Ausgabe

Von Habsburg zu Herzl

Viola Heilman

Inhalt

Gregor Gatscher-Riedl: Von Habsburg zu Herzl. Jüdische Studentenkultur in Mitteleuropa 1848-1948.

Kral Verlag 2021.

Gebundene Ausgabe, 324 Seiten, Euro 29,90.-

ISBN 978-3-99024-954-3

 

Der Begriff Jüdische Burschenschaften stellt heute einen unüberbrückbaren Widerspruch dar. Aber zwischen 1882 und 1938 gab es zahlreiche auch schlagende jüdische Studentenverbindungen. Sie wurden gegründet, um das akademische jüdische Selbstverständnis zu stärken und dienten auch der Verbreitung der zionistischen Idee von Theodor Herzl. Durch König Wilhelm von Preussen wurde deutschen Juden die „Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung“ in einem Gesetz vom 3. Juli 1869 zugestanden. Im Kaiserreich Österreich-Ungarn wurde die rechtliche Gleichstellung mit der Dezemberverfassung von 1867 durch Kaiser Franz Josef I. bereits festgelegt. Damit war es Juden erlaubt, an Universitäten zu studieren. Bestehende nicht-jüdische Korporationen oder Studentenvereinigungen dienten seit 1815, nach der Gründung der ersten Burschenschaft in Jena, als berufliches und soziales Aufstiegsnetzwerk, das ein Leben lang gepflegt wurde. Trotz der Dezemberverfassung war für Juden eine Mitgliedschaft in einer Verbindung fast nicht möglich, genau so wenig wie eine Karriere im Staatsdienst. Daher belegten jüdische Studenten bevorzugt das Studium der Medizin oder der Rechtswissenschaften, denn für den Beruf als Arzt oder Rechtsanwalt gab es keine Beschränkungen seitens der Behörde. Der rassistisch begründete Antisemitismus nahm gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer schärfere Formen an und der Zugang zu den Studentenverbindungen wurde Juden zu Gänze verwehrt. Unterstrichen wurde dieser Ausschluss noch durch die Waidhofener Beschlüsse von 1896, in denen festgestellt wurde, dass Juden aufgrund „ihres Charakters nicht satisfaktionsfähig seien und der Waffe unwürdig“. Wegen dieser Ablehnung wurden im deutschsprachigen Raum immer mehr jüdische Studentenverbindungen gegründet. Eine der ersten jüdischen Burschenschaften war die in Wien 1882 gegründete akademische Verbindung Kadimah. Mitglieder waren unter anderen Sigmund Freud, Theodor Herzl und Nathan Birnbaum. Aber auch andere sehr bekannte Persönlichkeiten waren in akademischen Verbindungen: Max Brod und Franz Kafka bei Bar Kochba in Prag; Martin Buber bei Hatikva in Leipzig – er gründete diese Burschenschaft 1898; Paul Celan bei Davidia in Czernowitz; Desider Friedmann bei JAV Libanonia in Wien; Egon Erwin Kisch bei der Burschenschaft Saxonia in Prag und Chaim Weizmann bei der JAV Jordania Wien und JNAV Emunah Czernowitz

Die Mitglieder der Korporationen trugen, wie auch die katholischen Verbände, ein Band mit den Farben der Verbindung und eine Mütze („Deckel“), die zentralen Insignien der Burschenschaft. Einige dieser Vereinigungen machten es sich auch zum Ziel, Angriffen auf die Ehre und die Rechte von Juden als Staatsbürger mit Nachdruck entgegenzutreten. Sie waren bereit, Verletzungen ihrer Ehre auch mit Waffen, zum Beispiel in Duellen, zu verteidigen. Boxen und Judo waren Bestandteil der Ausbildung in den Burschenschaften. Die studentischen Ideen reichten vom glühenden Eintreten für den Zionismus bis zu dessen radikaler Ablehnung und der Befürwortung der Assimilation

 

Gregor Gatscher-Riedl, vielstudierter und hochausgezeichneter Historiker und Archivar in Perchtoldsdorf und Mödling, beschreibt in seinem neuesten Buch „Von Habsburg bis Herzl“ die jüdische Studentenkultur in Mitteleuropa zwischen 1848 und 1948. Das Buch beschreibt durch umfassende Recherchen die Dynamik, die sich für jüdische Studierende in ihrer Selbstwahrnehmung als ethnische Gruppe im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat. Von dem anfänglichen Bestreben in der Habsburger-Monarchie, „unsichtbar“ zu sein, bis zur nationalen Bewegung im Verständnis als ethnische Gruppe. Vom Zionismus, der von Theodor Herzl propagiert wurde, bis zur national-jüdischen Assimilation erstreckt sich das Panorama der rund 300 studentischen Organisationen auf Mittel- und Hochschulebene, die in Österreich und Ungarn existierten. Neben der ausführlichen, reich bebilderten historischen Beschreibung der jüdischen studentischen Verbindungen, findet der Leser im Anhang des Buches eine Auflistung der jüdischen Hochschulkorporationen, sowie von deren Korporationsangehörigen in Biogrammen. Dieses Buch bietet eine historisch unschätzbare Information zu einer wichtigen Facette jüdischen Lebens in Mitteleuropa, die eine seit langem offene historische Lücke schliesst.


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