Ausgabe

Die Synagoge von Trenčin

Ursula PROKOP

und das seltsame Schicksal  

ihres Architekten Richard Scheibner

 

Das kleine Städtchen Trenčin (auf Ungarisch Trencsén, seinerzeit auf Deutsch auch Trentschin), liegt im Nordwesten der Slowakei, malerisch am Fusse eines hochaufragenden Burgberges ausgebreitet. Allein die vielen Varianten des Ortsnamens sind ein Indiz für die ehemalige gemischtsprachige Kultur der Stadt.  Vor dem Ersten Weltkrieg zum Königreich Ungarn gehörend, war der Ort  jedoch überwiegend von Slowaken bewohnt, die damals noch keinen eigenen nationalen Status hatten. In diesem Völkergemisch war die kleine jüdische Gemeinde ihrerseits eine weitere Minderheit. Insbesondere seit dem späten 18. Jahrhundert wuchs ihre Zahl infolge des Zuzugs von mährischen Juden, so dass schon um 1790 eine kleine Synagoge ausserhalb der Stadtmauer am nördlichen Rand der Altstadt erbaut wurde.  Im 19. Jahrhundert bewirkten schliesslich  die Errichtung einer Bahnlinie sowie die fortschreitende Industrialisierung ein wirtschaftliches Aufblühen der Stadt, das auch der der jüdischen Gemeinde zugutekam, die stetig wuchs und um 1900 nahezu ein Viertel der Bevölkerung stellte. Daher genügte die alte Synagoge ihren Anforderungen allmählich nicht mehr, und man entschloss sich zur Errichtung eines neuen Baus. 

 

Inhalt

In der Folge wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich unter anderen der damals führende Budapester Synagogenspezialist Lipót Baumhorn beteiligte. Ungeachtet dessen wurde der junge, erst am Anfang seiner Karriere stehende Architekt Richard Scheibner beauftragt.1 Während Baumhorn mit seinen neugotischen Synagogen noch eine späthistoristische Ausrichtung vertrat, hatte Scheibner, der aus Pieštàny stammte und in Berlin studiert hatte,2 bereits mit einigen äusserst modernen Bauten auf sich aufmerksam gemacht. In seinem heimatlichen Pieštàny hatte er neben dem Umbau des alten Rathauses 1912 ein hochmodernes Hotel errichtet, und in Berlin, wo er zu diesem Zeitpunkt bereits ansässig war, das sogenannte „Marmorhaus“ - eines der mondänsten Kinos der Metropole, das mit seinem spektakulär glasüberkuppelten Vestibül damals Furore machte.3 Dieses weltläufig grossstädtische Flair der Bauten Scheibners scheint die dem Reformjudentum verpflichtete Gemeinde veranlasst zu haben, ihm, und nicht dem konservativen Lipot Baumhorn, den Zuschlag zu geben. Durch diesen Paradigmenwechsel kam es in dem kleinen Provinzstadt Trenčin zum Bau einer der damals modern­sten Synagogen auf dem Gebiet der Donaumonarchie. 

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 Synagoge von Trenčin, Aussenansicht.

 

