem in den bildungsnahen Schichten – eine Hinwendung zum Deutschtum. In jener Zeit des nationalen Denkens und Fühlens waren Begriffe wie Deutschtum oder Magyarentum Selbstverständlichkeiten des kulturellen Lebens. Dazu kam im Burgenland die neue geopolitische Lage als Grenzland gegen Ungarn. Hier mischten sich ideologische Vorstellungen vom Grenzlanddeutschtum, einem deutschen Bollwerk gegen Osten und dem Traum vom Reich zu einem pathetischen Wortgemenge, das endlich von der Semantik der Nationalsozialisten kaum zu unterscheiden war.

 

Die evangelisch-lutherische Kirche in der österreichischen Diaspora unterhielt traditionell enge Beziehungen zur deutschen „Mutterkirche“. Dies beförderte auch im Burgenland die deutschnationale Einstellung von Exponenten der Evangelischen Kirche. Ihre Vorstellung vom Deutschtum waren zum Teil idealisiert, geprägt vom deutschen Protestantismus und der deutschen Romantik. Hinzu kamen Benachteiligungen der Protestanten durch den katholischen Ständestaat. Dies alles verstärkte in der Folge die Hinneigung zum Nationalsozialismus, beförderte den Anschlussgedanken und nährte falsche Hoffnungen auf „eine deutsche Kirche in einem deutschen Staat“. Einer dieser Würdenträger war Dr. h.c. Theophil Beyer (1875-1952), evangelischer Pfarrer in Oberschützen und (erster) Superintendent des Burgenlandes (entspricht in etwa einem röm.-kath. Diözesanbischof), ein Mann von feiner Bildung und hoher persönlicher Integrität. Die Hinwendung eines solch untadeligen Kirchenmannes zum Nationalsozialismus musste die „neue Bewegung“ umso mehr als unverdächtig erscheinen lassen.

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Das „grosse“ Anschlussdenkmal („Mahnmal“) aus der Luft, 2016. Foto: Museumsverein Oberschützen, mit freundlicher Genehmigung.

 

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Das „grosse“ Anschlussdenkmal („Mahnmal“) mit Betretungsverbotstafeln, 2017. Foto: Museumsverein Oberschützen, mit freundlicher Genehmigung.

 

Das „kleine“ Anschlussdenkmal von 1931

In Oberschützen wurde bereits am 21. Juni 1931 anlässlich der 10-jährigen Zugehörigkeit des Burgenlandes zu Österreich ein Gedenkstein enthüllt, das sogenannte „kleine“ Anschlussdenkmal. Das Projekt wurde vom Grossteil der Oberschützer Lehrerschaft unterstützt. Die Finanzierung erfolgte durch Spenden aus der Bevölkerung und eine vom „Deutschen Schulverein Südmark“ organisierte Bausteinaktion. Das Monument steht auf einer leichten Anhöhe an der Strasse nach Jormannsdorf. An dem hoch aufragenden im Stil eines „altgermanischen Opfersteines“ errichteten Denkmal waren zwei – inzwischen entfernte – Inschriften angebracht. An der Vorderseite des Steines prangten mit weithin sichtbaren Lettern die Worte: „Deutsch allezeit!“ Auf der Rückseite war zu lesen:

 

„Ragender Stein,

Mahne noch späte Geschlechter

Immerdar schirmende Wächter

Deutschlands zu sein!

10 Jahre Burgenland

Deutsche Studentenschaft

Oberschützen

21. Juni 1931“

 

Der „Opferstein“ war kein Alleinstellungsmerkmal für Oberschützen. Anlässlich „10 Jahre Burgenland“ waren auch in St. Margarethen, Heiligenkreuz im Lafnitztal, Kobersdorf und Eisenstadt entsprechende Denkmäler sowie zahlreiche Kriegerdenkmäler errichtet worden. Es gab im Burgenland eine ganze Reihe von Ortschaften, die zum Nationalsozialismus tendierten. Dennoch nahm Oberschützen wegen seiner Intellektualität und seiner Fähigkeit zur Verschriftlichung der völkischen Ideologie eine besondere Stellung ein. In den Ansprachen und Zeitungsmeldungen zur Denkmalenthüllung war die Rede von der „Deutschen Jugend“, der „Grenzlandnot“, dem „Deutschtumsbekenntnis“, einer „Kundgebung für die untrennbare Volks- und Schicksalszusammengehörigkeit aller deutschen Stämme“ sowie dem Wunsch „alles daran zu setzen, um dieses deutsche Land mit seinem Mutterlande zu einem mächtigen grossen Deutschen Reich vereinigt zu sehen“. Auch der nachmalige Landeshauptmann des Burgenlandes Alfred Walheim (1874-1945) träumte in einem etwas schwülstigen Reim seiner Grussbotschaft von Grossdeutschland: 

 

„Deutsche Jugend hat das Mal gebaut,

Ahnend, dass ein Morgen graut,

Wo es ihr vergönnt zu schauen,

Wie ein Zelt sich spannt ob‘ allen Gauen.“

 

Jedenfalls wurde der vorgegebene Anlass des Denkmals mit grosser Selbstverständlichkeit in Richtung Deutschtum umgedeutet, ein Faktum, das eigentlich bisher zu wenig Beachtung fand. Für die Genese des Deutschnationalismus in Oberschützen und im Bezirk Oberwart ist daher das „kleine“ Denkmal das interessantere und wichtigere. Es liegt heute etwas versteckt, nicht weithin sichtbar. Das „grosse“ Anschlussdenkmal ist zwar bekannt und dominant, dokumentiert aber im Grunde nur den Endpunkt einer Entwicklung. Ausserdem diente der „Opferstein“ in den Monaten zwischen „Anschluss“ 1938 und Fertigstellung des „grossen“ NS-Tempels 1939 als Ort für politische Kundgebungen.

 

Schon seit 1931 gab es hier eine Ortsgruppe der illegalen NSDAP. Ortsgruppenleiter wurde in der Folge Dr. Theophil Beyer jun. (1905-1946), Sohn des Superintendenten. Oberschützen war das Zentrum der illegalen NSDAP des Burgenlandes. Im Gasthaus Hutter (Ziegelwirt) fanden bis 1938 auch die „Gaubesprechungen“ statt. In einer der Mühlen (Horvath-Mühle) war eine illegale Druckerpresse eingerichtet. Die neue Bewegung fand bei den Jüngeren grossen Anklang. Von ihnen wurde das nächtliche Verteilen von Flugblättern als „coole“ Aktion erlebt. 1934 gelangten Berichte des Direktors der Evangelischen Lehrerbildungsanstalt an das Bundesministerium für Unterricht in Wien über NS-Propaganda-Aktivitäten von Schülern der Anstalt. Unter anderem waren 36 Schüler am 20. April 1934 („Führergeburtstag“) in Festtagskleidern zum Unterricht erschienen. Und Superintendent Theophil Beyer, inzwischen bei den Behörden aktenkundig als „bekannter Nationalsozialist“, musste sich 1934 nach dem Juliputsch und Kanzlermord eine Zeitlang regelmässig auf dem Gendarmerieposten von Oberschützen melden. So Mancher der damaligen Illegalen sprach noch in den 1960er und 70er Jahren nicht vom Ständestaat, sondern von der „Verbotszeit“.

 

Das „grosse“ Anschlussdenkmal von 1939

Der „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland versetzte in den Märztagen des Jahres 1938 nicht wenige Burgenländer in eine Jubelstimmung. Nach der „Heimkehr der Ostmark ins Reich“ predigten zahlreiche evangelische Pfarrer über das Psalmwort „Der Herr hat Grosses an uns getan, des sind wir fröhlich!“ Viele von ihnen wollte die dem Nationalsozialismus immanente kirchen- und glaubensfeindliche Haltung zunächst nicht wahrhaben. Umso grösser war die Ernüchterung, die schon bald nach dem Anschluss 1938 bei so manchem protestantischen Würdenträger eintrat – zum Teil auch für Superintendent Beyer eine bittere Erfahrung. 