Nachdem die alte Synagoge abgerissen worden war, wurde an deren Stelle innerhalb von nur achtzehn Monaten der von Richard Scheibner und seinem Mitarbeiter Hugo Pàl konzipierte Bau von der örtlichen Baufirma Niegreis und Fuchs in einer höchst progressiven Stahlbetonkonstruktion errichtet. Infolge des Wachstums von Trenčin gehörte der Standort am „Sturovo namiestie“, der seinerzeit noch ausserhalb der alten Stadtmauer gelegen war, nun zum Stadtzentrum, und da der Bau darüber hinaus rundum freistehend war, wurde er zu einem markanten Wahrzeichen des Ortes, auf den nicht nur die jüdische Gemeinde zu Recht stolz war. Scheibner und seine Mitarbeiter hatten nach dem Vorbild einiger kurz zuvor in Deutschland errichteter Synagogen, wie in Essen und Frankfurt-Westend, ein mächtiges, im Sockelgeschoss von spitzbogigen Arkaden gesäumtes Gebäude in den Formen des Art Nouveau mit byzantinischen Einflüssen realisiert. Dies zeigt die Verwendung unterschiedlicher Stilelemente, wie unter anderem eine flache, byzantinisierende Kuppel und ein grosser Omegabogen im Eingangsbereich - ein typisches Versatzstück des Jugendstils.  Ungeachtet dieser synkretistischen Formgebung verstand es der Architekt jedoch, ein harmonisches Ganzes zu schaffen, das die damals aktuellsten Tendenzen übernahm und ein der Moderne gegenüber aufgeschlossenes Judentum symbolisierte. Dieser Ausrichtung entsprach auch die Ausgestaltung des tonnenüberwölbten Innenraumes, von dem sich noch einige Relikte erhalten haben, ungeachtet der Verwüstung, die die Synagoge während des ZweitenWeltkrieges erlitt. Neben Resten der Wanddekoration im Bereich der Bimah, die eine Ahnung davon geben, wie der Gesamteindruck gewesen sein mag, sind vor allem noch die imposante Deckenleuchte und die Glasmalereien mit stilisierten jüdischen Symbolen vorhanden. 

 

Die Einweihung, die am 30. September 1913 erfolgte, war ein grosses Ereignis in Trenčin, an dem nicht nur Juden, sondern auch zahlreiche christliche Honoratioren teilnahmen - Ungarn, Slowaken sowie Deutsche. Fast scheint es, als wäre die Feierlichkeit ein integrativer Faktor in dieser multikulturellen Stadt gewesen. Neben dem Obergespan, dem Bürgermeister und hohen Militärs (Trenčin war eine Garnisonsstadt) nahmen auch Vertreter der verschiedenen Konfessionen, der Lehranstalten sowie Deputierte zahlreicher Kultusgemeinden teil. Seitens der örtlichen jüdischen Gemeinde eröffneten der Bankdirektor Béla Friedmann und der Gemeindevorsteher Heinrich Kaiser, wahrscheinlich die beiden Männer, die sich besonders um den Bau verdient gemacht hatten, die Feierlichkeiten mit Festreden. Nach dem Singen von Psalmen entzündete der Oberrabbiner Dr. JÓzsef Diamant, der im selben Jahr 1913 diese Funktion nach seinem Vater Mór Diamant übernommen hatte, das Ewige Licht. Nach zahlreichen weiteren Festreden fand die Feier mit dem Singen des ungarischen „Himnusz“ und der Segnung des ungarischen Königs Franz Josef ihr Ende. 4

 

Wie bei allen Synagogen war der weitere Verlauf der Geschichte des Baus höchst wechselvoll. Nach dem Ende der Monarchie, als dieser Teil Ungarns in die neu gegründete Tschechoslowakei übernommen wurde, konnte sich die jüdische Gemeinde noch kurze Zeit eines relativ friedlichen Zusammenlebens mit den Slowaken erfreuen. Nach der Etablierung des autoritären, Nazi-Deutschland nahestehenden Tiso-Regimes 1939 nahmen die Dinge einen tragischen Verlauf. Der Bau wurde von den faschistischen Hlinka-Garden verwüstet und als Pferdestall genutzt. Die einstmals blühende jüdische Gemeinde, die in der Zwischenkriegszeit rund 2.000 Personen umfasst hatte, wurde durch Deportation und Ermordung praktisch ausgelöscht. Heute ist eine grosse Tafel  mit den Namen der Opfer, die weitgehend deutschsprachig waren, im Eingangsbereich der Synagoge angebracht.

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Synagoge von Trenčin, Glasmalereien.