 

Auf einer Tafel, die bis 1945 an der ehemaligen Volksschule von Oberschützen (40er Haus) angebracht war, wurde das Ergebnis der Volksabstimmung vom 10. April 1938 festgehalten: Alle 640 Stimmberechtigten hatten mit JA gestimmt. Damals wurde Oberschützen von der „Oberwarther Sonntags-Zeitung“ als „Hochburg aller Formationen der NSDAP“ bezeichnet. Nachdem sich nun das System des Nationalsozialismus etabliert hatte und das südliche Burgenland dem „Gau Steiermark“ zugeschlagen worden war, liess man sich seitens der Kreisleitung Oberwart und der Gauleitung Steiermark etwas ganz Besonderes einfallen: ein prominentes weithin sichtbares „Mahnmal“ innerhalb der Gemarkung von Oberschützen. Der Baugrund für das Denkmal wurde von mehreren Oberschützern zur Verfügung gestellt. Der Spatenstich erfolgte am 7. Oktober 1938 durch den aus Unterschützen stammenden Kreisleiter Eduard Nicka (1911-1972) in Anwesenheit des ebenfalls aus Unterschützen stammenden Gauleiter-Stellvertreters Dr. Tobias Portschy (1905-1996), der die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen hatte. 

 

Dieses „Mahnmal der Befreiung und Heimkehr“ wurde in den nächsten Monaten unter Mithilfe der gesamten Bevölkerung – Bauern, Beamte, Lehrer, Schüler, Studenten und der Hitlerjugend fertiggestellt. Am 21. Mai 1939 erfolgte die Einweihung durch den Gauleiter der Steiermark Siegfried Uiberreither (1908-1984) in Anwesenheit seines Stellvertreters Tobias Portschy und des Kreisleiters Eduard Nicka, hoher Parteifunktionäre aus den „Nachbargauen“ sowie von Abordnungen zahlreicher nationalsozialistischer Organisationen. Über der Zufahrtstrasse zum Appellplatz vor dem Denkmal prangte ein festlich geschmücktes Spruchband mit den Worten: „Wir grüssen unsern Gauleiter!“

 

Das Denkmal bestand aus einem weiträumigen Säulenhof von acht Metern Höhe und zwölf Metern Breite mit viereckigem Grundriss. In der Mitte befand sich auf einem Sockel ein auf einem Hakenkreuz stehender, etwa zwei Meter hoher, nach Südosten blickender Reichsadler mit halb geöffneten Schwingen. Auf dem von acht Feuerpylonen flankierten Sockel prangte die weithin sichtbare Inschrift: „Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!“ 

 

Nur Aufmärsche und Reden, aber keine Opfer? 

Der prominenteste Nationalsozialist aus dem Umkreis von Oberschützen war der genannte Dr. Tobias Portschy, der durch die „Lösung der Zigeunerfrage im Burgenland“ in die Geschichte einging. Die meisten NS-Opfer des Oberschützer Umlandes waren Roma, von denen der Grossteil aus anderen Ortschaften der heutigen Grossgemeinde stammte, vor allem aus Unterschützen, aber auch aus Willersdorf  und Aschau. 

Oberschützen selbst hatte kaum NS-Opfer zu beklagen: einen Karl Neubauer (1899-1941, KZ Mauthausen) und den Roma Johann Horvath (1910-1945, KZ Mittelbau-Dora/Thüringern). Das prominenteste NS-Opfer war der aus Rumänien stammende Gendarmerie-Beamte, Heimatforscher und Archäologe jüdischen Glaubens Karl Siegfried Halaunbrenner (1881-1938). Er versah zuletzt seinen Dienst am Gendarmerieposten Oberschützen, wurde noch am Tag des „Anschlusses“ verhaftet, ins KZ Dachau verbracht und nach schweren Misshandlungen am 22. Dezember 1938 im KZ Buchenwald ermordet. Der Oberschützer Jude Leopold Glaser (1901-1988), dem die Flucht nach Shanghai gelang und der nach 1945 nach Oberschützen zurückkehren konnte, ist mir noch aus meinen Kindestagen in Erinnerung. Später hörte man das eine oder andere Mal die verharmlosende Bemerkung: „Na, ist denn der Glaser nicht zurückgekommen?“

 

Mehr Gewöhnung als Belastung 

Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 das Territorium des heutigen Burgenlandes besetze, wurden im Inneren der Denkmalanlage alle NS-Symbole entfernt: der Reichsadler gesprengt und die flankierenden Feuerschalen beseitigt. Auch das frühere Aufmarschgelände mit Appellplatz wurde bald wieder landwirtschaftlich genützt. Heute ist nur noch die reine Architektur des Denkmals, im Inneren nur der Sockel erhalten. 

 

So steht nun die einstige „NS-Kultstätte“ ihrer Insignien beraubt als rätselhaftes Bauwerk in der Landschaft. Eine Beseitigung des Monuments war zu keiner Zeit eine ernsthafte Option. Zwar wurde immer wieder einmal über einen Abriss diskutiert, doch kenne ich persönlich fast niemanden, der es hätte physisch entfernen wollen. Die Einheimischen hatten sich an das Denkmal gewöhnt. Der Nachkriegsgeneration war der Anblick des steinernen Gebildes von klein auf vertraut. Der ursprüngliche Zweck des Bauwerkes wurde aber nicht ernsthaft reflektiert. So mutierte der inzwischen mit Hecken umwachsene eigenartige Tempel zum Ausflugsziel für Kurgäste aus Bad Tatzmannsdorf und für heimliche Rendezvous der Oberschützer Schuljugend. Noch vor etwa 20 Jahren waren Ansichtskarten mit dem Motiv des Denkmals in der Tabaktrafik und in den Gasthäusern erhältlich. Man war einfach nicht besonders sensibilisiert.

 

Freilich hatte Oberschützen durch das Denkmal zugleich eine unerwünschte mediale Aufmerksamkeit. Es kamen mehrmals Journalisten in den Ort und versuchten die Grundeigentümer des Denkmals und andere Einheimische in den Gasthäusern zu befragen. Dies wurde besonders von den Grundeigentümern als Belästigung wahrgenommen. Der Tenor der Zeitungsmeldungen auf die reservierte Haltung der Oberschützer war hinterher meist: „Das Nazinest und sein Denkmal!“ Diese verkürzte Botschaft wurde wiederum von den Einheimischen als ungerecht empfunden. 

 

Die Gedenktafel von 1995/1997

Es bestand immer noch eine gewisse Scheu an den Dingen zu rühren. Versuche einer Übernahme des Denkmals durch die politische Gemeinde scheiterten an der Vielzahl der Grundeigentümer mit unterschiedlichen Anteilen. Erst im Jahre 1995 erreichte Bürgermeister Helmut Frauneder nach intensiven Diskussionen einen einstimmigen Beschluss des Gemeinderates zur Anbringung einer Gedenktafel. Zwei Jahre später wurde das ehemalige Nazi-Denkmal durch diese Gedenktafel zu einem „Mahnmal für Frieden und Achtung der Menschenrechte“ erklärt. Der Wortlaut: 

 

Errichtet 1939 als Denkmal für den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland.

Möge uns diese Stätte heute und in Zukunft

Mahnmal sein:

gegen Diktatur, gegen Gewalt, gegen

Rassismus – für Demokratie, für Frieden

und für die Wahrung der Menschenrechte!

Gemeinde Oberschützen, 1997

 

Leider hatte die Gedenktafel nur einen begrenzten Radius an Publizität, sowohl bei der Ortsbevölkerung als auch in der medialen Öffentlichkeit. Trotzdem war ihre Anbringung ein entscheidender erster Schritt. 