 

Nach dem Krieg wurde der Bau von den wenigen verbliebenen Juden kurzfristig wieder als Betstätte genutzt. Möglicherweise weil kein Bedarf war,5 diente die Synagoge ab 1951 als Warenlager für Textilien. Ab Mitte der siebziger Jahre begann man den Bau zu renovieren und nutzte ihn dann für kulturelle Veranstaltungen. Erst in den neunziger Jahren wurde die Synagoge schliesslich an den Zentralverband der Slowakischen Juden restituiert. Heute hält die winzige jüdische Gemeinde Trenčins, die nur 30 bis 40 Personen umfasst, wieder ihren G‘ttesdienst in einem der Nebenräume ab, während der Hauptraum weiterhin für Ausstellungen und Veranstaltungen verwendet wird.6 In allen touristischen Prospekten über Trenčin wird heute das schöne Gebäude als bemerkenswerte Sehenswürdigkeit hervorgehoben. 

 

Ein Schicksal, das symbolisch für diese multiethnische Region und speziell für deren jüdische Bevölkerung ist, erlitt der Architekt Richard Scheibner. Er blieb in Berlin, wo er möglicherweise Verwandte hatte,7  trat nach dem Ersten Weltkrieg in den Staatsdienst ein und war in der Preussischen Bau- und Finanzdirektion tätig. Seine Stellung als beamteter Architekt erklärt auch, warum nur so wenige Bauten von ihm namentlich dokumentiert sind. In dieser Funktion errichtete er um 1930 ein Polizeidienstgebäude in Berlin-Charlottenburg, das einer höchst modernen, rigiden Bauhaus-Ästhetik verpflichtet ist und Zeugnis von der hohen Qualität seines architektonischen Werkes ablegt. Wie alle Juden wurde auch Scheibner vorzeitig aus dem Staatsdienst entlassen. Bereits 1930 war er im Berliner Adressbuch als Regierungsrat und Baurat a. D. angeführt worden. Sein weiteres Schicksal ist ungeklärt, einige Indizien scheinen darauf hinzuweisen, dass Scheibner möglicherweise durch eine sogenannte Mischehe mit einer Arierin geschützt war. Zum einen hatte er sein Haus in Charlottenburg, in dem er noch 1943 wohnhaft war,8  Mitte der 1930er Jahre auf seine Frau übertragen lassen. Zum anderen scheint sein Name in den (bereits ziemlich akribisch aufgearbeiteten) Berliner Deportationslisten nicht auf. So muss einstweilen ungeklärt bleiben, ob er ein Opfer der Shoah wurde oder in den allgemeinen Wirren der letzten Kriegsjahre ums Leben gekommen ist. Sein wahrscheinlich bemerkenswertester Bau, die schöne Trenčiner Synagoge, hat jedoch die Zeitläufte, wenn auch mit Einschränkungen, überstanden. 

 

Alle Fotos: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

 

 

Endnoten

1     Marós Borsky, Synagogue architecture in Slovakia, Diss. Heidelberg 2005, S. 149f

2     R. Scheibner (19.3.1880- ?), der als Sohn eines Grossgrundbesitzers in Pieštány geboren wurde, hatte von 1903-1908 an der TH Charlottenburg ein Studium absolviert, das er mit einer Dissertation über das städtische Bürgerhaus in Niedersachsen abschloss/Studienmatriken TH Charlottenburg , Bd. 5 (1899-1904).

3     Kornel Duffek, Das Hotel Lipa und Richard Scheibner, in Revue Pieštàny 68. Jg. 2012, S.28ff

4     Dr. Blochs Wochenschrift Nr. 40, 3. 10. 1913, S.727 und Eugen Barkany, Židovské nabožene obce na Slovensku, Bratislava 1991, S.221f

5     Die Angaben darüber sind etwas vage.

6     Milan Kral, Storoçná synagóga prežila slávu aj poniženie, in: Správy.Pravda 13.10.2013 (www.pravda.sk)

7     Ein gleichaltriger Ludwig (auch Denni) Scheibner, der in Berlin geboren und gleichfalls Architekt war, könnte sein Cousin gewesen sein. Dieser wurde nachweislich 1942 nach Minsk deportiert.

8     Berliner Adressbuch 1943