 

Die Forschungen des Kunsthistorikers Wolfgang Klug

1994 publizierte der Kunsthistoriker Wolfgang Klug einen Aufsatz über das Anschlussdenkmal in Oberschützen, 1998 veröffentlichte er seine Studie „Last der Erinnerung. NS-Denkmalskult am Beispiel Oberschützen“. Darin schreibt er: „Gewidmet ist dieses Buch jenen Menschen, die mit diesem Denkmal leben müssen, – insbesondere der Jugend Oberschützens –, die als historisch unbeteiligt sich heute als Opfer fühlen, als Opfer der Medien und der Öffentlichkeit.“ Wolfgang Klug ermöglichte durch seine detaillierten Informationen einen Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur der Ortschaft. Ausserdem sind Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg inzwischen selbstverständlicher Lehrstoff an den Gymnasien. Die Schülerinnen und Schüler sind unbelastet, informiert und sensibilisiert.

 

Der Pflöcke-Korridor des Peter Wagner 2008

Im April 2008 veranstaltete der Museumsverein Oberschützen ein Symposium zum Thema „Anschluss 1938“. Nachhaltig in Erinnerung blieb eine vielbeachtete Kunstaktion eines ehemaligen Schülers von Oberschützen. Der burgenländische Schriftsteller und Regisseur Peter Wagner (*1956), der – wie ich selbst und einst auch Tobias Portschy, das Gymnasium in Oberschützen frequentiert hatte, wollte nun – 70 Jahre nach dem „Anschluss“ – beim „grossen“ Denkmal eine Kunstinstallation anbringen. Da ihm dies von den Grundeigentümern nicht gestattet wurde, installierte er links und rechts der Strasse nach Bad Tatzmannsdorf einen aus 70 schwarzen Holzpflöcken bestehenden „Plöcke-Korridor“. Wagner selbst charakterisierte sein Kunstwerk als „Landschaftsdramaturgische Installation beim sog. Anschlussdenkmal Oberschützen 2008. Ein Nazidenkmal als Herausforderung. Ein Künstler als Nestbeschmutzer“. Die Pflöcke wurden in der Folge von unbekannten Tätern zweimal nächtens entfernt. Darüber wurde in den Medien, vor allem aber von Wagner selbst, intensiv berichtet und dabei erneut das Stereotyp vom „Nazinest Oberschützen“ bedient. In Oberschützen sprach man hingegen von einem „Pfosten-Theater“. Es war dem Künstler offenbar nicht gelungen sein Projekt verständlich zu kommunizieren, doch rückte Wagners Installation das Denkmal wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

 

Neue Narrative –  Ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus?

Ein entscheidender Impuls zur Bewältigung der Vergangenheit kam von Gymnasialprofessor Heinz Hafner (1948-2015). Ein 2000/2001 durchgeführtes Schülerprojekt über “Heldengedenken: Kriegsgräber im Bezirk Oberwart“ brachte ihn auf die Idee, ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Erst 2015-2016 wurde der Vorschlag von Bürgermeister Günter Toth aufgegriffen und unter Einbindung aller Teilgemeinden, Kirchen und Ortsvereine diskutiert. Endlich setzen die Oberschützer nun selbst offensive Schritte zur Aufarbeitung ihrer Geschichte. In einer vom Bürgermeister selbst geleiteten Arbeitsgruppe einigte man sich schliesslich auf die Bezeichnung „Toleranzdenkmal“. Das Denkmal sollte an prominenter Stelle in der Ortsmitte von Oberschützen stehen. Ausserdem sollten auf Anraten des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) auf den Friedhöfen der betreffenden Ortsteile „Roma-Gedenktafeln“ angebracht werden. In einem weiteren Schritt wollte man zusammen mit den beiden „Anschlussdenkmälern“ und dem Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege den Kontext für ein Ensemble des Gedenkens herstellen. Das Projekt wurde bislang nicht realisiert, doch hat die Arbeitsgruppe für zukünftige Denkmalsprojekte wesentliche konzeptive Vorarbeit geleistet. 

 

Vom Nazi-Monument zum Ort der Begegnung

Noch immer steht das NS-Denkmal von weitem sichtbar auf der Anhöhe von Oberschützen. Der markante Steintempel ist inzwischen baufällig geworden. Zurzeit ist sogar das Betreten des Bauwerks verboten. Daher initiierten drei ehemalige Lokalpolitiker die Unterschutzstellung gemäss Denkmalschutzgesetz. Mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 10. Juni 2016 wurde das Bauwerk unter Denkmalschutz gestellt. In der Begründung hiess es unter anderem: 

 

„Als Erinnerungsmal und Zeitzeuge beinhaltet das Anschlussdenkmal eine besondere kulturelle Bedeutung, indem es die Abgründe jener Zeit vor die Augen führt [sic!] und vor Wiederholung warnt. Durch die Widmung von 1995 als „Mahnmal zur Wahrung der Menschenrechte“ und somit als Monument von überregionaler kultureller Bedeutung sollte das Denkmal in Oberschützen gegenwärtig und künftig zu einem Identifikationsobjekt einer offenen und vorurteilsfreien Gesellschaft werden.“

 

„Umstrittenes Mahnmal wird saniert!“ postete das ORF-Landesstudio Burgenland am 27. Mai 2017. Das Bauwerk hat sage und schreibe neun Eigentümer und reicht über mehrere Grundstücksgrenzen. Doch schliesslich gelang es der Gemeinde das Bauwerk für die Dauer von 30 Jahren zu pachten. Zugleich mit der Sanierung will man sich ehrlich und vorbehaltlos zu seiner problematischen Geschichte bekennen.

 

Mit der Gedenktafel von 1995/1997 wurde versucht, das Denkmal zu einem „Mahnmal gegen Diktatur, Gewalt und Rassismus“ umzuwidmen. Eine Tafel allein kann eine solche Umwidmung freilich nicht bewirken. Da muss mehr getan werden! Nach derzeitigem Stand der Diskussion sollen die Ideen des „Toleranzdenkmals“ für die Opfer des Nationalsozialismus in das „umgewidmete Mahnmal“ integriert werden. Die Lokation ist zwar problematisch, aber zugleich der logische Ort des Erinnerns. Bei der Widmung muss man natürlich die Volksgruppe der Roma mitberücksichtigen. Das würde dem „Mahnmal“ eine neue und glaubwürdige Funktion verleihen. Die Architektur wird zum Rahmen für das „umgewidmete Mahnmal“. 

 

Durch die beiden Symposien „Was tun mit dem Mahnmal?“ (2017) und „Gedanken zum Anschluss 1938“ (2018) wurde ein kaum für möglich gehaltenes Zusammenwirken der Kräfte erreicht: Bundesdenkmalamt, Bürgermeister, Gemeinde und Museumsverein, Kirchen, Schulen und Medien, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Akademie der Wissenschaften, Institut für Kriegsfolgenforschung, Landeskulturpolitik, Parlament, namhafte Historiker und andere externe Experten. Es besteht jetzt die einmalige Gelegenheit eine für alle tragbare Lösung zu finden. Um eine erfolgreiche Umsetzung des Projekts zu gewährleisten wurde von Bürgermeister Hans Unger ein „Ausschuss für Denkmäler in der Gemeinde Oberschützen“ ins Leben gerufen. Gegenwärtig werden Ideen gesammelt: für die Gestaltung des Denkmals, für Narrative in Broschüren, Downloads und Internet. Die Laufzeit des Projekts beträgt voraussichtlich zwei Jahre, die Fertigstellung ist also für das Jahr 2020 zu erwarten. 

 

Das Monument steht nicht allein in und für Oberschützen, es ist ein Denkmal der österreichischen Zeitgeschichte. Es soll daher Bezugspunkt und Ausgangsort für Aktivitäten und Kooperationen sein: für Gemeinden und Museen, für Schulen und Universitäten, nicht zuletzt für die Volksgruppen des Holocaust –  ein Ort der Begegnung für eine offene und vorurteilsfreie Gesellschaft.

 

Quellen- und Literaturhinweise:

Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934–1945. Eine Dokumentation. Hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Wien: 1979, 2. Aufl. Wien: 1983.

Wilhelm Hutter: Die Denkmäler Oberschützens. In: 140 Jahre BG und BRG Oberschützen. Hrsg. von Wilhelm Hutter und Dieter Posch. Oberwart: Schmidbauer [1984], S. 85-98. 

Wolfgang Krug: Ein Todeszeichen für Österreich. Das „Anschlussdenkmal“ in Oberschützen. In: Stefan Riesenfellner / Heidemarie Uhl (Hrsg.): Todeszeichen. Zeitgeschichtliche Denkmalkultur in Graz und in der Steiermark vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Wien: Böhlau 1994. S. 91ff.

Wolfgang Krug: Last der Erinnerung. NS-Denkmalskult am Beispiel Oberschützen. Oberwart: Ed. Lex Liszt 12 1998.

Heinz Hafner: Heldengedenken. In: Jahresbericht des BG/BRG/BORG Oberschützen des Schuljahres 2000/2001 (Juni 2001), S. 30-33.

Ursula Mindler: Dr. Tobias Portschy. Biographie eines Nationalsozialisten. Die Jahre bis 1945. Eisenstadt: 2006 (= Burgenländische Forschungen 92).

Gerhard Baumgartner und Florian Freund: Der Holocaust an den österreichischen Roma und Sinti. In: Michael Zimmermann (Hrsg.): Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Steiner 2007.

Peter Wagner: Der Pflöcke-Korridor (2008). In: (http://www.peterwagner.at/topmenu/arbeiten/werkliste-aktionen-projekte/pfloecke/)  

Oberschützen – Bezirk Oberwart und der Anschluss 1938. In: Oberschützer Museumsblätter 5/2008.

Tobias Mindler: Oberschützen „versinkt im Nazistreit“? In: Zeitschrift des Burgenländischen Volksbildungswerkes „Kultur und Bildung“, 2/2008, S. 13
 (www.volksbildungswerk-bgld.at/dokumente/208mindler.pdf) 

Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland. Opfer, Täter, Gegner (= Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern, 2), Innsbruck-Wien: Studien Verlag 2012.

Peter Wagner: Blackbox (2013): (http://peterwagner.users.aboliton.at/html/arbeiten/aktionen_blackbox.htm)

Gerhard Hertenberger: Schwieriges Erbe – Denkmalschutz und Bauten der NS-Zeit. In: Nachrichten der Initiative Denkmalschutz, Nr. 18/2014, S. 3ff.

Gert Polster: Ein Gendarm als Heimatkundler. In: Kultur Verbindet. Verwaltung. Vermittlung. Visionen. (= Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, 155). Eisenstadt: 2015, S. 141-157.

Gerhard Posch: Oberschützen in alten Ansichten. [Oberschützen: 2015].

Anschlussdenkmal Oberschützen: (https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlussdenkmal_Obersch%C3%BCtzen)

80 Jahre Anschluss – Vom „Grenzlandmal“ zum Mahnmal (https://bda.gv.at/de/denkmal-aktuell/artikel/2018/03/80-jahre-anschluss-vom-grenzlandmal-zum-mahnmal-anschlussdenkmal-in-oberschuetzen-burgenland/) 

Was tun mit dem Mahnmal? In: Oberschützer Museumsblätter 13/2017.

Was tun mit dem Mahnmal? In: 

(https://www.meinbezirk.at/oberwart/lokales/was-tun-mit-dem-mahnmal-d2113918.html) (06.05.2017)

Umstrittenes Mahnmal wird saniert (27.5.2017) (http://burgenland.orf.at/news/stories/2845683/) 

Norbert Pingitzer: Der „Anschluss“ Burgenland 1938 mit einem Exkurs nach Wien. Eine kompakte, reich bebilderte Dokumentation. Schwarzach: Heimat-Verlag 2018.

 

Der Autor:

Hofrat Dr. Christoph Tepperberg MAS (*1952 Oberwart/Burgenland), aufgewachsen in Oberschützen. Studium der Geschichte und Archivwissenschaft an der Universität Wien, Absolvent des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 2001-2017 Direktor des Kriegsarchivs; Publikationen zur Archivwissenschaft, zur Militärgeschichte, Regionalgeschichte, zur Geschichte des Protestantismus und des Judentums.